Die Marktwirtschaft basiert auf Wettbewerb. So sieht es zumindest die Lehrmeinung vor. Für die Unternehmen hingegen ist der Wettbewerb oft eine mühsame Sache. Viel angenehmer ist es, sich mit der Konkurrenz abzusprechen und die Aufträge und Absatzmärkte untereinander aufzuteilen. Auf diese Weise entsteht ein Kartell. Den Schaden haben die Kunden.
Ein besonders dreister Fall ist im Kanton Graubünden aufgeflogen. Er betrifft Bauunternehmen im Unterengadin und im benachbarten Münstertal. Die Wettbewerbskommission (Weko) ermittelt seit 2012 gegen dieses Kartell. Nach einer Busse von einer Million Franken im letzten Dezember folgte am Donnerstag eine weitere Tranche: Sieben Firmen wurden mit 7,5 Millionen gebüsst.
Der Entscheid ist nicht rechtskräftig, er kann an das Bundesverwaltungsgericht weitergezogen werden. Es handle sich um den bisher grössten Fall von Preisabsprachen im Schweizer Baugewerbe, sagte Weko-Vizedirektor Frank Stüssi der Nachrichtenagentur SDA. Das Magazin «Republik» hat darüber eine vierteilige Serie veröffentlicht. Zuvor hatten bereits die «NZZ am Sonntag» und die Bündner Regionalzeitung «Südostschweiz» über den Skandal berichtet.
Die gebüssten Firmen haben sich von 1997 bis 2008 an so genannten Vorversammlungen getroffen. Dabei teilten sie die Bauaufträge unter sich auf und legten die Preise fest. Betroffen waren Kanton und Gemeinden, also die Steuerzahler, aber auch Private, die ein Haus bauen wollten. Teilweise ging es laut «Republik» um Projekte, die noch nicht öffentlich ausgeschrieben waren.
Dabei wurde vereinbart, dass andere Firmen höhere «Konkurrenzofferten» einreichen sollten – ein raffinierter Schachzug, um einen Wettbewerb vorzutäuschen. Eine dubiose Rolle spielte der Graubündnerische Baumeisterverband (GBV). Er organisierte laut dem Weko-Bericht «wissentlich» solche Vorversammlungen und legte dabei Ort, Datum und Zeit fest.
Es sei anzunehmen, dass ein solches Zusammenwirken zwischen Verband und Bauunternehmen «als unzulässige Wettbewerbsabrede zu qualifizieren ist», schreibt die Weko. Es entwickelte sich ein bekannter Mechanismus: Mit den Jahren wurden die Beteiligten gieriger, die Preise immer höher angesetzt, und die grossen Baufirmen versuchten, die kleinen aus dem Markt zu drängen.
Zu den letzteren gehörte Adam Quadroni, ein Bauunternehmer aus Ramosch. Er informierte 2009 die kantonale Baudirektion in Chur über das Kartell. Dort gratulierte man ihm zu seinem Mut – und unternahm nichts. 2012 schaltete Quadroni die Weko ein, und diese reagierte sofort. Sie ordnete Hausdurchsuchungen an und eröffnete das noch laufende Verfahren. Die Schäden für die öffentliche Hand und Private beziffert die Weko auf Dutzende Millionen Franken.
Die Schweiz preist sich gerne als wirtschaftlich liberales Land. Dabei waren Kartelle früher eher die Regel als die Ausnahme, was nicht nur schlecht sein muss. Wenn Kartelle massvoll angewendet werden, können sie eine positive Wirkung entfalten, etwa indem sie in Randregionen das Gewerbe stützen. Auch das Bündner Baukartell sah anfangs geringe Preisaufschläge von einigen Prozenten vor. Mit zunehmender Masslosigkeit wurden die Preise um 20 Prozent und mehr erhöht.
Das bekannteste und oft zitierte Beispiel aber ist das Bierkartell. Die grossen Brauereien hatten die Gastronomie und den Detailhandel unter sich aufgeteilt, was für ein ziemlich eintöniges Angebot sorgte. Es war nicht annähernd mit der heutigen Biervielfalt vergleichbar. Der Discounter Denner und sein Chef Karl Schweri kämpften gegen das Bierkartell an. 1991 war es am Ende, wofür auch die zunehmenden Importe aus dem Ausland und interne Streitigkeiten verantwortlich waren.
Auf politischer Ebene tat sich lange wenig bis gar nichts. Bestrebungen des Bundesrats für ein scharfes Kartellgesetz wurden von den Bürgerlichen abgeblockt, die in Sonntagsreden gerne den freien Markt beschworen, während ausgerechnet die Linke sich für den Wettbewerb stark machte. Die Wende kam erst mit der hartnäckigen Wirtschaftsflaute in den 1990er Jahren.
1995 wurde das Kartellgesetz verabschiedet, das zur Gründung der Wettbewerbskommission führte. Zu den erbittertsten Gegnern gehörte ein gewisser Christoph Blocher. In seinem vulgärliberalen Verständnis darf es keinerlei Eingriffe des Staates in die Wirtschaft geben, auch nicht für den Wettbewerb. Kartelle sind für Blocher eine Art Kollateralschaden der Marktwirtschaft.
Bei der Weko sind zwei weitere Untersuchungen zum Bündner Baukartell im Gang. Sie will ihre Entscheide im Lauf des Jahres verkünden. Der Kanton Graubünden prüft laut «Blick» rechtliche Schritte gegen die fehlbaren Firmen – neun Jahre nachdem er von Adam Quadroni informiert worden war.
Pikant ist die Angelegenheit für den langjährigen GBV-Geschäftsführer Andreas Felix. Er will am 10. Juni für die BDP in den Bündner Regierungsrat gewählt werden. Felix und der Verband waschen ihre Hände in Unschuld. Sie behaupten, nichts von den Machenschaften mitbekommen zu haben.
Adam Quadroni erlitt das Schicksal vieler Whistleblower. Er wurde gesellschaftlich geächtet, seine Firma musste 2013 Konkurs anmelden. Seine Frau verliess ihn mit den drei Töchtern. Letztes Jahr wurde Quadroni von der Kantonspolizei wie ein Schwerstverbrecher abgeführt und wegen angeblicher Suizidgefahr in die Psychiatrie eingeliefert. Die Ärzte merkten schnell, dass nichts dran war.
Trotz Kartellgesetz bleibt die Versuchung für Unternehmen gross, den Wettbewerb zu behindern. Für den neuen Weko-Präsidenten Andreas Heinemann bleibt der Kampf gegen horizontale Kartelle (Preis-, Mengen- und Gebietsabreden zwischen Konkurrenten) und Marktabschottungen etwa durch Behinderung von Parallelimporten prioritär, wie er letzte Woche an der Jahresmedienkonferenz erklärte. Es handle sich um «kartellrechtliche Todsünden».