Wozu Award-Shows gut sind? Leute, die das Besondere suchen, sagen: «Für nichts natürlich!», und werden meist bestätigt, gelegentlich aber auch angenehm überrascht, wenn aussergewöhnliche Filme wie «The Favourite», «Parasite» oder heuer «Nomadland» mit Preisen dekoriert werden. Filme, die ohne Preis vielleicht nur einen Bruchteil des Publikums erreichen würden. Denn die Golden Globes und die Oscars kurbeln die Sichtbarkeit eines Films noch einmal gehörig an. In einem normalen Jahr jedenfalls. Jetzt ist sowieso alles anders.
Und dann sind Award-Shows natürlich auch Laufstege: Designerroben umhüllen Diven, Leihschmuck, mit dessen Wert sich die Schulden mehrerer Drittweltländer begleichen liessen, hängt von Hälsen, es sind die meistgesehenen Fashion-Shows der Welt, es ist der Ort, wo das Wort «Glamour» seit Jahrzehnten zu seiner reinsten Entfaltung kommt. In Hollywood jedenfalls. Nicht am Schweizer Filmpreis oder an den Swiss Music Awards. Aber jetzt ist sowieso alles anders (hier gehts zur fiesesten Besprechung des Abends).
Die Stars nutzten an den diesjährigen Golden Globes (hier gehts zu allen Auszeichnungen) zur Prachtentfaltung vor allem Instagram, denn die blass-verwackelten, schlecht beleuchteten Zoom-Übertragungen aus ihren Wohnzimmern waren weder für Menschen noch Kleider von Vorteil, da konnte man es sich auch gleich im Pyjama bequem machen wie Jodie Foster.
Die Moderation von Tina Fey und Amy Poehler dagegen war – jedenfalls von aussen gesehen – eigentlich wie immer. Und sie war böse mit denen, die für das Ganze verantwortlich waren. Also mit der Hollywood Foreign Press Association (HFPA). Die rund 90 Mitglieder hat, von denen kein einziges schwarz ist. Und die Nominationen aufgrund von geschenkten Dienstreisen («Emily in Paris») entschied.
Tina Fey sagte: «Wir wissen, dass Award Shows dumm sind. Aber auch dumme Veranstaltungen müssen andere einschliessen. Und die HFPA hat nun mal keine schwarzen Mitglieder. Leute, ich versteh das, vielleicht habt ihr das Memo nicht gekriegt, weil euer Arbeitsort gerade im Hinterzimmer eines französischen McDonald's liegt, aber ihr müsst das ändern!»
Die Jury gebärdete sich heuer im Rahmen ihrer Vorauswahl so anständig wie möglich. Sie kürte «Nomadland», der schon in Venedig den goldenen Löwen für den besten Film gewonnen hatte, auch hier zum besten Film und die 38-jährige Chinesin Chloé Zhao zur besten Regisseurin (sie ist erst die zweite Frau, die in den 78 Jahren der Golden Globes in der Kategorie Regie gewonnen hat, die andere war vor 37 Jahren Barbra Streisand mit «Yentl»).
Gut, es gab qualitativ gesehen auch nicht wirklich eine Alternative, denn «Nomadland» ist eine kluge, feinfühlige Annäherung an einen Teil jener «Abgehängten» Amerikas, die sich entschieden haben, ihr Elend in eine Existenzform umzuwandeln, und sich von sesshaften, aber arbeitslosen Menschen, in von Temporärjob zu Temporärjob fahrende zu verwandeln und sich im Wohnwagen ein wenig wie einst die Siedler in ihren Planwagen Amerika noch einmal neu anzueignen.
Hauptdarstellerin und Produzentin Frances McDormand lebte dafür eine Weile in ihrem Van und jobbte wie im Film bei Amazon. Unter Zhaos Regie ist so ein melancholischer, weiser, versöhnlicher Film entstanden über kleine, einander stützende Zufalls- und Parallelgesellschaften in beglückenden Landschaften. Eine schöne Wahl, die Massstäbe für die Oscars setzt und einzig dadurch getrübt wurde, dass der Preis für die beste Hauptdarstellerin nicht auch noch an McDormand (okay, sie hat davon auch schon genug) ging, sondern an Andra Day für ihre Verkörperung der Sängerin Billie Holiday im Black-Music-Biopic Nummer eins «The United States vs Billie Holiday».
