Aus seiner Enttäuschung machte Roger Federer kein Geheimnis. Doch er sprach auch davon, dass er seine Erwartungen erfüllt hätte und glücklich sei, bis in die Viertelfinals vorgestossen zu sein. Nur die wenigsten hätten ihm das zugetraut. Man darf nicht vergessen: Für Federer war es erst das fünfte Turnier in den letzten anderthalb Jahren und seit seiner Rückkehr. In Anbetracht dessen kann die Leistung in Wimbledon nicht hoch genug eingeschätzt werden, auch wenn er sich nicht über mangelndes Losglück beklagen konnte.
Federer sagte: «Ich brauche nun ein paar Tage, um das einordnen zu können: War es das, was ich von mir erwartet habe? War es besser? War es schlechter?» Entscheidend wird auch sein, wie er sich in den nächsten körperlich fühlt. Nach dem Viertelfinal-Aus sagte er: «Ich bin schrecklich erschöpft.» Doch das sei nach einem Turnier Normalität.
Ob er seine Karriere fortsetzt, lässt sich auf zwei Fragen kondensieren, die nur Federer beantworten kann: «Glaube ich daran, dass ich noch einmal grosse Turniere gewinnen kann? Und wenn die Antwort Nein lautet: Kann ich mir dann vorstellen, weiterzumachen, auch wenn ich bei Turnieren wie in Wimbledon höchstens noch die Viertelfinals erreichen kann?
Federer sagte immer, er würde sich diesbezüglich erst nach Wimbledon entscheiden. Mit Olympischen Spielen verbindet er grosse Emotionen: 2000 erreichte er das Bronze-Spiel und kam seiner heutigen Frau Mirka näher. 2008 gewann er mit Stan Wawrinka Gold im Doppel, vier Jahre später in London Silber im Einzel. Dazu war er zweimal Fahnenträger.
Vieles spricht aber gegen eine Reise nach Tokio, wo wieder der Notstand verhängt wurde und offen ist. Einerseits die Tatsache, dass Federer von der Familie getrennt wäre. Anderseits, dass noch immer offen ist, ob in Tokio überhaupt Zuschauer zugelassen sein werden. Siege vor leeren Rängen sind nicht der Grund, weshalb Federer noch Tennis spielt.
Auch das Argument, seine Sponsoren – allen voran der japanische Kleiderhersteller Uniqlo – würden ihn zu einer Teilnahme drängen, verfängt nicht: Keiner kann einen Roger Federer zu irgendetwas zwingen. Zudem kann er in den nächsten zehn Jahren jedes Jahr Schaukämpfe in Asien bestreiten, die mehr Aufmerksamkeit generieren als das olympische Tennisturnier.
Federer sprach davon, wie wichtig es sei, sich ein Ziel zu setzen und auf dieses hinarbeiten zu können. Für anderthalb Jahre war das für ihn, noch einmal in Wimbledon spielen zu können. Dieses hat er nun erreicht. «Und damit ist auch eine grosse Last von meinen Schultern gefallen.» Federer hat den Nachweis erbracht, wieder auf höchstem Niveau mithalten zu können. Er hat nun die Matchhärte erreicht, für die er in Doha, Genf, Paris und Halle gespielt hat, wo er bewusst Niederlagen in Kauf genommen hat.
Sollte er auf die Olympischen Spiele in Tokio verzichten, die Karriere aber fortsetzen, ist wahrscheinlich, dass er im August in Nordamerika in die Hartplatzsaison einsteigt, wo es kaum Restriktionen mehr geben wird, wo erst in Toronto und dann in Cincinnati zwei Masters-Turniere stattfinden, ehe die US Open ab Ende August den Höhepunkt des Spätsommers bilden.
Alles und nichts. Federer sagte selber, er sei «in diesem Jahr ein anderer Spieler als früher». Dass die Dinge nicht mehr so natürlich geschehen. Dass er auf dem Platz viele Ideen habe, die er aber nicht umsetzen könne.
Federer insinuierte damit, dass der Körper nicht mehr die gleiche Leistung bringen könne wie vor zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren und dass ihm eine entscheidende Komponente fehlt: die Explosivität. Federer spielt deshalb heute ein anderes Tennis: noch mehr Offensive, noch mehr Risiko, noch mehr die viel zitierte «Punkt-für-Punkt-Mentalität».
Wie viel er von dieser Explosivität auf den ersten Metern zurückerlangen kann, dürfte entscheidend sein bei der Frage, ob er es schafft, das Rad der Zeit noch einmal anzuhalten und sich auf höchstem Niveau durchsetzen kann.
Diese Frage begleitet Roger Federer nun schon seit über einem Jahrzehnt, die Antworten sind bekannt. Der Schluss liegt nahe, dass es bei den Grand-Slam-Turnieren nicht mehr reicht, zumal es keinen Novak Djokovic oder Rafael Nadal mehr braucht, um ihn in Bedrängnis zu bringen.
Andererseits hat Federer nun den Beweis erbracht, dass er – zumindest auf schnellen Belägen - gegen fast jeden Gegner noch bestehen kann. Auch Rafael Nadal und Novak Djokovic können einmal einen schlechten Tag einziehen oder sich verletzen.
2013 sagte Federer in seiner ersten grossen Resultatkrise, als er in Wimbledon als Titelverteidiger in der zweiten Runde an Sergei Stachowski gescheitert war: «Im Tennis gibt es an keinem einzigen Tag auch nur die geringste Garantie.» Das gilt noch heute. Zudem stellt sich die Frage, was als «grosser Titel» taxiert werden soll?
Für Federer wäre auch ein weiterer Erfolg beim Heimturnier in Basel, das in diesem Jahr ausfällt, ein solcher. Er sagte immer wieder: Es gibt nicht nur Grand-Slam-Turniere.
Nein. Roger Federer hat alles erreicht. Er gewann 20 Grand-Slam-Titel, er führte während über 300 Wochen die Weltrangliste an. Er hat das Tennis in den letzten zwei Jahrzehnten geprägt wie keiner zuvor. Die Tatsache, dass Rafael Nadal und Novak Djokovic dereinst wohl in allen Statistiken vor ihm liegen werden, ist bei dieser Bewertung unerheblich. Federer hat globale Sportgeschichte geschrieben. Diese Emotionen kann ihm niemand nehmen. Er sagt, sein Karriereende müsse nicht auch noch kitschig sein.
Federer wird nicht im Zenit seiner Schaffenskraft aufhören. Doch diese Vorstellung ist ohnehin eine romantische Verklärung von Anhängern. Ein Sportler denkt anders. Er sagt sich: Weshalb soll ich aufhören, wenn ich ganz oben stehe? Viel zentraler ist für Federer, dass er Zeitpunkt und Ort bestimmen kann. Und nicht eine Verletzung ihn dereinst dazu zwingt.
Muss jeder Profi gleich aufgeben wenn er nicht mehr ultra top ist und es sich aber trotzdem leisten kann an allem teil zu nehmen?
Wir sollten ihn einfach selber wählen lassen und aufhören ihn aus den Blick des besten Tennisspielers aller Zeiten zu betrachten. Das war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere!