meist klar
DE | FR
Wirtschaft
International

Was wirklich hinter der Türkei-Krise steckt

Was wirklich hinter der Türkei-Krise steckt

21.08.2018, 11:1521.08.2018, 11:43
Tobias Schmidt / DPA
Mehr «Wirtschaft»
epa06943382 (FILE) - US President Donald J. Trump (L) looks at Turkey's President Recep Tayyip Erdogan (R) at NATO headquarters in Brussels, Belgium, 11 July 2018 (reissued 11 August 2018). Turki ...
Zankhähne: Trump und Erdogan.Bild: EPA POOL

Ein Streit zwischen Trump und Erdogan ist verantwortlich für die Lira-Krise. Zumindest scheinbar. Denn hinter der Krise steckt weit mehr.

Unsicherheit und Unmut in der Türkei

Video: srf

Anscheinend ist es der Konflikt zwischen zwei machtbewussten Staatschefs um einen Pastor, der die Währungskrise in der Türkei verursacht hat. Doch die diplomatische Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan waren nur der Auslöser. Hinter der Krise steckt vielmehr eine Fehlentwicklung, von der die türkische Wirtschaft schon seit Jahren geprägt ist – und nicht nur sie. Die Lösung der Krise könnte zu einer internationalen Aufgabe werden.

Der kurzfristige Auslöser

Andrew Craig Brunson, an evangelical pastor from Black Mountain, North Carolina, arrives at his house in Izmir, Turkey, Wednesday, July 25, 2018 An American pastor who had been jailed in Turkey for mo ...
Andrew Brunson.Bild: AP/AP

Scheinbar dreht sich alles um den US-Pastor Andrew Brunson, der in der Türkei unter Hausarrest steht und dem bis zu 35 Jahre Gefängnis drohen. Trump fordert die sofortige Freilassung, liess Sanktionen gegen zwei türkische Minister verhängen und bestehende Strafzölle auf Stahl- und Aluminium-Importe verdoppeln. Die Fronten sind verhärtet. Zuletzt entschied ein türkisches Gericht abermals gegen Brunsons Freilassung. Die Türkei verhalte sich «nicht wie ein Freund», sagte Trump – und droht mit weiteren Sanktionen.

Die wahren Ursachen

epa06949260 People walking in front of the The Turkish central bank in Ankara, Turkey, 14 August 2018. The Turkish central bank on 13 August 2018 said it was closely monitoring the lira's perform ...
Bild: EPA/EPA

Dass die türkische Wirtschaft aber derart empfindlich auf den Streit mit den USA reagiert, hat tieferliegende Gründe. Im Zuge der jüngsten Finanzkrise hatten führende Notenbanken ihre Zinsen auf Rekordtiefs gesenkt, um die heimische Wirtschaft mit billigen Krediten zu versorgen. Das hat viele Investoren in Schwellenländer gelockt, wo die Zinsen höher waren. Doch inzwischen hat der Wind gedreht: Die US-Notenbank Fed hebt ihre Zinsen wieder an und die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte in absehbarer Zeit folgen. Viele Investoren ziehen ihr Geld daher wieder aus Schwellenländern ab. So steht nicht nur in der Türkei die Währung unter Druck, sondern – in geringerem Ausmass – auch etwa in Argentinien, Südafrika und Indien.

Der Absturz der Lira ist ausserdem ein besonders drastischer Ausdruck jahrelang aufgebauter Fehlentwicklungen in der Türkei. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt importiert die Türkei viel mehr Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland als sie exportiert. Das wird auf Pump aus dem Ausland finanziert. Die US-Ratingagentur Fitch schätzt den Finanzierungsbedarf der Türkei allein für dieses Jahr auf 229 Milliarden Dollar. Vor allem die türkischen Unternehmen sind hoch verschuldet; und das zum grossen Teil in Fremdwährungen wie Euro oder Dollar. Das macht es den Firmen in der Lira-Krise noch schwerer, ihre Schulden zu begleichen.

