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Interview

Babbel-Gründer im Interview: Sprachlern-Apps bleiben wichtig

Verrät, warum er Mandarin für überschätzt hält: der Gründer der Sprachlern-App Babbel.
Verrät, warum er Mandarin für überschätzt hält: der Gründer der Sprachlern-App Babbel.bild: babbel
Interview

«Herr Witte, wozu sind Sprachlern-Apps wie Babbel noch gut?»

Babbel-Gründer Markus Witte ist überzeugt, dass Menschen auch dann noch Fremdsprachen lernen, wenn Algorithmen simultan übersetzen. Und er weiss, welche Sprache Schweizer am liebsten büffeln.
12.12.2017, 17:55
Raffael Schuppisser, Berlin / Nordwestschweiz
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«‹Gamification› funktioniert nur kurzfristig. Am meisten motiviert der Lernerfolg.»
Markus Witte

Der Hauptsitz von Babbel befindet sich an bester Lage in Berlin Mitte. Hier arbeiten mehr als 500 Mitarbeiter aus 45 Nationen für die Sprachlern-App. Eine Million Menschen nutzen Babbel, um damit eine Fremdsprache zu lernen.

Für das Interview mit Gründer und CEO Markus Witte begeben wir uns nach Afrika, in den ersten Stock des Bürogebäudes. Bei Babbel ist jede Etage nach einem anderen Kontinent benannt, Sitzungszimmer tragen Namen von Ländern – und in der Mitarbeiterküche riecht es gleichzeitig nach Thai Curry und Wienerschnitzel. Hier spiegelt sich die grosse Welt im Kleinen – und natürlich wird in verschiedenen Sprachen kommuniziert.

Herr Witte, wie viele Sprachen sprechen Sie?
Markus Witte: Ich spreche ganz gut Französisch, Englisch und natürlich Deutsch. Mit Italienisch komme ich auch durch. Spanisch und Portugiesisch gehen so halbwegs.

Ganz schön viel. Wie viele davon haben Sie mit Babbel gelernt?
Mein Französisch und Italienisch habe ich mit Babbel verbessert. Spanisch und Portugiesisch habe ich komplett mit unserer App gelernt.

Sie führen ein Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten. Kommen Sie da noch dazu, mit Babbel neue Sprachen zu lernen?
Das ist ja der Clou an unserer App: Man kann sie auch dann nutzen, wenn man nur wenige Minuten Zeit hat – und die findet man auch während eines ausgefüllten Tages.

Maruks Witte, CEO Babbel
Markus Witte hat Kulturwissenschaften studiert.Bild: Ostkreuz

Mit der App kann man 14 Sprachen lernen. Warum nicht auch Mandarin?
Damit decken wir die Wünsche der meisten Nutzer ab. Mandarin lernen gehört zu den Dingen, über die man gerne spricht, aber sie nicht macht. Da die Sprache fast nichts mit europäischen Sprachen gemeinsam hat und erst noch über ein anderes Zeichensystem verfügt, ist sie sehr schwierig zu lernen. Der Markt für Mandarin als Lernsprache ist etwa halb so gross wie für Russisch – also ziemlich klein. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Mandarin eine Weltsprache wird. Im Gegenteil: Chinesen lernen immer besser Englisch.

Markus Witte
Markus Witte hat Babbel zusammen mit drei Geschäftspartnern 2007 gegründet. Mittlerweile erreicht die Sprachlern-App mehr als eine Million zahlende Nutzer. Die Firma beschäftigt in Berlin mehr als 500 Angestellte und hat einen Zweitsitz in New York. Markus Witte interessierte sich schon früh für Computer und lernte mit 14 programmieren, entschied sich dann aber nicht für ein Informatikstudium, sondern für Kulturwissenschaften. Er bezeichnet sich selber als Generalist und Digital Native – wohlwissend, dass der Begriff eigentlich für die Generation nach ihm kreiert worden ist.

