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Gut hatte Sven Bärtschi die Koffer dabei – wie ein Schweizer die rauen Sitten der NHL erlebt

Sven Bärtschi vor zwei Wochen im Spiel gegen die Anaheim Ducks – einer von erst 14 Einsätzen in dieser Saison.
Sven Bärtschi vor zwei Wochen im Spiel gegen die Anaheim Ducks – einer von erst 14 Einsätzen in dieser Saison.Bild: AP/The Orange County Register
Ab ins Farmteam

Gut hatte Sven Bärtschi die Koffer dabei – wie ein Schweizer die rauen Sitten der NHL erlebt

Sven Bärtschi (22) hat das Potenzial zur grossen NHL-Karriere. Aber er muss auf gepackten Koffern leben – damit er immer und überall sofort ins Farmteam geschickt werden kann. Nun ist es wieder mal soweit.
09.12.2014, 21:2509.12.2014, 22:05
Klaus Zaugg, Toronto
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Davon, wie rau das NHL-Geschäft sei, ist viel die Rede. Aber wie rau es wirklich ist, überrascht dann doch, wenn man es vor Ort miterlebt.

Dienstag, 9. Dezember, Toronto, Air Canada Centre, 11.30 Uhr. Die Calgary Flames machen ihr Warm Up zum Abendspiel. Dabei ist auch Sven Bärtschi. Er absolviert ab 12 Uhr mit ein paar anderen Spielern, die am Abend nicht zum Einsatz kommen werden, noch 40 Minuten Extra-Training. Damit er in Form bleibt.

Nach dem Training ist die Kabine für die Reporter offen. So wie das der Brauch ist in der NHL. Auch in der Gästekabine heften die Helfer bei jedem Spind den Namen des Spielers an. Nur für Sven Bärtschi hat es keinen Spind mehr. So stellt man ihm einen Stuhl hin und pappt sein Namensschild an die Wand. Symbolisch für einen, dem bald der Stuhl vor die Türe gestellt wird.

Um 13 Uhr ist Bärtschi frisch geduscht, gebürstet und gekämmt. Er weiss noch nicht, dass er ins Farmteam muss. Aber er ahnt es. Es gibt die Redewendung «auf gepackten Koffern leben». Sie stammt aus Zeiten, als Menschen auch in Westeuropa bereit sein mussten, von einer Stunde auf die andere die Heimat zu verlassen. Diese Redewendung hat noch heute ihre Gültigkeit. In der NHL. Für Sven Bärtschi.

Bärtschi in der Partie gegen Tampa.
Bärtschi in der Partie gegen Tampa.Bild: Chris O'Meara/AP/KEYSTONE

Packbefehl: Alles!

Calgary ist nämlich am Montag zu einem Roadtrip mit Partien in Toronto, Buffalo, Pittsburgh und Chicago aufgebrochen. Bärtschi hat den Befehl erhalten, alle seine Sachen – den ganzen Haushalt also – mitzunehmen. Damit er während der Reise jederzeit ins Farmteam (Adirondack Flames) nach Glens Falls (im Staat New York) geschickt werden kann. Wäre ja dumm, noch das Geld für einen Rückflug nach Calgary und dann erneut einen Flug an die Ostküste zu verschwenden. In der Kabine in Toronto hat jeder Spieler seinen Spind.

«Kein Problem», sagt Bärtschi dazu. «Ich war diese Saison schon mal im Farmteam und habe die meisten Sachen dort gelassen. Nun hat alles in einem Koffer Platz und den habe ich dabei.»

Bärtschi: «So ist das Geschäft hier»

Kann er denn sein Selbstvertrauen unter diesen besonderen Umständen intakt halten? «Früher hätte ich damit Probleme gehabt. Inzwischen darf ich sagen, dass ich mental noch nie so stark war. So ist das Geschäft hier.»

Wir plaudern angeregt. Da kommt einer der Helfer und holt Sven Bärtschi ins Trainerbüro. Ein paar Minuten später kehrt er zurück. Er hat den Marschbefehl ins Farmteam erhalten. Kaum eine halbe Stunde nach seinem letzten Training mit dem NHL-Team. Gegen 13.30 Uhr verlässt er das Air Canada Centre. Er muss pressieren. Bereits am Mittwochabend tritt er mit den Adirondack Falls gegen Hamilton an. Gut hat er die Koffer dabei.

Das Motto für Sven Bärtschi ist klar: Kämpfen, kämpfen, kämpfen.
Das Motto für Sven Bärtschi ist klar: Kämpfen, kämpfen, kämpfen.Bild: AP/The Canadian Press

Hartley: «Manche Spieler brauchen mehr Zeit, um zu reifen»

Die Calgary Flames haben sich 2011 die Rechte an Sven Bärtschi bereits in der ersten Draftrunde (Nr. 13) gesichert. Will heissen: Der ehemalige Langenthaler Junior gilt als eines der ganz grossen Talente. Immer noch. Aber in Calgary wird es wohl nichts aus der grossen Karriere. Er hat keinen Platz in einem Team, das in der Regel gewinnt und so gut ist wie seit Jahren nicht mehr.

Cheftrainer Bob Hartley (2012 Meister mit den ZSC Lions) redet nur freundlich über Sven Bärtschi. So ist das hier der Brauch: «Er ist noch jung und manche Spieler brauchen mehr Zeit, um zu reifen.» Dass es mit dem Schweizer nicht funktioniert ist Teil des Geschäftes. «Wenn ein Plan nicht aufgeht, dann ist es, wie es ist und es braucht Veränderungen. Das ist für uns alle so. Für die Spieler, für mich als Coach – und für Sie auch …», sagt Hartley.

Wann darf Bärtschi Calgary verlassen?

Sven Bärtschi befindet sich in einer ähnlichen Situation wie seinerzeit Nino Niederreiter bei den Islanders. Die steckten ihn sogar für eine ganze Saison ins Farmteam. Der Transfer im dritten Vertragsjahr nach Minnesota rettete die Karriere des Erstrundendrafts.

Nino Niederreiter und Sven Bärtschi haben den gleichen Agenten: Andy Rufener. Der Mann, der mehr NHL-Erfahrung mit Schweizern hat als jeder andere Agent.

Niederreiter jubelt in Minnesota – der Transferpoker ist aufgegangen.
Niederreiter jubelt in Minnesota – der Transferpoker ist aufgegangen.Bild: Jim Mone/AP/KEYSTONE

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Gibt es auch bei Sven Bärtschi einen Transfer? Die Wahrscheinlichkeit ist noch nicht hoch. Ein Tauschgeschäft mit einem Erstrundendraft ist immer auch eine politische Angelegenheit. Es muss intern erst klar sein, wer die Rolle des Sündenbockes für den vermeintlich missglückten Draft übernimmt. Calgary hat Anfragen von anderen Teams. Aber der Preis stimmt noch nicht.

Möglich, dass Sven Bärtschi erst nach Ablauf des Vertrages im nächsten Sommer transferiert wird. Der Umzug in eine neue Stadt wird für ihn kein Problem sein. Kaum einer hat so gut gelernt, auf gepackten Koffern zu leben wie er.

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