Als «alternativlos» hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihre Politik wiederholt bezeichnet, etwa während der Griechenland-Krise. In einer Demokratie ist dies ein problematischer Begriff, der in Deutschland prompt zum Unwort des Jahres 2010 gewählt worden war. Behauptungen dieser Art drohten, «die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken», hielt die Jury fest.
Der Abstimmungskampf über die Energiestrategie 2050 ist ebenfalls von einer gewissen Alternativlosigkeit geprägt. Allerdings sind es nicht die Befürworter um Bundespräsidentin Doris Leuthard, die das neue Gesetz als ultimative Lösung propagieren. Vielmehr trifft der Vorwurf die Gegner, die in den letzten Umfragen vor der Abstimmung vom 21. Mai leicht aufgeholt haben.
Ihre Motive sind unterschiedlich, doch eines haben sie gemeinsam: Sie haben keinen Plan B, oder nur eine diffuse Vorstellung, wie es nach einem Nein weitergehen soll. Sie wissen in erster Linie, was sie nicht wollen. Sie warnen vor hohen Kosten, einer «Subventionitis» nach der Aufstockung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV), einer «Verschandelung» der Landschaft durch Windanlagen und einer «Stromlücke» im Winter.
Das Referendumskomitee, das überwiegend aus Vertretern der SVP besteht, hat auf seiner Website ein Argumentarium im Umfang von 30 Seiten aufgeschaltet. Darin wird wortreich geschildert, was man NICHT will. Wie ein besseres Energiegesetz aussehen soll, erfährt man nicht.
Etwas konkreter wird das Komitee «Energiegesetz – so nicht!», dem einige FDP-Politiker sowie Wissenschaftler und Ingenieure angehören. Unter der Rubrik «Nach einem Nein» skizziert es eine Art Forderungskatalog für eine neue Vorlage. Darin müssten unter anderem der Bau von neuen Grosskraftwerken und «vernachlässigte Themen wie Stromnetzausbau und neue Stromimportverträge» angepackt werden.
Das alles könne nur geschehen, «wenn die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zum Energiegesetz NEIN sagen». Eine vollmundige Behauptung, denn die beiden letzten Punkte sind Bestandteil des Stromversorgungsgesetzes, dessen Revision derzeit im Parlament beraten wird. Das gilt auch für das geforderte neue Modell für die Wasserkraft. Es dominiert der Eindruck, dass das Komitee die Taube auf dem Dach jagen will, statt den «Spatz in der Hand» zu ergreifen.
Weniger ambitiös gibt sich das Wirtschaftskomitee gegen das Energiegesetz. Es beschränkt sich weitgehend auf die Frage, wie «die wegfallenden Produktionskapazitäten zu jeder Jahreszeit zu ersetzen sind». Konkrete Lösungsvorschläge aber vermisst man. An der Medienkonferenz des Komitees konnte man immerhin erfahren, dass Gaskraftwerke im Vordergrund stehen.
Einen anderen Akzent setzt das Umwelt-Komitee gegen das Energiegesetz, das mit Begriffen wie «Vögel schreddern?» oder «Schweiz verschandeln?» vor dem Bau von Windkraftwerken warnt. Drückt man auf seiner Website auf den Button «Alternativen», landet man auf einer Seite, die die Photovoltaik anpreist. Andere Gegner bezeichnen diese Art der Energiegewinnung als «Flatterstrom».
Die Alternativlosigkeit der Energiegesetz-Gegner kommt nicht von ungefähr. Viele würden wohl gerne neue Atomkraftwerke bauen. Doch sie wurden von der Realität eingeholt: Neue AKW sind zu teuer und zu wenig rentabel. Es erstaunt deshalb wenig, dass sie kaum noch über dieses Thema sprechen. Als Alternative bleiben wohl nur die ungeliebten Gaskraftwerke.
Andere propagieren eine totale Liberalisierung des Strommarktes. Der private Verbraucher würde davon profitieren. Die teilweise mit hohen Verlusten kämpfenden Stromkonzerne aber wären weit weniger begeistert. Und das Versorgungsproblem ist damit nicht gelöst. Die Schweiz wäre wohl noch stärker von Importen und vor allem einem Stromabkommen mit der EU abhängig.
Es gehört zu Abstimmungen, dass Gegner einer Vorlage in erster Linie Nein sagen. So war es auch bei der Unternehmenssteuerreform III. Die linksgrünen Gegner haben die einst versprochenen Alternativ-Vorschläge bis heute nicht vorgelegt. Dennoch würde man beim Energiegesetz mehr erwarten als Warnungen vor kalten Duschen oder absurd hohen Kosten.
Die Energiestrategie 2050 mag nicht der grosse Wurf sein, den der Name andeutet. Sie bietet aber eine brauchbare Grundlage und lässt alle Optionen offen, inklusive Grosskraftwerke. Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser, ein eifriger Befürworter des Gesetzes, bezeichnete es im Gespräch mit watson als «sehr pragmatisch». Man müsse es einfach ausprobieren.