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Traumatisiert und alleingelassen – Schweizer Katastrophenhelfer in Not

Er erlebte schreckliche Szenen nach dem verheerenden Tsunami in Indonesien.
Er erlebte schreckliche Szenen nach dem verheerenden Tsunami in Indonesien.bild: lorenz honegger

Traumatisiert und alleingelassen – die Geschichte eines Schweizer Katastrophenhelfers

Martin Peterhans* war weltweit als Katastrophenhelfer des Bundes im Einsatz. Jetzt bräuchte er selber Unterstützung, erhält aber keine.
25.05.2019, 19:0726.05.2019, 03:04
Lorenz Honegger / ch media
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*Name von der Redaktion geändert

«Wie nach einem Atombombenabwurf.» So beschreibt der 44-jährige Martin Peterhans die Szenerie nach seiner Ankunft in Banda Aceh im Januar 2005. Er sitzt in der Cafeteria einer psychiatrischen Klinik und erzählt seine Geschichte.

An Weihnachten 2004 hatte einer der schlimmsten Tsunamis der Geschichte allein in Indonesien über 150'000 Menschen getötet.

«Wir erhielten Masken mit einer riechenden Crème gegen den Leichengestank. Wenn Tote am Boden lagen, versuchte ich wegzuschauen. Aber die Leichensäcke und die Massengräber waren überall.»

Es war sein erster Einsatz für das Schweizerische Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) des Bundes. Damals war Peterhans 29 Jahre alt.

Der gelernte Speditionskaufmann hatte sich wenige Jahre davor beim «operationellen Arm» der humanitären Hilfe beworben: Als Milizorganisation suchte das Korps Logistikexperten, die bei Umweltkatastrophen, Kriegen und anderen Krisen schnell und flexibel an Auslandmissionen teilnehmen können. Peterhans wurde aufgenommen.

Der Mann leistete viele Einsätze für das Schweizerische Korps für Humanitäre Hilfe.
Der Mann leistete viele Einsätze für das Schweizerische Korps für Humanitäre Hilfe.

Im Zeitraum von zehn Jahren bot ihn das SKH zu über einem Dutzend Auslandmissionen auf. Er rückte aus, als Israel 2009 den Gaza-Streifen bombardierte, als Libyen 2011 während des Arabischen Frühlings im Bürgerkrieg versank und als in Nepal 2015 bei einem Erdbeben 8800 Menschen ums Leben kamen.

Peterhans war stolz auf seine Arbeit als Helfer:

«Es war immer wieder ein unbeschreibliches Gefühl, eine Frachtmaschine mit Trinkwasser, Medizin und Notunterkünften zu beladen, und zu wissen: Ich helfe mit, Leben zu retten. Das ist unglaublich befriedigend.»

Doch er zahlte einen hohen Preis für seine Einsätze.

FILE - In this Monday, Jan. 17, 2005 file photo, refugee children try to catch relief goods tossed from an Australian military helicopter in a rice paddy in Lampaya, outskirts of Banda Aceh, Indonesia ...
Januar 2005: Flüchtlingskinder in einem Reisfeld bei Banda Aceh winken einem Helikopter. Bild: AP

Die erste Diagnose

Anzeichen, dass etwas nicht mehr in Ordnung war, gab es schon nach seiner ersten Mission in Indonesien 2005. Zu Hause in der Schweiz litt er auf einmal an Bluthochdruck, Magenbeschwerden und Weinkrämpfen. Geschlossene Räume, Zug fahren, aber auch Fliegen machten ihm auf einmal Angst.

Der Hausarzt konnte keine körperlichen Ursachen feststellen und schickte ihn zu einem Psychiater. Der stellte erstmals die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Nach einem halben Jahr Therapie hielt der Spezialist die Symptome für abgeklungen. Peterhans rückte wieder als Katastrophenhelfer aus.

Es folgten Einsätze in Ländern wie Kenia, Irak, Tunesien, Ukraine. Die Verantwortlichen beim humanitären Korps bemerkten nicht, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Und Peterhans erwähnte nicht, dass er nach Indonesien eine schwierige Phase durchlebt hatte: Er wollte nicht, dass man ihn für schwach hält. Die Missionen bereiteten ihm Freude.

Als die Beschwerden nach einigen Jahren wieder auftauchten, reagierte er mit Sport, Yoga, gesunder Ernährung. «Ich habe die Symptome nie mit meinen Einsätzen verbunden. Ich dachte, ich gewöhne mich daran.»

Der Kollaps

Es ist Herbst 2017, als es auf einmal nicht mehr geht. Zwei Jahre sind seit seinem letzten Einsatz in Nepal vergangen. Der Hausarzt schickt Peterhans wieder zum Psychiater. Er erhält eine bekannte Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung. Peterhans sagt konsterniert: «Ich war alles andere als geheilt nach der ersten Traumatherapie 2006 und 2007.»

Psychiater und Psychotherapeuten sind sich einig: Die fast 300 Diensttage für die humanitäre Hilfe haben ihn krank gemacht. An weitere Einsätze ist nicht mehr zu denken.

Anfang 2018 meldet er seinen Krankheitsfall dem Humanitären Korps und der von der Suva geführten Militärversicherung. Auf deren Leistungen haben SKH-Angehörige bei Unfällen und Krankheiten Anspruch.

