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Belarus führt Regierungskritiker Protassewitsch erneut vor

«Missbrauch und Folter»: Belarus führt Regierungskritiker Protassewitsch erneut vor

Die Festnahme von Roman Protassewitsch löste internationale Empörung aus. Jetzt soll der belarussische Regierungskritiker in einem Video erneut ein Geständnis abgelegt haben. Sein Vater spricht von Folter.
04.06.2021, 08:28
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Roman Protassewitsch
Roman ProtassewitschBild: screenshot video
Ein Artikel von
t-online

Das staatliche belarussische Fernsehen hat am Donnerstagabend ein aufgezeichnetes Interview mit dem inhaftierten Regierungskritiker Roman Protassewitsch ausgestrahlt, das vermutlich unter Zwang entstand. Darin bekennt sich der sich offensichtlich unwohl fühlende 26-Jährige dazu, zu Protesten aufgerufen zu haben und lobt Machthaber Alexander Lukaschenko . Protassewitschs Vater sagte der Nachrichtenagentur AFP, es handle sich dabei um eine durch Folter erzwungene Aussage. Unterdessen kündigte Minsk Vergeltungsmassnahmen wegen der von den USA verhängten Sanktionen an.

Der belarussische Staatssender ONT hatte am Donnerstagvormittag einen Trailer des Studiointerviews mit Protassewitsch veröffentlicht und dieses als «emotionales» Spektakel beworben. Darin war Protassewitsch mit ernstem Gesicht zu sehen, im Hintergrund lief furchterregende Musik.

«Missbrauch, Folter und Drohungen»

«Ich kenne meinen Sohn sehr gut und ich glaube, dass er so etwas nie sagen würde», sagte der Vater des Regierungskritikers, Dmitri Protassewitsch, der Nachrichtenagentur AFP. Das Video sei als Ergebnis von «Missbrauch, Folter und Drohungen» entstanden.

«Sie haben ihn gebrochen und ihn gezwungen, das zu sagen, was nötig war», sagte Protassewitschs Vater. Es schmerze ihn, das Interview zu sehen. «Ich bin sehr besorgt.»

«Was auch immer er jetzt sagt, es ist reine Propaganda», sagte Wjasna-Chef Alex Bjaljazki vor der Ausstrahlung der Nachrichtenagentur AFP. Protassewitsch sei mit «unfairen, aber sehr ernsten Anschuldigungen» konfrontiert und so «mindestens psychologisch bedroht» und unter Druck gesetzt worden.

Vermutlich Hunderte in politischer Gefangenschaft

Protassewitsch und seine Partnerin waren am 23. Mai festgenommen worden, nachdem ihr Ryanair-Flug auf dem Weg von Athen nach Vilnius von einem belarussischen Kampfjet zur Landung in der Hauptstadt Minsk gezwungen worden war. Als Reaktion darauf sperrten die EU -Länder ihren Luftraum für Flugzeuge aus  Belarus  und sprachen ein Landeverbot aus. Airlines aus der EU riefen sie auf, das autoritär regierte Land nicht mehr zu überfliegen.

Die belarussischen Behörden werfen Protassewitsch vor, Anti-Regierungs-Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr organisiert zu haben. Nach der von massiven Betrugsvorwürfen überschatteten Wahl hatte es beispiellose Massenproteste gegeben, die Staatschef Lukaschenko niederschlagen liess. Tausende Demonstranten wurden festgenommen, viele berichteten über Folter. Nach Angaben von Wjasna sind derzeit 449 politische Gefangene in Haft.

Sanktionen gegen Belarus

Wegen der US-Sanktionen kündigte Belarus Vergeltungsmassnahmen an. «Wir können diese unfreundliche Vorgehensweise nicht unbeachtet lassen», erklärte der Sprecher des Aussenministeriums, Anatoli Glas, am Donnerstag. Demnach müssen die USA ihr diplomatisches Personal in Minsk abbauen, und die Visaverfahren für US-Bürger werden verschärft. Zudem widerriefen die belarussischen Behörden die Arbeitserlaubnis für die US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID).

Die USA hatten im April erneut Sanktionen gegen neun staatliche Unternehmen in Belarus verhängt, nachdem Lukaschenko Forderungen ignoriert hatte, politische Gefangene freizulassen. Die Massnahmen traten am Donnerstag in Kraft.

Vorwurf der Wahlfälschung

Die USA hatten bereits 2006 nach Wahlfälschungsvorwürfen Sanktionen gegen Belarus verhängt. 2008 verwies Lukaschenko in der Folge den US-Botschafter des Landes. 2015 setzte Washington die Strafmassnahmen aus und begrüsste Fortschritte. Seit Donnerstag sind sie nun wieder in Kraft.

Lukaschenko: Wegen Infos aus der Schweiz Ryanair-Maschine zum Landen gezwungen

Video: twitter

Ministeriumssprecher Glas bezeichnete sie als «illegal». «Sie widersprechen dem internationalen Recht und zielen darauf ab, Druck auf einen souveränen Staat auszuüben.» Zudem würden lediglich «gewöhnliche belarussische Bürger» unter den Sanktionen leiden.

Angespannte Beziehungen zwischen Belarus und den USA

Vergangene Woche hatte Washington wegen des Falls Protassewitsch noch einmal eine Verschärfung der Strafmassnahmen angedroht. Als Reaktion auf die Drohungen aus Minsk am Donnerstag sagte Aussenamtssprecher Ned Price in Washington, «unglücklicherweise» hätten die belarussischen Behörden «durch unerbittliche und sich verschärfende Repressionen gegen ihre Bürger» die Beziehungen an diesen Punkt gebracht.

Er betonte: «Botschafterin Fisher wird in der Lage sein, die demokratischen Bestrebungen des belarussischen Volkes weiterhin zu unterstützen.» Julie Fisher war Anfang des Jahres zur Botschafterin in Minsk ernannt worden, konnte ihren Posten vor Ort aber bislang nicht antreten.

(AFP/t-online)

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44 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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pamayer
04.06.2021 09:20registriert Januar 2016
Grauenhaft. Einfach grauenhaft.
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Don Alejandro
04.06.2021 09:25registriert August 2015
Europa im Jahre 2021...
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Wir (M)Ostschweizer*innen nun im Süden
04.06.2021 10:00registriert Juni 2019
...und dann kommt die Nachricht, man habe alles versucht aber er war nicht zu retten, RIP seiner Seele!
Leute echt jetzt, einfach zuschauen und schweigen?
Nichts machen, warten was kommt!
Hatten wie doch schön mal, Desitenten, Homosexuellen, Religiöse, Roma und Juden, ge.nau so fing es dazumal an. Also wacht auf, auch alle die in Belsrus immer noch dem Geld nachrennen, vorallem die aus der Ostschweiz!!
Oder wollt's ihr nachher behaupten Was! das wusste ich nicht!
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