Auf den ersten Blick sieht die kleine Valeria gleich aus wie die meisten einjährigen Babys, die gerade etwas müde sind. Sie hält die Augen leicht geschlossen, scheint jeden Moment wegzudämmern. Doch Valeria ist nicht müde. Sie hat einen extrem seltenen, nicht vererbbaren Defekt auf dem Gen namens KCNT1 – weltweit sind nur etwa 100 Personen davon betroffen. Laufen, sprechen, lachen, überhaupt Emotionen zeigen – das alles wird Valeria nie können. Auch dürfte sie nur wenige Jahre alt werden. Und: Es gibt keine Standardtherapie. So jedenfalls lautet die traurige Diagnose der Schweizer Neurologen.
Eine Diagnose, die Valerias Eltern Alexandra und Mario Schenkel (beide 34) den Boden unter den Füssen weggerissen hat. Damals, einige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter am 14. Februar 2018. Zu diesem Zeitpunkt hatte die junge Familie bereits eine Tortur hinter sich. Denn in den ersten Tagen, in denen die Kleine auf der Welt war, schien zwar alles in Ordnung zu sein. Doch dann kam der plötzliche Atemstillstand, später die Krämpfe. Noch wussten die Ärzte nicht, woran Valeria leidet. «Es war unglaublich belastend – eine tägliches Auf und Ab», sagt Alexandra Schenkel.
Als klar war, dass Valeria an dem seltenen Gendefekt leidet und die Schweizer Schulmedizin nicht helfen kann, nahmen die Eltern ihre Tochter mit nach Hause. Sie sollte nicht mehr länger im Spital leben müssen. Eine Herausforderung für das berufstätige Ehepaar – sie arbeitet in der Personalberatung, er ist Jurist und sitzt überdies für die FDP im Horwer Einwohnerrat. Denn Valeria braucht eine 24-Stunden-Betreuung. Ihr kleiner Körper wird Tag und Nacht von Krämpfen geschüttelt, manchmal im Halbstundentakt. «Du lebst in ständiger Angst, sie könnte wieder aufhören zu atmen», sagt Mario Schenkel.
Auch bei unserem Besuch erleidet Valeria einen Krampfanfall, während Papa sie im Arm hält. Mario Schenkel beruhigt die Kleine, streichelt ihr über die Wangen. Zur Linderung der epileptischen Anfälle haben die Eltern bereits alles mögliche ausprobiert: Akupunktur, Homöopathie oder auch THC-haltiges Cannabis-Öl. Für letzteres erhielten sie gar eine Ausnahmebewilligung des Bundes. «Doch nichts davon schlägt wirklich an», sagt Alexandra Schenkel und fügt an:
Dank einer Ernährungsumstellung ist Valeria laut Alexandra Schenkel sogar aktiver geworden. Sie schaut zu ihrer Tochter rüber und sagt: «Gäll Bohne, du willst wissen was läuft und bei uns dabei sein.» Die Kleine lächelt. «Ja, das macht sie inzwischen öfter», sagt die Mutter und ergänzt: «Es ist aber mehr ein Lächeln im Sinn von ‹ich fühle mich wohl›, kein Zurücklächeln wie Babys dies in einem solchen Fall tun würden – soziale Interaktionen sind für Valeria wegen der Genmutation nicht möglich.» Noch nicht. Denn Alexandra und Mario Schenkel setzen all ihre Hoffnungen in eine Therapie, die von einem Neurogenetiker-Team an der Yale University in den USA entwickelt wird. Herzstück ist ein Medikament, das den Fehler auf Valerias KCNT1-Gen überdecken soll.
Auf das Team um Professor Len Kaczmarek ist Mario Schenkel bei seinen nächtelangen Recherchen gestossen. Der Zellforscher hat KCNT1 im Jahr 2014 entdeckt. Im Januar weilte die Familie mit Valeria erstmals in den Staaten, die nächste Reise folgt im Juni. Bis das Medikament mit den richtigen Teilchen (Oligo) hergestellt ist, sind zig Prototypen nötig, die an Zellen von Valeria getestet werden. Die Chancen für eine erfolgreiche Behandlung schätzt Kaczmarek als sehr gut ein. Er sagt: «Wenn wir KCNT1-erkrankten Mäusen ein Oligo geben, beginnen diese zu Laufen, zu Nesten und verhalten sich wie eine normale Maus.» Die Eltern sind überzeugt, dass er das Medikament noch dieses Jahr verabreichen kann.
Dazu muss allerdings die Finanzierung gesichert sein: Rund 1.8 Millionen Franken kostet die Entwicklung des neuen Medikaments. Weil man nicht auf Standardtherapien zurückgreifen kann, ist eine Beteiligung von Krankenkasse und IV ausgeschlossen. Rund die Hälfte des Betrags hat die Familie Schenkel über die eigens gegründete Valeria Association beisammen – dank eigenen Ersparnissen, Verwandten, Freunden, Bekannten und «Blick»-Lesern. Die Boulevardzeitung hatte Ende 2018 über das Schicksal von Valeria berichtet. Um die restlichen 900'000 Franken zu sammeln, haben Freunde der Kleinen nun die Kampagne «Rette Valeria» ins Leben gerufen. Der Startschuss fürs Crowdfunding fällt diesen Freitag und Samstag mit Konzerten von Dada ante Portas in Horw, Phil Dankner in Luzern und Härz in Zug.
Gesammelt wurde bereits in Horw. So sind etwa Nachbarskinder von Familie Schenkel unter die Bäcker gegangen. Den Erlös aus dem Verkauf der Muffins, rund 700 Franken, zahlten sie für Valeria ein. Alexandra Schenkel sagt: «Der Zuspruch ist enorm berührend.» Zumal der Gang an die Öffentlichkeit die beiden viel Überwindung gekostet hat. «Ich wollte immer unabhängig sein, habe schon mein Sackgeld selber verdient», sagt Mario Schenkel. «Dass wir nun finanzielle Hilfe von anderen Leuten brauchen, ist sehr unangenehm.» Aber man tue es für Valeria – und für alle anderen Kinder mit dieser seltenen Erkrankung. Die Eltern sagen es so: «Die Liebe zu Valeria treibt uns an und gibt uns Kraft.»
Wie weit kann/soll die Medizin gehen.
Eine 1,8 Millionen Franken teure Behandlung ohne Garantie, dass irgendetwas besser wird.
Für dieses Geld könnte sehr vielen armen Kindern ein gutes Leben beschert werden.
Klar, als Eltern versucht man alles erdenkliche um seinem Kind zu helfen.
Aber wenn ich das so lese: es wird weder sprechen noch laufen noch Emptionen zeigen können.
Zudem wird es ständig von Krämpfen geplagt an welchen sie jederzeit sterben könnte.
Wie lebenswert ist denn ein solches Leben überhaupt?