FILE - In this Jan. 8, 2005 file photo, US Navy AW2 Maxwell Bjeule (no state given) tries to restrain a surging crowd of survivors as they struggle to get food and other supplies being unloaded from a ...
Auch diese Aufnahme datiert vom Januar 2005, nach dem Tsunami, in Banda Aceh.Bild: AP

Der Versicherungs-Schock

Zu Beginn scheinen die Dinge ihren Lauf zu nehmen: Der Konsiliarpsychiater der Versicherung bestätigt in seinem Gutachten, dass Peterhans’ postraumatische Beschwerden in Zusammenhang «mit den Einsätzen in Indonesien im Jahr 2005 sowie mit den vielen späteren Auslandeinsätzen» stünden.

Die Schilderungen von Peterhans bezeichnet er als «ausgesprochen differenziert, konkret, präzise und glaubhaft.» Er empfiehlt eine «mehrmonatige, komplette Entlastung der Arbeitstätigkeit».

Peterhans, der ein eigenes Geschäft hat, muss eine Aushilfe einstellen und beantragt bei der Militärversicherung Krankentaggeld sowie die Übernahme der weiterlaufenden Fixkosten.

Dann kommt der Schock. In einem Vorbescheid und in einer Verfügung vom Herbst 2018 lehnt die Militärversicherung die Übernahme seiner Behandlungskosten und die Bezahlung des Krankentaggelds ab.

Im Stich gelassen

Der zuständige Leiter Versicherungsleistungen der Suva sieht «keinen adäquaten Kausalzusammenhang» zwischen den Einsätzen in Katastrophengebieten und der posttraumatischen Belastungsstörung – obwohl der Konsiliarpsychiater ebendies bestätigt hat.

Stattdessen nennt die Versicherung private Schicksalsschläge wie den Tod von Peterhans’ Mutter als möglichen Grund für dessen psychische Probleme und mutmasst über eine Persönlichkeitsstörung in der Kindheit. Haftung abgelehnt. Der humanitäre Helfer soll keine Hilfe erhalten.

Weil ihm das Geld für einen Anwalt fehlt, erhebt Peterhans selber Einsprache, und tritt Anfang 2019 eine dreimonatige Traumatherapie in einer psychiatrischen Klinik an.

Seit kurzem ist er wieder zu Hause, arbeitsfähig ist er nicht. Ohne Krankentaggeld und sonstige Unterstützung zur Finanzierung einer Aushilfe geht sein Geschäft langsam zu Grunde. «Es droht der Konkurs.»

Mit 44 Jahren steht Peterhans vor einem Scherbenhaufen. Er, der auszog, um zu helfen, fühlt sich im Stich gelassen.

Das sagen die Verantwortlichen

Die Militärversicherung will seinen Fall aufgrund des laufenden Verfahrens nicht kommentieren.

Das Aussendepartement (EDA) betont: Das Wohlergehen der Mitglieder des Humanitären Korps habe oberste Priorität. Das Departement räumt auch ein: Bei Nothilfeaktionen seien die Mitglieder des SKH sehr oft Extremsituationen ausgesetzt. «Nach dem Tsunami 2004 – einer Jahrhundert-Katastrophe – gab es bei mehreren Personen starke Reaktionen.» Posttraumatische Belastungsstörungen träten «glücklicherweise» sehr selten auf.

Das EDA hält fest, dass es sich im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall «mehrmals schriftlich an die Militärversicherung gewandt und dieser die teilweise sehr schwierige und belastende Natur der Einsätze des SKH dargelegt» habe.

Für Peterhans ein schwacher Trost. Er hofft, dass er möglichst bald Zugang zu einem Anwalt erhält. Zurzeit vertritt er sich selber. Die Suva hat ihm mitgeteilt, die Behandlung seiner Einsprache könne noch bis zu einem Jahr dauern.

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10 Jahre nach dem Tsunami.
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10 Jahre nach dem Tsunami.
Vor zehn Jahren brachte der Tsunami unvorstellbare Zerstörung und grosses Leid. Am 26. Dezember 2014 gedenken Tausende den Opfern.
quelle: epa/epa / narong sangnak
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Trauma-Bewältigung nach dem Tsunami in Indonesien
Video: srf
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79 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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T13
25.05.2019 19:23registriert April 2018
Wow schuld ist also der tod seiner mutter und nicht die masse an toten und verwundeten, welche er bei den einsätzen gesehen hat.
🤔
Schon witzig wie fadenscheinig sich versicherungen, ob privat oder sonstige, drücken wenns ums bezahlen geht.
Aber beiträge kassieren sie gern.
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SBP
25.05.2019 19:32registriert Mai 2018
Typisch Versicherungen, ein Leben lang soll man brav einzahlen und wenn man mal berechtigte Ansprüche auf Leistungen hat, muss man sich sein Recht erstreiten.
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Eine_win_ig
25.05.2019 19:23registriert Dezember 2016
"Das Aussendepartement (EDA) betont: Das Wohlergehen der Mitglieder des Humanitären Korps habe oberste Priorität."

BULLSH*T!

Und nicht nur dort, auch bei anderen, die auf SUVA und Militärversicherung angewiesen sind.
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