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Energiegesetz: Die Gegner haben keine brauchbaren Alternativen

Une affiche inviant a voter non pour la loi sur l'energie photographiee ce mardi 9 mai 2017 a Lausanne. Le 21 mai 2017 le peuple suisse va voter sur la loi federale sur l'energie (LEne). (KE ...
Ein Plakat der Energiegesetz-Gegner.Bild: KEYSTONE
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Das Energiegesetz ist «alternativlos»: Die Gegner wissen nur, was sie NICHT wollen

Mit grossem Aufwand kämpfen mehrere Nein-Komitees gegen das neue Energiegesetz. In den Umfragen holen sie auf. Ihre Alternativen bei einer Ablehnung aber sind inexistent oder diffus.
12.05.2017, 08:4315.05.2017, 09:25
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Als «alternativlos» hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihre Politik wiederholt bezeichnet, etwa während der Griechenland-Krise. In einer Demokratie ist dies ein problematischer Begriff, der in Deutschland prompt zum Unwort des Jahres 2010 gewählt worden war. Behauptungen dieser Art drohten, «die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken», hielt die Jury fest.

Der Abstimmungskampf über die Energiestrategie 2050 ist ebenfalls von einer gewissen Alternativlosigkeit geprägt. Allerdings sind es nicht die Befürworter um Bundespräsidentin Doris Leuthard, die das neue Gesetz als ultimative Lösung propagieren. Vielmehr trifft der Vorwurf die Gegner, die in den letzten Umfragen vor der Abstimmung vom 21. Mai leicht aufgeholt haben.

Pierre Berger, JUVENT employee in charge of security and maintenance stand on a wind turbine of 150m overall height at the JUVENT power plant on the Mont-Soleil in Saint-Imier, Switzerland on Wednesda ...
Windturbinen auf dem Mont Crosin im Berner Jura.Bild: KEYSTONE

Ihre Motive sind unterschiedlich, doch eines haben sie gemeinsam: Sie haben keinen Plan B, oder nur eine diffuse Vorstellung, wie es nach einem Nein weitergehen soll. Sie wissen in erster Linie, was sie nicht wollen. Sie warnen vor hohen Kosten, einer «Subventionitis» nach der Aufstockung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV), einer «Verschandelung» der Landschaft durch Windanlagen und einer «Stromlücke» im Winter.

30 Seiten Nein

Das Referendumskomitee, das überwiegend aus Vertretern der SVP besteht, hat auf seiner Website ein Argumentarium im Umfang von 30 Seiten aufgeschaltet. Darin wird wortreich geschildert, was man NICHT will. Wie ein besseres Energiegesetz aussehen soll, erfährt man nicht.

Etwas konkreter wird das Komitee «Energiegesetz – so nicht!», dem einige FDP-Politiker sowie Wissenschaftler und Ingenieure angehören. Unter der Rubrik «Nach einem Nein» skizziert es eine Art Forderungskatalog für eine neue Vorlage. Darin müssten unter anderem der Bau von neuen Grosskraftwerken und «vernachlässigte Themen wie Stromnetzausbau und neue Stromimportverträge» angepackt werden.

Die Taube auf dem Dach

Das alles könne nur geschehen, «wenn die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zum Energiegesetz NEIN sagen». Eine vollmundige Behauptung, denn die beiden letzten Punkte sind Bestandteil des Stromversorgungsgesetzes, dessen Revision derzeit im Parlament beraten wird. Das gilt auch für das geforderte neue Modell für die Wasserkraft. Es dominiert der Eindruck, dass das Komitee die Taube auf dem Dach jagen will, statt den «Spatz in der Hand» zu ergreifen.

Weniger ambitiös gibt sich das Wirtschaftskomitee gegen das Energiegesetz. Es beschränkt sich weitgehend auf die Frage, wie «die wegfallenden Produktionskapazitäten zu jeder Jahreszeit zu ersetzen sind». Konkrete Lösungsvorschläge aber vermisst man. An der Medienkonferenz des Komitees konnte man immerhin erfahren, dass Gaskraftwerke im Vordergrund stehen.