Die Krisenbekämpfung

Turkey's President Recep Tayyip Erdogan delivers a speech at his ruling Justice and Development Party (AKP) congress in Ankara, Turkey, Saturday, Aug. 18, 2018. Erdogan said Saturday his country  ...
Bild: AP/AP

Die Türkei versucht nun, den Brand zu löschen. Der Industrieminister stellt einen 16-Punkte-Plan zur Unterstützung kleinerer Betriebe vor, der Finanzminister beruhigt Investoren und der Staatschef konsultiert seine Amtskollegen aus Deutschland und Frankreich. Jedoch sind sich die meisten Ökonomen einig, dass vor allem eine Zinsanhebung notwendig wäre, um die Lage in den Griff zu bekommen. Doch Erdogan ist dagegen. Die türkische Notenbank erhöhte zwar indirekt den Zins, indem sie Banken auf einen höheren Leitzins verwies. Laut Fitch kann aber nur eine offizielle Leitzinsanhebung wieder mehr Geld ins Land locken.

Der ungeliebte IWF

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) wird als möglicher Helfer ins Spiel gebracht. «Wenn das Land Notkredite braucht – und darauf deutet vieles hin –, bleibt Erdogan keine andere Wahl, als den IWF um Hilfe zu bitten», sagte unlängst der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, in einem Interview. Allerdings dürften sich die USA dagegen stemmen, und Erdogan lehnt IWF-Hilfen bislang ab. Denn die Programme des Fonds sind mit harten Auflagen wie Sparmassnahmen verbunden, die auch unter Ökonomen umstritten sind. So bleibt der Türkei bislang lediglich eine 15 Milliarden Dollar schwere Investitionshilfe aus Katar – ein Tropfen auf den heissen Stein.

Die Rolle der Fed

epa06949142 A Kenyan man shows one-hundred US dollar bills at a currency exchange office in Nairobi, Kenya, 14 August 2018. The Turkish currency Lira has lost some 40 percent in value against the US d ...
Bild: EPA/EPA

Wenn sich in den kommenden Tagen führende Notenbanker der Welt zu ihrem alljährlichen Branchentreffen im US-Örtchen Jackson Hole zusammenfinden, dürften die Schwellenländer eines der grossen Gesprächsthemen sein. Eine Korrektur am Zinserhöhungskurs der Fed mit Rücksicht auf die Türkei wird es aber laut Ulrich Leuchtmann, Experte bei der deutschen Commerzbank, nicht geben. «Die Fed hat ein nationales Mandat und ist nicht bekannt dafür, sich als Entwicklungshelfer für schwächelnde Schwellenländer zu verstehen.» Dies gelte zumindest, solange es nicht zu einer breit angelegten Schwellenländerkrise komme, die das US-Finanzsystem belasten würde. Oder anders formuliert: Allen globalen Abhängigkeiten zum Trotz – es herrscht das Eigeninteresse. (awp/sda/dpa)

User zerstören iPhone-Geräte für Erdogan

Video: watson
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
19 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
flubi
21.08.2018 12:09registriert Januar 2014
Solange 50% der Türken ihrem Erdi wie Schafe nachlaufen tun mir nur die 50% der Türken leid die selbst denken können! Für die Anderen denkt ja der Sultan in seinem grossen Schloss.
2989
Melden
Zum Kommentar
avatar
Lai Nair
21.08.2018 11:50registriert Dezember 2016
Dass die Türkei seit Jahren auf Punp lebt, alles Investitionen auf Pump getätigt werden und nach wie vor werden ist seit längerem bekannt. Erdogan hat es jedenfalls nicht geschafft, all seine Versprechen einzulösen, welche er den Türken unter die Nasen gerieben hat und wie es scheint, wird er auch in Zukunft nur eines seiner großspurig verkündeten Versprechen einhalten können. Die benötigen Gelder aufzutreiben wird immer schwieriger, die entsprechenden Zinsen immer höher und so wird der Diktator früher oder später einfach aufgeben und zurücktreten müssen
1455
Melden
Zum Kommentar
avatar
aglio e olio
21.08.2018 11:56registriert Juli 2017
Man kann es drehen wie man will, das Ganze betrifft am Ende hauptsächlich den "einfachen" Bürger, der die Auswirkungen in seinem Alltag am meisten zu spüren bekommt. Das wiederum spielt Extremisten jeglicher Coleur in die Hände.
Die einen wissen das geschickter für ihre Zwecke zu nutzen, andere weniger.
1243
Melden
Zum Kommentar
19
Putin hat Wahl in der Schweiz hoch verloren

Wladimir Putin hat die russische Präsidentschaftswahl haushoch verloren, zumindest in der Schweiz. Das zeigen Nachwahlbefragungen (Exit Polls) in Bern und Genf. Das Ergebnis fiel umgekehrt aus zu den von offizieller Seite in Russland behaupteten 87 Prozent Zustimmung.

Zur Story