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Niklaus Leuenberger, König der Bauern

Niklaus Leuenberger (1615–1653) von Rüderswil BE, Anführer der bernischen Aufstandsbewegung.
Niklaus Leuenberger (1615–1653) von Rüderswil BE, Anführer der bernischen Aufstandsbewegung.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Niklaus Leuenberger, König der Bauern

Wie sich Niklaus Leuenberger (1615–1653) zum Anführer der Bauern im Aufstand gegen die Obrigkeit aufschwingt und dafür mit dem Leben bezahlt.
06.12.2020, 11:4306.12.2020, 14:26
Christophe Vuilleumier / Schweizerisches Nationalmuseum
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Am 23. April 1653 erhellt fahles Sonnenlicht den Waldrand bei Sumiswald im Emmental. Die Gesandten von Luzern, Bern, Basel und Solothurn mustern sich gegenseitig. Die einen sind katholisch, die anderen reformiert. Sie haben ihr Zuhause und ihr Vieh zurückgelassen, die Heugabel weggelegt und stattdessen nach der Halbarte oder auch nach dem vom Grossvater geerbten Grossschwert gegriffen – die reichsten haben vielleicht eine Arkebuse mit Radschloss. Unter diesen Männern ist auch Niklaus Leuenberger.

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Niklaus Leuenberger 1615–1653 von Rüderswil BE, Obmann der Bauern.
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Niklaus Leuenberger 1615–1653 von Rüderswil BE, Obmann der Bauern. Bild: Wikimedia

Leuenberger ist ein reifer Mann von 38 Jahren, bepackt mit den Muskeln eines stolzen Bauern, der wie beiläufig einen schweren Streitkolben geschultert hat. Er spricht mit fester Stimme – seine Familie besitzt seit Generationen viel Boden im Emmental und seit zehn Jahren hat Leuenberger einen Sitz im Landgericht Ranflüh. Er ist ein respektabler und respektierter Mann, der entscheiden muss, ob gegen die Stadt Bern Krieg geführt werden soll.

Fünf Jahre zuvor war der Dreissigjährige Krieg zu Ende gegangen und obwohl die Schweiz nicht unter dem Konflikt gelitten hatte, schaffen es die eidgenössischen Bauern seither kaum mehr, ihre Erzeugnisse auf der anderen Seite des Rheins zu verkaufen. Schweizer Lebensmittel, Vieh und Rohstoffe waren während den Jahren der Plünderungen und der Verwüstung in Süddeutschland hochgeschätzt gewesen. Nun wurde das Geld sowohl auf dem Land als auch in den Städten knapp.

Im Dezember 1652 setzte Bern im Kampf gegen die Inflation den Wert seines Kupfergelds um die Hälfte herab – bald folgten auch andere Städte wie Luzern diesem Beispiel. Nachdem der wirtschaftliche Rückgang in Deutschland sie bereits voll getroffen hatte, verloren die Bauern innerhalb von Stunden einen Grossteil ihres Vermögens. In den bernischen und luzernischen Tälern schlug der Unmut in Wut um. Es waren sogar Vertreter in die Städte entsandt worden, doch sie wurden dort nicht angehört. Empört beriefen die kriegslustigsten Bauern nach der Messe vom 10. Februar 1653 rasch eine Landsgemeinde in Heiligkreuz ein, um den Widerstand zu organisieren. Von Bern bis Luzern wehte ein kriegerischer Wind.

Heiligkreuz im Entlebuch.
Heiligkreuz im Entlebuch.Bild: Josef Brügger Heiligkreuz

Bis Ende des Monats waren Bündnisse mit den Nachbartälern geschlossen. Anfang März hatten sich die Berner und Luzerner Bauern zusammengeschlossen. Beunruhigt durch das ungewöhnliche Ausmass dieses Bauernaufstands riefen Bern und Luzern ihre verbündeten Kantone zu Hilfe. So liefen Truppen aus Schaffhausen und Basel in Richtung Aargau zusammen, zogen sich aber vor den zusehends wachsenden Streitkräften der Bauern schnell zurück.