Lob dem «Flatterstrom»

Einen anderen Akzent setzt das Umwelt-Komitee gegen das Energiegesetz, das mit Begriffen wie «Vögel schreddern?» oder «Schweiz verschandeln?» vor dem Bau von Windkraftwerken warnt. Drückt man auf seiner Website auf den Button «Alternativen», landet man auf einer Seite, die die Photovoltaik anpreist. Andere Gegner bezeichnen diese Art der Energiegewinnung als «Flatterstrom».

Die Alternativlosigkeit der Energiegesetz-Gegner kommt nicht von ungefähr. Viele würden wohl gerne neue Atomkraftwerke bauen. Doch sie wurden von der Realität eingeholt: Neue AKW sind zu teuer und zu wenig rentabel. Es erstaunt deshalb wenig, dass sie kaum noch über dieses Thema sprechen. Als Alternative bleiben wohl nur die ungeliebten Gaskraftwerke.

Auf Importe setzen?

Andere propagieren eine totale Liberalisierung des Strommarktes. Der private Verbraucher würde davon profitieren. Die teilweise mit hohen Verlusten kämpfenden Stromkonzerne aber wären weit weniger begeistert. Und das Versorgungsproblem ist damit nicht gelöst. Die Schweiz wäre wohl noch stärker von Importen und vor allem einem Stromabkommen mit der EU abhängig.

Es gehört zu Abstimmungen, dass Gegner einer Vorlage in erster Linie Nein sagen. So war es auch bei der Unternehmenssteuerreform III. Die linksgrünen Gegner haben die einst versprochenen Alternativ-Vorschläge bis heute nicht vorgelegt. Dennoch würde man beim Energiegesetz mehr erwarten als Warnungen vor kalten Duschen oder absurd hohen Kosten.

Wirst du das neue Energiegesetz annehmen?

Die Energiestrategie 2050 mag nicht der grosse Wurf sein, den der Name andeutet. Sie bietet aber eine brauchbare Grundlage und lässt alle Optionen offen, inklusive Grosskraftwerke. Der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser, ein eifriger Befürworter des Gesetzes, bezeichnete es im Gespräch mit watson als «sehr pragmatisch». Man müsse es einfach ausprobieren.

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206 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Toerpe Zwerg
12.05.2017 09:36registriert Februar 2014
Auch wenn es die Befürworter noch oft und unredlich wiederholen:

Wir stimmen nicht über die Energiestrategie 2050 ab, sondern über ein Energiegesetz.

Wir stimmen über ein Gesetz ab, welches willkürliche Verbrauchsziele setzt, einen viel zu engen technologischen Rahmen vorgibt, eine viel zu lange Zeitdauer determiniert, der Regierung viel zu viel Macht zuschanzt und riesige Fehlinvestitionen auslösen wird - und bei welchem die Regierung durch Geldverteilen an Interessengruppen deren Zustimmung erkauft hat.

Eine Ablehnung des Energiegesetzes ist keine Ablehnung einer Energiewende.
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Ökonometriker
12.05.2017 09:30registriert Januar 2017
Ökonomisch lässt sich einwandfrei zeigen, dass dieses Gesetz hochgradig ineffizient ist und sehr gute Alternativen existieren würden. Beispielsweise eine staatsquotenneutrale Lenkungsabgabe auf CO2.

Wenn man schon Energieplanwirtschaft einführen und gewisse Kraftwerkstypen subventionieren will, dann sollten diese Subventionen wennschon aus dem Steuertopf kommen - und nicht von einer Abgabe, welche Grossverbraucher bevorteilt. Sonst bezahlen die Kleinen, während die Grossen kassieren.

Das Energiegesetz ist nicht alternativlos. Es gäbe auch effiziente und gerechte Lösungen.
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hul
12.05.2017 10:12registriert Mai 2017
Die Energiewende kommt mit oder ohne Energiegesetz. AKWs werden auch ohne Energiegesetz nicht mehr gebaut. Es geht also im Grunde nur noch darum, wieviel uns die Umstellung kosten soll, resp. ob Subventionen effizient sind oder vielleicht nicht besser mit anderen Methoden, z.B. Lenkungsabgaben, nachgeholfen wird.
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