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Das sind die Knorze mit Volksinitiativen 

Zunehmend erfolgreiches Politinstrument: Die Übergabe von gesammelten Unterschriften für Volksinitiativen wird mitunter medienwirksam in Szene gesetzt.
Zunehmend erfolgreiches Politinstrument: Die Übergabe von gesammelten Unterschriften für Volksinitiativen wird mitunter medienwirksam in Szene gesetzt.Bild: KEYSTONE
Neue Praxis soll Abhilfe schaffen

Das sind die Knorze mit Volksinitiativen 

Die Probleme mit Volksinitiativen haben zugenommen – jetzt sucht die Politik nach Lösungen. Das gefällt längst nicht jedem.
23.06.2014, 03:2823.06.2014, 08:55
Doris Kleck / Aargauer Zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Lange galt es als eine Sensation, wenn eine Volksinitiative an der Urne eine Mehrheit fand. Entsprechend sorglos gingen die Parlamentarier mit Volksbegehren um. «In dubio pro populo» lautet die Devise: Selbst wenn eine Initiative rechtsstaatliche Prinzipien ritzte oder Völkerrecht verletzte, hütete man sich davor, sie für ungültig zu erklären, und liess das Volk darüber abstimmen. Diese Praxis gerät ins Wanken. Gleich auf mehreren Ebenen laufen Bestrebungen, den Volksinitiativen engere Grenzen zu setzen. 

So machte gestern die «SonntagsZeitung» publik, dass eine Denkgruppe namens Democrazia Vivainta im Auftrag der Bundeskanzlei ein Thesenpapier zur Reform der politischen Rechte formuliert hat. Sie kritisiert, dass die direktdemokratischen Instrumente zu parteipolitischen und populistischen Zwecken genutzt würden: «Die Volksinitiative wandle sich von einem Sach- zu einem Machtinstrument.» 

Die Bundeskanzlei bestätigte gestern die Existenz der Gruppe, wehrte sich aber gegen den Vorwurf, Volksrechte abbauen zu wollen. Es sei ihre Aufgabe, künftige Entwicklungen im Bereich der politischen Rechte zu antizipieren. Parallel dazu arbeiten das Justiz- und das Aussendepartement sowie die Bundeskanzlei im Auftrag des Bundesrates an Lösungen zum Verhältnis von Volksinitiativen und Völkerrecht. 

Die Gruppe soll dem Bundesrat ein Aussprachepapier mit «politisch aussichtsreichen Lösungsmöglichkeiten» vorlegen. Aktiv ist zudem auch das Parlament. Die staatspolitische Kommission des Ständerates debattiert an ihrer heutigen Sitzung, ob die Gültigkeitskriterien für Initiativen präzisiert und ausgeweitet werden müssen. 

Jetzt auf

Alle Akteure suchen Antworten auf dieselben Probleme: 

  • Seit dem Jahr 2000 hat das Volk vier Initiativen angenommen, die internationale Verträge tangieren oder gar verletzten – und deren Umsetzung problematisch ist. Ein Beispiel dafür ist die SVP-Ausschaffungsinitiative, die im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht und überdies das Verfassungsprinzip der Verhältnismässigkeit verletzt. 
  • Im Zusammenhang mit problematischen Volksinitiativen stellt sich die Frage, ob diese nicht inhaltlich vorgeprüft werden sollen. Heute muss eine Initiative nur formelle Kriterien erfüllen, bevor sie lanciert werden kann. Politisch chancenlos ist eine Vorprüfung durch das Bundesgericht. Die Gruppe Democrazia Vivainta schlägt deshalb vor, dass das Parlament eine verbindliche Vorprüfung von Initiativen macht. 
  • Die Ecopop-Initiative, die die Reduktion der Zuwanderung mit der Entwicklungshilfe im Bereich der Geburtenkontrolle fordert, warf die Frage auf, wie eng das Kriterium «Einheit der Materie» bei der Gültigkeitserklärung gefasst werden soll. 
  • Um eine Verschärfung der Gültigkeitskriterien dreht sich auch die aktuelle Debatte um die Erbschaftssteuerinitiative. Die Initianten wollen eine Erbschaftssteuer zugunsten der AHV einführen. Die Initiative sieht eine Rückwirkung vor, welche die Staatspolitische Kommission unter die Lupe nehmen will, um nicht ein neues Präjudiz zu schaffen und zu verhindern, dass die nächsten Initianten noch «dreister» werden. 
  • Ein neues Phänomen ist die Durchsetzungsinitiative, wie sie die SVP lancierte, um das Parlament bei der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative unter Druck zu setzen. Die Durchsetzungsinitiative ist im Prinzip ein ausformulierter Gesetzestext. Für Ständerätin Verena Diener, die die Staatspolitische Kommission präsidiert, stellt sich deshalb die Frage, ob eine Durchsetzungsinitiative in dieser Form gültig ist. Denn die Einführung einer Gesetzesinitiative hat man bislang abgelehnt. 
  • Um die Flut an Initiativen einzudämmen, stellt sich schliesslich die Frage, ob die Unterschriftenzahl erhöht werden soll. 
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