Dann die plötzliche Wendung: Die Städte schafften es, einen Teil der Aufständischen zu überzeugen, die Waffen niederzulegen. Allerdings wichen diejenigen aus dem Entlebuch keinen Millimeter von ihrer Position ab und konnten ihren Bund mit dem Emmental aufrechterhalten.

Gebiet der Aufständischen im Bauernkrieg von 1653.
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Gebiet der Aufständischen im Bauernkrieg von 1653.Karte: Wikimedia

Dies war die Situation, an diesem 23. April in Sumiswald. Aus der Sicht der Bauern ging es nun darum, die Unterstützung ihrer Vettern aus Basel und Solothurn zu gewinnen. Die Anführer der Berner und Luzerner Linien sprachen voller Nachdruck. Die Junker waren überzeugt und versammelten sich zwei Wochen später, am 14. Mai, auf Berner Gebiet. Dort schlossen sie ein Bündnis und unterzeichneten einen Pakt in Erinnerung an das Stanser Verkommnis von 1481. Der Huttwilerbund war geboren und erklärte seine politische Unabhängigkeit unter demselben Recht wie die Städte. Jetzt brauchte es nur noch einen Anführer, der den Fortbestand dieser neuen Macht sichern konnte. Schnell setzte sich Niklaus Leuenberger durch und wurde zum «Bauernführer».

Der Huttwiler Bundesbrief der Bauern von 1653, Solothurner Exemplar.
Der Huttwiler Bundesbrief der Bauern von 1653, Solothurner Exemplar.Bild: Historische Gesellschaft Luzern, Jahrbuch 21/2003, 6.

Bald entschied man sich, die Kommunikation mit den Städten abzubrechen. Es wurde sogar ein Brief an den französischen Botschafter in Solothurn gesendet, um dem Herrscher Frankreichs des guten Willens der Schweizer Bauern zu versichern.

Die Städte waren isoliert und hatten nur mässig motivierte Streitkräfte, da diese vor allem auf dem aufständischen Land rekrutiert worden waren. So baten sie die anderen Kantone erneut um militärische Hilfe, um die Revolte in den Griff zu bekommen. Hoffnungsvoll erwarteten Bern und Luzern die Hilfe der anderen Schweizer Städte und lehnten das Ultimatum der Bauern vom 18. Mai ab. Angesichts der Sturheit des städtischen Patriziats teilte Niklaus Leuenberger seine Streitkräfte. Er selber führte am 22. Mai 1653 eine Armee vor die Tore von Bern, den Rest der Rebellen vertraute er Hans Emmenegger an, der Luzern belagerte.

Hans Emmegger (1604–1653) von Schüpfheim LU, Landespannermeister im Entlebuch, enthauptet.
Hans Emmenegger (1604–1653) von Schüpfheim LU, Landespannermeister im Entlebuch, enthauptet.Bild: Wikimedia

Die Kämpfe dauerten nicht lange. Bern war durch den Mangel an Truppen geschwächt und eröffnete umgehend die Verhandlungen. Schnell wurde eine Vereinbarung getroffen, die am 29. Mai zu einem Friedensvertrag, dem sogenannten Vertrag vom Murifeld, führte. Dieser sah die Auflösung des Huttwilerbunds im Tausch gegen steuerliche Vorteile, welche die Bauern verlangt hatten, vor. Luzern folgte und erreichte eine Waffenruhe mit den Aufständischen.

Niklaus Leuenberger hob die Belagerung auf und zog sich zurück. Seine unilaterale Entscheidung wurde jedoch nicht von der Bauernschaft mitgetragen. Sie weigerte sich, den Huttwilerbund aufzulösen. Zürich wusste nichts von den neuesten Entwicklungen und erhob gemäss der Entscheidung der Tagsatzung am Tag nach der Schliessung dieses wackligen Friedens eine Armee aus den Untertangebieten Zürichs, aus dem Thurgau und Schaffhausen und stellte sie unter das Kommando von Conrad Werdmüller. Das Bundeskontingent aus 8000 Mann, einer Kavallerie mit 800 Pferden und 18 Kanonen zog in Richtung Aargau, wo die verbündeten Streitkräfte sich zwei Monate zuvor zurückgezogen hatten. Innerhalb von drei Tagen kontrollierte Werdmüllers Armee die Schlüsselstelle in Mellingen, die Reuss, einige Kilometer vom Schloss Lenzburg entfernt.

