Das Katz-und-Maus-Spiel ist vorbei. Die Beweise liegen auf dem Tisch und die Meinungen bei der Zürcher Staatsanwaltschaft sind weitgehend gemacht. Pierin Vincenz und Beat Stocker, die beiden Hauptverdächtigen im Raiffeisen-Skandal, dürften angeklagt werden.
Ungetreue Geschäftsbesorgung und vielleicht sogar Betrug – diesen Verdächtigungen gehen die staatlichen Ermittler seit über zwei Jahren nach und mindestens in der breiten Öffentlichkeit herrscht die Erwartung vor, dass sie auch reichlich belastendes Material gefunden haben.
Nun aber kolportieren verfahrensnahe Kreise, dass sich die beiden mutmasslichen Wirtschaftskriminellen vor ihrem letzten grossen öffentlichen Auftritt vor dem Richter zu drücken versuchen und bei der Staatsanwaltschaft das Begehren um ein sogenanntes «abgekürztes Verfahren» gestellt haben.
Diese Möglichkeit gibt es in der Schweizer Strafprozessordnung seit zehn Jahren. Die Idee dabei: Der Beschuldigte legt ein Geständnis ab und einigt sich mit der Staatsanwaltschaft und mit den klagenden Zivilparteien auf eine Strafe beziehungsweise eine Schadenersatzzahlung. Ein Gerichtsverfahren ist dafür nicht nötig. Ein Richter nickt die Einigung ab und die Öffentlichkeit wird summarisch über deren Inhalt informiert.
Soll Vincenz die grosse Bühne über diese Hintertür verlassen dürfen? Ausgerechnet er, der in seiner Blütezeit als Manager gerne auch politisch Stellung bezog, die Geheimniskrämerei der Schweizer Bankiers kritisierte und dabei möglicherweise ein übles Doppelspiel spielte?
Und wie passt ein «Deal» hinter verschlossenen Türen zum sogenannten Öffentlichkeitsprinzip, das selbst in der Bundesverfassung festgehalten ist und die Bedeutung der Kontrollfunktion durch Bürgerinnen und Bürger und Medien für ein gutes Funktionieren der richterlichen Gewalt unterstreicht?
Wie wichtig das Öffentlichkeitsprinzip für die rechtsstaatliche Kontrolle der Judikative ist, beweist allein der Umstand, dass das Gesetz nur sehr wenige Ausnahmen von dem Prinzip vorsieht. So zum Beispiel in Fällen, die Kinder und Jugendliche involvieren und deshalb ein besonders hoher Schutz von Persönlichkeitsrechten gelten muss.
Für die seinerzeitige Einführung des abgekürzten Verfahrens gab und gibt es freilich auch gute Gründe. Hochkomplexe Wirtschaftsdelikte banden damals wie heute nicht nur aber vor allem in der Zürcher Staatsanwaltschaft erhebliche Ressourcen.
Die Ermittlung grosser Fälle nimmt Jahre in Anspruch und die teilweise kurzen Verjährungsfristen hängen wie ein Damoklesschwert über den Strafverfolgern. Die Ermittlungen im Fall Swissair dauerten mehr als vier Jahre. Die Untersuchung im Konkursfall der Winterthurer Automobilhandelsdynastie Erb dauerte mehr als fünf Jahre und der 200-Millionen-Franken-Betrug bei der Bank Leumi in Zürich kam 2006 erst sechs Jahre nach Eröffnung der Untersuchung zur Anklage.
Mit abgekürzten Verfahren kann der Abschluss solcher Fälle beschleunigt, die Effizienz der Strafverfolgung verbessert werden. Ob diese Vorteile die Aufweichung des Öffentlichkeitsprinzips rechtfertigen, ist allerdings eine Ermessensfrage, auf die es keine absolut richtige oder falsche Antwort gibt.
Nachdem ich diesen Artikel gelesen habe ("vor dem Richter zu drücken versuchen", "Soll Vincenz die grosse Bühne über diese Hintertür verlassen dürfen?"), bin ich mir nicht mehr so sicher. Es scheint nicht nur um die Kontrolle der Justiz zu gehen 🤔
Auch im abgekürzten Verfahren findet eine öffentliche Hauptverhandlung statt. Nur ein Beweisverfahren wird nicht mehr durchgeführt, da der Angeklagte den relevanten Sachverhalt gestanden haben muss, damit überhaupt ein abgekürztes Verfahren in Frage kommt. Das Gericht überprüft die Zulässigkeit des abgekürzten Verfahrens und die Angemessenheit der beantragten Sanktionen. Die Öffentlichkeit wird also keineswegs vom Verfahren ausgeschlossen. Quelle: Art. 69 und 358-361 der Strafprozessordnung.
Hauptsache der Mann erhält eine gerechte Strafe.