Der ehemalige Finanzminister Theo Waigel wird öfter auch als «Vater des Euro» bezeichnet, und als politisches Urgestein aus Bayern weiss er auch, was er seinem Ruf schuldig ist. Bei Günther Jauch durfte er sich am Sonntagabend wieder einmal so richtig austoben. Er habe keinerlei Verständnis für den Ministerpräsidenten Tsipras, schimpfte Waigel, denn Griechenland sei ja bis zur Machtübernahme der SYRIZA auf einem «guten Weg» gewesen. Und überhaupt: Spanien, Portugal und Irland würden doch vormachen, dass die deutsche Sparpolitik richtig und Europa auf dem Weg zu Gesundung sei.
Wie bitte? Hat der Mann vor der Sendung etwas Falsches geraucht? Griechenlands Bruttoinlandprodukt ist seit 2010 stärker eingebrochen als das deutsche während der Grossen Depression. In Spanien liegt die Arbeitslosigkeit nach wie vor über der 20-Prozent-Marke, bei den Jungen bei 50 Prozent. Und in Irland liegt die Arbeitslosigkeit ebenfalls immer noch im zweistelligen Bereich, und das, obwohl die Jungen wieder massenhaft auswandern.
Doch mit Fakten ist in der aktuellen Griechenland-Diskussion kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Die deutsche Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht wies völlig korrekt daraufhin, dass ein «Grexit» die ohnehin schon geringen Chancen, dass Griechenland seine Schulden bedienen kann, noch weiter schmälern würde. Eine um die Hälfte abgewertete Drachme würde die ohnehin schon erdrückende Schuldenlast verdoppeln; und der deutsche Steuerzahler wäre damit bei einem «Grexit» der grosse Verlierer.
Das will im «Geiz ist geil»-Zeitalter niemand mehr hören. Flugs blendete der Moderator eine Umfrage ein, die zeigt, dass die Mehrheit der Deutschen will, dass die Schulden vollumfänglich zurückbezahlt werden. Dass dies ökonomisch gesehen schlicht unmöglich ist, fällt unter den Tisch. Der Grieche soll bluten. Basta. Dass dabei möglicherweise ein «failed state» herauskommt, ist wurscht. Nur eine Frage interessiert: Wer zahlt?
«Hart aber fair» macht im gleichen Stil weiter. Moderator Frank Plasberg eröffnet die Runde mit der süffisanten Bemerkung, wonach keine deutsche Sparkasse einen Antrag akzeptieren würde, der so fehlerhaft abgefasst sei wie das griechische Reformpapier. Der ARD-Mann in Brüssel, Rolf-Dieter Krause, nimmt den Steilpass gerne auf und zieht einmal mehr seine inzwischen übliche Nummer ab.
Krause ist derzeit praktisch permanent auf Sendung. Der in die Jahre gekommene Mann pflegt jeweils mit besorgter Miene und einer «Mir tut es ja mehr weh als dir»-Attitüde den griechischen Sprössling zu züchtigen. Hinzu kommt sein Dackelblick, der darüber hinwegtäuscht, dass er inhaltlich ausser Plattitüden wie «In der Politik glaubt niemand mehr irgendwas» sehr wenig zu bieten hat.
Nicht fehlen darf in jeder Griechenland-Talkshow der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Er macht auf «Hier stehe ich und kann nicht anders», wiederholt gebetsmühlenartig, dass er es vor dem deutschen Steuerzahler und seinem Gewissen niemals werde verantworten können, einem weiteren Hilfskredit zuzustimmen. Nötigenfalls würde sich Bosbach sogar gegen Mutti Merkel stellen. Wow!
Auch Elmar Brok, CDU-Europa-Abgeordneter, greift in der untersten Schublade zu den billigsten Vorurteilen. «Die Griechen wollen schlemmen und die Rechnung für die Party an andere schicken», behauptete er nach wie vor dreist, alle Fakten über die grossen Sparanstrengungen und das Massenelend unter den Tisch wischend.
Später wird dann Sigmund Gottlieb vom Bayerischen Rundfunk in den «Tagesthemen» noch eine Schippe drauflegen. Sein vor Selbstgerechtigkeit und Hass auf die griechische Regierung triefender Kommentar gipfelt in der Aussage, die griechische Regierung sei eine Zumutung für Europa und das Spiel der «Spieltheoretiker und Ideologen» sei nun endgültig am Ende. Dass diese Regierung nach wie vor den Rückhalt der Mehrheit geniesst, unterschlägt er.
Ob Absicht oder nicht, die Pro-Griechenland-Positionen sind mehr als unglücklich bestückt. In «Hart aber fair» fiel der Part der Politologin Ulrike Guérot zu. Gegen die Frau müsste man allerdings sofort ein Bildschirmverbot aussprechen. Ihre Ansichten sind zwar sachlich zutreffend, aber so vorgetragen, dass 99,9 Prozent der Zuschauer kein Wort verstanden haben dürften.
Das wiederum passte Julian Reichelt bestens. Der Chefredaktor von Bild.de ist eine zentrale Figur in der Hetzkampagne gegen Griechenland. In «Hart aber fair» konnte er es sich leisten, zunächst Verständnis für die Griechen zu äussern, dann lange zu schweigen und dann gelassen darauf hinzuweisen, dass die Politik die Sorgen des kleinen Mannes nicht mehr verstehen würde. Dann konnte sich der «Bild»-Mann wieder beruhigt zurücklehnen. Seine Saat ist aufgegangen.
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/europa-sand-im-getriebe-1.2532119
Leider sind solche klugen Leute je länger je mehr in der Minderheit, weil sich der Zorn der aufgestachelten Wutbürger in den einfachen, plakativen Worte der üblen Boulevard-Medien wieder spiegelt und Intellektualität in Zeiten des neoliberalen und neofaschistischen Populismus nur noch ein Schimpfwort gegen die Eliten ist.
Was hat Deutschland während der Krise nach der Lehmann-Pleite 2008 gemacht?
Sicherlich nicht gespart und Steuern erhöht! Deutschland hat einfach sehr viele Schulden gemacht! Die Staatsschuldenquote stieg zwischen 2008 und 2010 in D von 65% auf 83%!
Wie war das mit dem Glashaus und den Steinen?