Bundesräte pflegen den Zeitpunkt ihres Rücktritts selber festzulegen. Manchmal ist er absehbar, etwa im Fall von Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), die nach den Wahlen 2015 einsehen musste, dass es kaum noch einmal für eine Mehrheit in der Bundesversammlung reichen wird. Umgekehrt kam die Demission von Didier Burkhalter (FDP) im letzten Jahr aus heiterem Himmel.
Kurz darauf sorge Bundespräsidentin Doris Leuthard (CVP) für Aufsehen, als sie im SRF-Interview zum 1. August erklärte, sie befinde sich «am Ende ihrer letzten Legislatur». Nun hat Johann Schneider-Ammann (FDP) nachgedoppelt. Im Interview mit der NZZ vom Freitag antwortete er auf die Frage, ob diese Legislatur seine letzte sein wird: «Ja, das kann ich bestätigen.»
Solche «Vorankündigungen», und erst noch in doppelter Ausführung, sind ungewöhnlich. Sie lassen Spekulationen spriessen. Werden Leuthard und Schneider-Ammann, wenn es denn ernst wird, gemeinsam abtreten? Es wäre ein wünschenswertes Szenario, denn ein koordinierter Rücktritt ermöglicht dem Parlament eine grössere Auswahl und mehr Flexibilität. Aber der Reihe nach:
Die UVEK-Chefin und der Wirtschaftsminister werden spätestens bei der Gesamterneuerungswahl des Bundesrats in der Wintersession 2019 nicht mehr antreten. Dies scheint nun klar zu sein. Mit einem vorzeitigen Rücktritt könnten sie ihren Parteien zu Publizität und Rückenwind im Hinblick auf die Wahlen im Oktober 2019 verhelfen. Vor allem die serbelnde CVP könnte dies gut gebrauchen.
Ein guter Zeitpunkt für einen Doppelrücktritt wäre Ende 2018. FDP und CVP könnten mit neuen Köpfen ins Wahljahr starten. Auch im Interesse der bundesrätlichen Handlungsfähigkeit wäre es besser, wenn der Wechsel eher früher als später erfolgt.
Vielleicht nehmen sich Leuthard und Schneider-Ammann auch Otto Stich zum Vorbild. Der populäre SP-Finanzminister trat auf den 31. Oktober 1995 zurück, das Rennen um seine Nachfolge fiel mitten in die heisse Phase des damaligen Wahlkampfs. Und die SP wurde neben der SVP zur grossen Siegerin der eidgenössischen Wahlen 1995.
2010 tat sich Historisches: Nach der Wahl von Simonetta Sommaruga zur Nachfolgerin von Moritz Leuenberger hatte die Schweiz einen mehrheitlich weiblichen Bundesrat. Falls Leuthard allein aufhört, wäre Sommargua vielleicht bald die einzige Frau, denn die CVP-Männer werden nach mehr als zwölf Jahren ihren Anspruch auf den einzigen Bundesratssitz ihrer Partei anmelden.
Die Freisinnigen wiederum stehen in der Frauenfrage unter Druck. Sie stellten mit Elisabeth Kopp die erste Bundesrätin überhaupt – und seither keine mehr. In ihren Reihen gibt es einige mögliche Kandidatinnen, allen voran die St.Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter und Parteipräsidentin Petra Gössi (SZ), während die Auswahl an valablen Frauen bei der CVP eher überschaubar ist.
Ein gemeinsamer Rücktritt von Leuthard und Schneider-Ammann würden dem Parlament den Spielraum verschaffen, damit mindestens eine weitere Frau in den Bundesrat gewählt wird. Dabei spielt es auch eine Rolle, ob die Parteien ein Zweierticket nominieren werden.
Mit Ignazio Cassis konnte der Anspruch der italienischen Schweiz auf eine Vertretung in der Landesregierung befriedigt werden. Nach wie vor aber ist der Bundesrat «westlastig». Der zentrale und der östliche Landesteil sind nicht vertreten. Wenn Leuthard und Schneider-Ammann zusammen gehen, könnten beide Ansprüche befriedigt werden.
Für einen Ostschweizer Sitz ist die FDP in der Pole-Position. Neben Keller-Sutter stehen die Ständeräte Andrea Caroni (AR) und Martin Schmid (GR) – sofern man die Bündner zur Ostschweiz zählt – oder der St.Galler Nationalrat Marcel Dobler im Vordergrund. Der Zuger CVP-Präsident Gerhard Pfister könnte die Innerschweiz vertreten, doch er steht unter Druck, den Turnaround für seine Partei zu schaffen. Der Luzerner CVP-Ständerat Konrad Graber wäre eine Alternative.
Notorisch vernachlässigt fühlt sich auch die Region nördlich des Juras, die seit dem Rücktritt von Otto Stich, der aus dem Solothurner Schwarzbubenland stammte, nicht mehr im Bundesrat vertreten war. Die beiden Basel warten sogar seit 1973 auf einen Sitz in der Landesregierung. Die Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter könnte dieses Manko beheben.
In den letzten Jahren hat das Parlament bei Bundesratswahlen keine allzu grosse Rücksicht auf regionale Befindlichkeiten genommen. Deshalb könnten auch andere «Papabili» erkoren werden, etwa die Walliser CVP-Nationalrätin Viola Amherd oder der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser. Auch deshalb wäre die Flexibilität, die ein Doppelrücktritt ermöglicht, wünschenswert.
Und kommt es gar zu einer Dreiervakanz? Die NZZ fordert Finanzminister Ueli Maurer unverblümt auf, sein Bundesratsmandat gemeinsam mit Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann niederzulegen. Erst kürzlich hatte der SVP-Bundesrat in einem Interview angekündigt, er wolle 2019 noch einmal antreten, obwohl er 69 Jahre alt sein wird.
Angeblich entspricht Maurer damit dem Wunsch seiner Partei. Doch Bundesräte bestimmen den Zeitpunkt ihres Rücktritts wie erwähnt selber, weshalb eine «Überraschung» nicht auszuschliessen ist. Das Parlament hätte in einem solchen Fall noch mehr Möglichkeiten.
Mehrfach-Abgänge können turbulent verlaufen, wie die Bundesratswahlen 1959 und 1973 gezeigt haben. Drei separate Rücktritte innerhalb kurzer Zeit aber sind nicht im Interesse des Landes. Zumindest Leuthard und Schneider-Ammann sollten dies beherzigen.