Die «Weltwoche» von SVP-Nationalrat Roger Köppel veröffentlichte am Mittwochabend einen Artikel über die Schweizer Position zum UNO-Sicherheitsrat. Eine «exklusive Recherche» zeige auf, dass die Schweiz der Welt vor ziemlich genau zwanzig Jahren versprach: Wir werden nie dem UNO-Sicherheitsrat beitreten.
Das Blatt stützt seine «Recherche» auf ein Protokoll, welches der Redaktion «exklusiv» vorliegen würde. Bundespräsident Kaspar Villiger habe am 10. September 2002 erklärt, dass sich die Schweiz nicht an «friedenserzwingenden Massnahmen beteiligen» werde – womit die Schweiz eine Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat ausschloss.
Die Story liest sich politisch pikant, sie hat aber einen Haken: Sie stimmt nicht. Nicht einmal das «exklusiv vorliegende» Protokoll ist exklusiv, wie die «Weltwoche» behauptet. Wir analysieren das im folgenden Faktencheck und erklären die geschichtlichen Hintergründe dazu.
Nehmen wir dazu einen kurzen Blick in die jüngere Geschichte der Schweiz: Die Eidgenossenschaft weigerte sich jahrzehntelang den Vereinten Nationen beizutreten. Das änderte sich erst 2002 mit einer Volksinitiative, die von Linken und Bürgerlichen (mit Ausnahme der SVP) unterstützt wurde.
In diesem Jahr war der Freisinnige Kaspar Villiger der Bundespräsident der Schweiz. Er hatte am 10. September 2002 die Ehre, sich erstmals als Vertreter der offiziellen Schweiz vor den Vereinten Nationen zu erklären.
Dort sprach er die von der «Weltwoche» zitierten Worte: «Unsere Neutralität ist jedoch nicht eigennützig. Sie verschliesst nicht die Augen, wenn wir mit Ungerechtigkeit und Armut konfrontiert werden. Sie hindert uns nicht daran, unsere Stimme zu erheben, wenn Ungerechtigkeit beim Namen genannt werden muss. Unsere Neutralität ist gepaart mit Solidarität, die auch in unserem Volk verankert ist. Die Schweiz wird sich an keinen friedenserzwingenden Operationen beteiligen, aber sie ist bereit, bei friedenserhaltenden oder humanitären Aufgaben zu helfen.»
watson zitiert Villigers Rede nicht, weil uns dieselben «exklusive Dokumente» vorliegen: Sie sind sind im elektronischen Dokumentearchiv der UNO frei zugänglich und unter dem Suchbegriff A/57/PV.1 auffindbar. Villigers Ansprache wurde von Schweizer Journalistinnen und Journalisten live mitverfolgt, sie berichteten am selben Tag oder tags darauf über den angeblich «exklusiven» Satz.
Die zweite Unwahrheit betrifft das, was die «Weltwoche» aus diesem einen Satz macht. Sie schreibt in ihrem Artikel, dass «friedenserzwingende Massnahmen» (peace enforcement operations) im Sicherheitsrat beschlossen werden. Diese seien im Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen geregelt und würden neben militärischen, auch Wirtschafts- und andere nichtmilitärische Sanktionen betreffen.
Das Fazit der «Weltwoche»: «Weil es unsinnig ist, dem Sicherheitsrat beizutreten, wenn man dessen Massnahmen nicht mittragen will, schloss Villiger damit eine Kandidatur für dieses höchste Gremium der Vereinten Nationen aus.» Diese Analyse ist ungenau und eine Klitterung der Geschichte – auch wenn dies nicht namentlich erwähnte Schweizer Diplomaten laut der «Weltwoche» anders sehen.
Der Blick in die Geschichte zeigt: Die Schweiz trägt seit Beginn der 1990er Jahre die wirtschaftlichen UNO-Sanktionen mit, die zu «friedenserzwingenden Massnahmen» gezählt werden. Und sie tat dies auch schon früher, etwa im November 1935, als der Völkerbund (Vorgängerorganisation der UNO) «finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen» gegen das faschistische Italien beschloss.
Der Bundesrat übernahm diese Massnahmen, um die Faschisten für ihre Aggression in der Region des heutigen Äthiopiens zu bestrafen. Das war zwar einer der wenigen positiven Entscheide des Bundesrates während des sogenannten Abessinienkriegs. Die Geschichte zeigt aber unmissverständlich auf: Die Schweiz trägt seit über 80 Jahren regelmässig «friedenserzwingende Massnahmen» der Völkergemeinschaft mit.
Sprich: Der damalige Bundespräsident Kaspar Villiger versprach nicht, dass sich die Schweiz an gar keinen «friedenserzwingenden Operationen» beteiligen wolle. Dieses Versprechen konnte Villiger ohnehin gar nicht abgeben, weil die Schweiz seit 2002 ausdrücklich die Übernahme von wirtschaftlichen UNO-Sanktionen im Embargogesetz vorsieht. Und zwar auch jene, die vom UNO-Sicherheitsrat beschlossen werden. Möglich war das zwar schon vor dem Embargogesetz, etwa 2001, als der Bundesrat die nicht-militärischen UNO-Sanktionen gegen die Taliban übernahm und das Vermögen von Osama Bin Laden und seinen Helfern sperrte, wie ausgerechnet der damalige Finanzminister Kaspar Villiger erklärte.
Wenn also Villiger von «friedenserzwingenden Operationen» sprach, dann meinte er jene mit Kampfhandlungen: Militärische Einsätze der Schweiz zur Friedenserzwingung sind seit 2000 ausdrücklich durch das Militärgesetz verboten.
Der Bericht ist grösstenteils falsch.
Verwendete Quellen: Tweet von @marcel_baur, der als erstes die Protokollnummer im Uno-Archiv fand, Bundesarchiv, Historisches Lexikon der Schweiz, verschiedene Bundesratsbotschaften zum Embargogesetz, Militärgesetz und UNO-Beitritt sowie die dazu gehörige Berichterstattung in der Presse.
Seine Partei schrieb früher immer, die Linken sollen doch nach Russland auswandern.
Jetzt soll er doch gehen...
Die kostbare Meinungsfreiheit wird hierzulande egoistisch missbraucht. Von Politikern, die Verleger sind.
Mitten im Propaganda-Krieg in Moskau.
Was für eine Schande, was für ein Armutszeugnis.