Black-Music-Biopic Nummer zwei, der Netflix-Film «Ma Rainey's Black Bottom» verhalf wie erwartet Chadwick Boseman zu seinem posthumen Golden Globe als bester Darsteller in einem Drama und seine Witwe nahm den Preis mit Worten entgegen, die alle zum Weinen brachten. Weiter gab die HFPA alles, um sich vom Vorwurf der Exklusion schwarzer Kritikerinnen und Kritiker reinzuwaschen, indem sie Daniel Kaluuya in «Judas and the Black Messiah» zum besten Film- und John Boyega in «Small Axe» zum besten TV-Nebendarsteller kürte.
Die Frage sei an dieser Stelle gestattet, wieso schwarze Geschichtsaufarbeitung in Hollywood so überdurchschnittlich oft über die Schiene des süffig-sentimalen Musikfilms laufen muss. Über Filme wie «Bird» (1 Oscar), «Dreamgirls» (2 Oscars), «Ray» (2 Oscars), «Green Book» (3 Oscars) und die beiden heurigen. Und wieso weitgehend weisse Jurys dies so toll finden. Ob die bittere Pille der Vergangenheit und was davon in der Gegenwart liegen geblieben ist, mit ein paar flotten Melodien besser runtergeht.
Die weisseste aller weissen Serien, «The Crown», gewann so viele Golden Globes wie noch nie, nämlich vier: Beste Serie, beste Serien-Diana (Emma Corrin), bester Serien-Charles (Josh O'Connor) und beste Serien-Thatcher (Gillian Anderson). Oder Hauptdarstellerin, Hauptdarsteller und Nebendarstellerin. Das mag gerechtfertigt sein, ist aber die konventionellste und sicherste Wahl von allen.
Kühn dagegen die doppelte Prämierung von «Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan» – er wurde bester Film (Musical or Comedy) und Sacha Baron Cohen bester Darsteller (Musical or Comedy). Viele hatten erwartet, dass Sacha Baron Cohen auch noch den Nebendarstellerpreis für «The Trial of the Chicago 7» erhalten würde, auch das wäre okay gewesen. Theoretisch stehen ihm jetzt drei Nominierungen in den Oscar-Kategorien Originaldrehbuch, Haupt- und Nebendarsteller offen.
Er bedankte sich mit den Worten: «Vielen Dank an die komplett weisse Hollywood Foreign Press. Ich muss sagen, dass dieser Film nicht möglich gewesen wäre ohne meinen Co-Star, ein frisches, neues Talent, das aus dem Nichts kam und sich als Comedy-Genie entpuppte. Ich spreche natürlich von Rudy Giuliani. Unser Film war nur der Anfang für ihn, Rudy spielte danach in einer Reihe von Comedy-Filmen mit. Hits wie ‹Four Seasons Landscaping›, ‹Hair Dye Another Day› und das Gerichtsdrama ‹A Very Public Fart›.»
Ohne einen einzigen Preis blieben die diversen Nominierten von David Finchers «Mank» zuhause auf ihren Sofas sitzen. Dabei war der Film als aussichtsreichster Favorit in den Abend gegangen. Schade. Dafür gewann Rosamund Pike, deren Karrierepeak David Finchers «Gone Girl» gewesen sein dürfte, den Preis als beste Darstellerin (Comedy or Musical) mit der albernen Alte-Leute-Entmündigungs-Komödie «I Care a Lot».
Und so sind die Karten für die Oscars nun minimal neu gemischt, Sacha Baron Cohen zählt zu den Top-Playern, Andra Day ebenfalls, «Nomadland» wird die Trophäe für den besten Film oder die beste Regie oder beides gewinnen, Chadwick Bosemans Witwe oder seine Filmpartnerin Viola Davis wird an seiner Stelle einen Oscar entgegennehmen und das wird auf jeden Fall traurig. Der Rest ist offen. Und auch ein ganz klein wenig egal.
Ok, Nomadland ist ein grossartiger Film. Aber dass es qualitativ keine Alternativen gab ist schon ein ziemlicher Humbug.
Wenn man schon über Filme schreibt, sollte man sich auch mit dem Fach ein bisschen auseinandersetzen. Hier nur einige Beispiele an qualitativen Alternativen: Sound of metal, Druk, The assistant oder Mank.
Wetten, dass das kaum jemanden interessieren wird?