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Tobias Stephan (33) ist einer der besten und routiniertesten Goalies der Liga, an einem guten Abend sogar der beste. Als Junior war er einer der besten der Welt und hexte die Schweiz 2001 ins Finale der U18-WM und war der beste Torhüter des Turniers. Aber in diesem Finale gehört er zu den tragischen Helden. Er ist ein sanfter Riese auf tönernen Füssen.
Wir finden im Buch der Bücher eine treffende Beschreibung dieses Problems, das Zug wohl den Titel kosten wird. Der Prophet Daniel schildert dem König von Babylon die Figur eines Traumbildes:
«Das Haupt des Riesen war von feinem Gold, seine Brust und seine Arme waren von Silber, sein Bauch und seinen Lenden waren von Kupfer, seine Schenkel waren von Eisen. Aber seine Füsse waren von Ton.»
So ist der Begriff vom Koloss oder Titanen oder Riesen auf tönernen Füssen in die Welt gekommen. So ist etwa das einstige Weltreich der Sowjetunion wegen der wirtschaftlichen Schwäche als «Koloss auf tönernen Füssen» bezeichnet worden. Was ja tatsächlich so war.
Im Eishockey treffen wir diese Redewendung äusserst selten an. Doch in diesen Tagen hilft sie zu verstehen, warum der EV Zug im Finale in Rücklage geraten ist.
Zugs Torhüter Tobias Stephan ist ein sanfter, flinker Riese. 192 Zentimeter gross und 85 Kilo schwer. Die perfekte Goalie-Postur. Im 21. Jahrhundert werden die Stürmer kleiner und die Torhüter grösser.
Der ehemalige Klotener Junior ist, wie die meisten grossen, modernen Goalies, ein «Butterfly-Stilist». Er geht in die Knie, die Schoner werden wie Schmetterlings-Flügel auf dem Eis aufgestellt und Schüsse auf die obere Hälfte des Tores wehrt er mit Armen, Fanghand und mit seinem ganzen Körper ab. Weil «Butterfly-Goalies» unten mit ihren Schonern zumachen, versuchen die Stürmer, ihn durch hohe Schüsse zu überwinden.
Berns grosser Bandengeneral Kari Jalonen achtet auf alle Einzelheiten. Sein Team, zu dem auch Torhütertrainer Reto Schürch (einst auch ein Butterfly-Spezialist) gehört, hat Tobias Stephans Stärken und Schwächen mit wissenschaftlicher Akribie analysiert. Was im Zeitalter der Bildermaschinen ja nicht so schwierig ist.
Dabei haben die Berner eine überraschende Schwäche des Zuger Schlussmannes entdeckt. Dieser wehrhafte Riese steht im besten Wortsinne auf tönernen Füssen. Er ist oft nicht dazu in der Lage, flach geschossene Pucks oder Abpraller, die zu seinen Füssen liegen, abzuwehren oder zu blockieren. Eigentlich eine untypische Schwäche eines Butterfly-Stilisten.
Tatsächlich hat Tobias Stephan, der zuvor die Zuger mit einer famosen Fangquote von über 93 Prozent zum ersten Mal seit 1998 ins Finale getragen hatte, gegen den SCB eine verheerende statistische Bilanz. Im ersten Spiel wehrte er lediglich 88,10 Prozent der Pucks ab. In der zweiten Partie waren es sogar nur noch 86,96 Prozent.
In erster Linie, weil er tatsächlich ein Riese auf tönernen Füssen war. Vier entscheidende Treffer kassierte er nach dem gleichen Grundmuster: er machte unten nicht dicht und vermochte entweder den herumliegenden Puck nicht zu blockieren oder liess ihn durch die Schoner rutschen. Beim 2:0 und 4:0 im ersten Spiel (Endstand 0:5) und beim 1:2 und 2:3 (Endstand 2:4) in der zweiten Partie.
Eher referieren Hockey-Trainer in aller Öffentlichkeit über ihre sexuellen Vorlieben als über Schwächen ihrer Torhüter. Das Thema ist schlichtweg tabu. Auch Zugs Harold Kreis ist ein Hexenmeister der Torhüter-Diplomatie. Als er nach der zweiten Partie in Zug zum fatalen, haltbaren dritten Gegentreffer befragt wird, schaut er gen Himmel, tut so, als denke er nach und sagt: «Ich sehe die Szene nicht vor mir.» Er müsse erst das Video anschauen.
Kein Eishockey-Trainer, der bei Sinnen ist, kritisiert seinen Torhüter in der Öffentlichkeit. Vielmehr muss er das Ego und das Selbstvertrauen seines Schlussmannes hegen und pflegen wie kostbares chinesisches Porzellan. Zerbricht es, ist alles Geschirr in der Kabine zerschlagen.
Ob Zug noch einmal in diese Serie zurückkehren kann, hängt inzwischen fast ausschliesslich davon ab, ob Tobias Stephan dazu in der Lage ist, unten dicht zu machen. Ein guter Torhüter ist gegen diesen SCB nicht gut genug. Zug braucht einen grossen, überragenden, aussergewöhnlichen Goalie.
Tobias Stephan hat noch nie einen Titel gewonnen.