Leuenberger hatte sich mit 24'000 Aufständischen in den nahen Hügeln verschanzt und schickte eine Delegation zu Werdmüller, um ihn über das Abkommen mit Bern zu unterrichten. Der Zürcher Hauptmann verlangte jedoch die bedingungslose Kapitulation der Bauern und provozierte so, dass die Aufständischen zu den Waffen griffen. Am 3. Juni führte Niklaus Leuenberger den Angriff auf die Armee der Tagsatzung zwischen den Hügeln von Wohlenschwil, infolgedessen ein Teil des Dorfes zerstört wurde. Die besiegten Streitkräfte des «Bauernführers» zogen sich nach Westen zurück. Vier Tage später setzte das Berner Korps unter Sigmund von Erlach den letzten Rest von Leuenbergers Armee während einer Strafexpedition in den Rebellendörfern, bei welcher das Korps Bauernhöfe plünderte und die Stadtmauern von Wiedlisbach einriss, in der Umgebung des Dorfes Herzogenbuchsee 60 Kilometer entfernt fest. So beendete Sigmund von Erlach das Abenteuer der Emmentaler Bauern und des Huttwilerbunds.

Kurze einschneidige Griffwaffen zwischen Messer und Degen, sogenannte Bauernwehre, die von den Bauern im Bauernkrieg 1653 eingesetzt wurden.
Kurze einschneidige Griffwaffen zwischen Messer und Degen, sogenannte Bauernwehre, die von den Bauern im Bauernkrieg 1653 eingesetzt wurden. Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Niklaus Leuenberger floh, wurde aber verraten und zwei Tage später vom Landvogt Samuel Tribolet festgenommen. Zahlreiche Opponenten und mehrere Rädelsführer wurden gefangen genommen, gefoltert und umgehend hingerichtet. Der Schweizer «William Wallace» seinerseits wurde am 6. September 1653 in Bern enthauptet und gevierteilt. Der ländliche Aufstand hinterliess einen bleibenden Eindruck: Zwar schränkten die Städte die politische Macht der Landbevölkerung ein, milderten aber gleichzeitig ihre Politik gegenüber den Bauern ab.

«EXECUTION. geschechen in Basel den 7 vornembsten Rebellen. Baslischen Unterthanen», kolorierte Radierung in den «Frankfurter Relationen», Ostern – Herbst 1653.
«EXECUTION. geschechen in Basel den 7 vornembsten Rebellen. Baslischen Unterthanen», kolorierte Radierung in den «Frankfurter Relationen», Ostern – Herbst 1653 (Ausschnitt).Bild: Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «König der Bauern» erschien am 30. November.
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So sehen erzürnte Bauern aus!
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So sehen erzürnte Bauern aus!
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quelle: epa/epa / laurent dubrule
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Schweizer Milchbauern kämpfen um ihre Existenz
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11 Kommentare
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Donny Drumpf
06.12.2020 12:57registriert November 2019
Das war riiichtig spannend. Sehr gerne mehr davon!
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Chabiszüüg
06.12.2020 12:25registriert Juli 2016
Jaja, die Städte brauchten auch damals schon etwas länger, um den Geist der ursprünglichen Eidgenossenschaft der Urkantone zu erkennen und in ihren ländlichen Untertanengebieten umzusetzen. Letztendlich kam die Gleichberechtigung der Landbevölkerung erst dank Napoleons Helvetik in der Schweiz zum Tragen. Und auch heute gibt es (wieder) Leute, die die städtische Sicht- und Lebensweise überhöhen, der ländlicheren Bevölkerung die Mitbestimmung am liebsten absprechen und etablierte demokratische Systeme der Machtverteilung aushebeln möchten.
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Knety
06.12.2020 14:31registriert Mai 2016
Und fast 400 Jahre später würden Emmentaler und Entlebucher immer noch einen eigenen Staat gründen wenn sie könnten. Und das obwohl man weder derselben Religion angehört noch dieselbe Sprache spricht. 😁😁
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