Eigentlich spricht ja ohnehin die ganze Welt Englisch. Warum muss man da noch eine weitere Fremdsprache lernen?
Natürlich kann man nach Rom fahren und kommt mit Englisch durch. Doch wenn man Italienisch spricht, hat man eine völlig andere Reiseerfahrung. Weil man so näher an die Menschen rankommt. Das wird auch in Zukunft so sein.

Skype übersetzt mittlerweile simultan von Englisch auf Spanisch. Muss man irgendwann gar keine Fremdsprachen mehr lernen, weil eine App ständig alles übersetzt?
In manchen Situationen wird ein solcher Echtzeitübersetzer sehr nützlich sein – so wie heute zum Teil Gespräche von einem Dolmetscher übersetzt werden. Solche Gespräche verlaufen aber anders als in einer gemeinsamen Sprache. Denn mit einer Sprache vermittelt man ja nicht nur Informationen, in jeder Sprache steckt auch eine Art zu denken. Wenn wir die nicht kennen, kommen wir nie ganz nahe an die Menschen heran.

Der Knopf im Ohr, der alle Sprachen übersetzt, ist also nicht das Ende von Babbel?
Nein, im Gegenteil: Er führt dazu, dass wir mit noch mehr Menschen in Kontakt kommen, die andere Sprachen sprechen, und das ist der stärkste Treiber zum Lernen einer Sprache.

Nun ist bald Januar, ein guter Zeitpunkt, um mit dem Lernen einer neuen Fremdsprache zu beginnen.
Absolut. Das denken auch viele. Im Januar schnellen unsere Nutzerzahlen jeweils in die Höhe. Ebenso im September, wenn die Leute von den Ferien zurückkommen und sich sagen: Das nächste Mal, wenn ich dahin fahre, will ich die Sprache sprechen.

Kann denn eine Sprach-App den Lehrer ersetzen?
Nein. Das war auch nie unser Ansatz. Es geht beim Sprachenlernen um menschliche Kommunikation, und die geht zwischen Menschen immer am besten. Aber Apps haben gegenüber dem traditionellen Sprachenunterricht auch Vorteile: Oft ist es Neueinsteigern unangenehm, sich gleich in einen Kurs zu begeben – sie wollen zuerst für sich allein lernen. Mit der App kann man immer dann lernen, wenn man Zeit hat, und muss sich nicht nach Unterrichtsterminen richten. Ausserdem ist die App natürlich viel billiger. Wir sehen aber, dass Nutzer, die zuerst mit der App beginnen, später oft auch in Sprachkurse gehen.

Heisst das, dass die App für Anfänger ganz gut ist, sie aber einen kaum mehr weiterbringt, wenn man schon fortgeschritten ist?
Mit einer App allein kommt man bis Mittelstufen-Niveau. Das ist eigentlich schon ziemlich weit. Damit kann man schon verzweigte Gespräche führen und sich in verschiedenen Zeitformen ausdrücken. Danach sollte man auch andere Lernmethoden hinzunehmen. Generell gilt: Je mehr Methoden man kombiniert, desto besser. Wenn man zusätzlich Filme in der Fremdsprache schaut und Radio hört, ist das sehr hilfreich.

Mit Sprachenlernen ist es ja wie mit Sport: Man muss die Menschen motivieren, ständig dranzubleiben. Wie machen Sie das?
Lange war in der Industrie viel von «Gamification» die Rede. Das Lernen müsse einfach wie ein Spiel aufgebaut sein, dann gehe es quasi von allein, war eine weitverbreitete Vorstellung. Das funktioniert aber nur kurzfristig. Am meisten motiviert der Lernerfolg: Leute bleiben nicht dabei, weil sie Punkte sammeln oder Pokale gewinnen, sondern weil sie merken, dass sie die Sprache besser sprechen und verstehen. Ausserdem optimieren wir die App ständig. Wir schauen uns anonymisierte Nutzerdaten an. Steigen an einem Punkt besonders viele Lernende aus, wissen wir, dass wir was verbessern müssen.

