Menschenrechtler wegen Terrorvorwürfen in Türkei in U-Haft

Menschenrechtler wegen Terrorvorwürfen in Türkei in U-Haft

18.07.2017, 11:40

Knapp zwei Wochen nach ihrer Festnahme hat ein Gericht in der Türkei Untersuchungshaft gegen die Landesdirektorin von Amnesty International (AI) und fünf weitere Menschenrechtler verhängt. AI spricht von einer «politisch motivierten Hexenjagd».

Die Menschenrechtler waren am vorvergangenen Mittwoch bei einem Workshop über digitale Sicherheit und Informationsmanagement auf den Istanbuler Prinzeninseln festgenommen worden. Beim G20-Gipfel in Hamburg hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gesagt, die Versammlung habe «dem Charakter einer Fortsetzung des 15. Juli» entsprochen.

Die Staatsanwaltschaft hatte in der Nacht auf Dienstag Untersuchungshaft für alle zehn Menschenrechtler verlangt. Nach Angaben von Amnesty wirft sie den acht türkischen, einem deutschen und einem schwedischen Menschenrechtler vor, Terrororganisationen unterstützt zu haben, ohne deren Mitglied zu sein.

Nicht AI-Türkei-Kampagnen

So soll Landesdirektorin Idil Eser mit drei Organisationen in Verbindung stehen, die von der Türkei als Terrorgruppen angesehen werden. Diese verfolgten aber gegensätzliche Ziele und Ideologien, teilte Amnesty mit. In der Anklage habe der Staatsanwalt Bezug auf zwei AI-Kampagnen genommen, die beide nicht von Amnesty Türkei geführt worden seien. Bei einer der Kampagnen habe Eser ausserdem gar noch nicht bei Amnesty gearbeitet.

Angehörige und Unterstützer des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner nannten die Terrorvorwürfe «abwegig». Der 45-Jährige sei bei der Veranstaltung als Referent zum Thema IT und Umgang mit Stress und Traumata aufgetreten. «Seminare wie dieses sind gängige Weiterbildungen für Menschenrechtsorganisationen, damit sie vertrauliche Daten verwalten können, wie Zeugenaussagen zu Menschenrechtsverletzungen oder vertrauliche persönliche Informationen von Betroffenen.»

Gemäss AI setzte der Haftrichter in Istanbul vier weitere Menschenrechtler bis zu einem Prozess auf Bewährung auf freien Fuss gesetzt, hiess es weiter. Aber auch gegen sie werde weiterhin ermittelt. Ylknur Üstün von der «Women's Coalition» werde zum Beispiel vorgeworfen, eine ausländische Botschaft für die Finanzierung eines Projekts zur Geschlechtergleichheit und politische Partizipation angefragt zu haben.

Der Präsident der türkischen Amnesty-Sektion sitzt bereits wegen Terrorvorwürfen hinter Gittern. Taner Kilic wird Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung vorgeworfen, die von der Regierung in Ankara für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird.

«Politische Hexenjagd»

Amnesty sprach in der Medienmitteilung vom Dienstag von einer «politisch motivierten Hexenjagd» und «einem neuen Tiefpunkt für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit». Mit dem Entscheid, die Verfahren fortzuführen, habe sich die Türkei von Recht und Gerechtigkeit verabschiedet.

«Was wir heute gelernt haben, ist, dass es ein Verbrechen ist, sich für Menschenrechte in der Türkei einzusetzen», wird Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty in der Mitteilung zitiert. Er fordert, dass die «Mächtigen dieser Welt» endlich Druck auf die türkischen Behörden ausübten, die Aktivistinnen und Aktivisten «sofort und bedingungslos» freizulassen.

Seit dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016 sind in der Türkei mehr als 50'000 Menschen festgenommen und mehr als 100'000 Staatsbedienstete entlassen oder suspendiert worden. Betroffen sind nicht nur Soldaten, Polizisten, Staatsanwälte oder Richter, sondern auch kurdische und andere Oppositionelle, kritische Journalisten und unabhängige Wissenschaftler. (sda/dpa/afp/reu)

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