Was können Sie über die Schweizer Nutzer sagen? Wie unterscheiden sich diese beispielsweise von den deutschen Nutzern?
Es ist wirklich so, dass die Stereotype zutreffen. Schweizer sprechen generell mehr Fremdsprachen als Deutsche. Das Interesse am Sprachenlernen ist grösser und die Bereitschaft, dafür Geld auszugeben, auch. Deshalb ist die Schweiz für uns, auch wenn sie ein kleines Land ist, ein wichtiger Markt. Am häufigsten lernen Schweizer bei uns Englisch, dann folgt Spanisch.

Die Nutzung der Babbel-App kostet monatlich rund 10 Franken. Andere Sprachlern-Apps sind gratis. Können Sie dagegen langfristig bestehen?
Gratisprodukte werden für Anbieter langfristig zum Problem, weil man damit meistens nicht viel Geld verdient. Wir hingegen haben ein funktionierendes Geschäftsmodell und ein Produkt, das sich durch hohe Qualität auszeichnet. Unsere Inhalte werden von 150 Sprachlehrern generiert – das können sich andere nicht leisten. Für viele Nutzer ist die eigene Zeit wertvoller als die paar Franken, die das Produkt kostet. Sie denken sich also: Wenn ich schon meine Zeit investiere, dann soll es auch die beste App sein.

Sie haben Kulturwissenschaften studiert. Wie kommt man mit diesem Hintergrund dazu, ein Tech-Start-up zu gründen?
Ein Start-up zu gründen, ist ja auch für Informatiker oder Betriebswissenschafter nicht üblich. Start-up-Gründer sind per se Ausnahmen. Man lernt aber auch in einem generalistischen Studium viel, das einem als Unternehmer zugutekommt. Zum Beispiel produktiv mit Unbestimmtheit und Unklarheit umzugehen. Menschen, die viel Ordnung brauchen, sind selten gute Unternehmer.

Babbel war nach eigenen Angaben bereits vier Jahre nach der Gründung profitabel. Viele der bekanntesten Tech-Start-ups sind es bis heute nicht. Was machen Sie anders?
Wir haben immer nur sparsam Investorengelder aufgenommen. Das ermöglichte uns, die Entwicklung der Firma fast ausschliesslich selber zu prägen und ein gesundes Wachstum anzustreben. Ausserdem befinden wir uns in einem relativ dankbaren Markt: Es können verschiedene Sprachlern-Apps gut parallel zueinander existieren. Man muss nicht möglichst schnell wachsen, weil nur der grösste Anbieter überlebt, wie das etwa bei sozialen Netzwerken der Fall ist.

Hat das auch was mit dem Standort zu tun? In Berlin sind die Löhne und die Mieten wesentlich tiefer als im Silicon Valley oder auch in Zürich.
Ja, das war immer ein Vorteil. Wir haben stets gute Leute in Berlin gefunden – oder solche, die motiviert waren, in die Stadt zu ziehen. Es herrscht hier auch ein anderer Geist. Viele ziehen ins Silicon Valley mit dem Ziel, schnell reich zu werden. Das ist in Berlin nicht so. Deshalb kann man hier mit einer langfristigen Strategie besser bestehen. Hier kann man sich zehn Jahre Zeit nehmen, um eine zahlende Million Nutzer zu erreichen wie wir. Im Silicon Valley geht das kaum.

In Zürich klagen Jungunternehmer über fehlende Investoren und ziehen deshalb direkt ins Silicon Valley. Wie ist das in Berlin?
Die erste Finanzierungsrunde ist in Berlin nicht einfach. Sobald man ein Geschäft entwickelt hat, das läuft, wird es natürlich einfacher. Ab einer gewissen Grösse sucht man das Kapital ohnehin auch im Ausland.

Was ist deine bevorzugte App zum Sprachenlernen?

(aargauerzeitung.ch)

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