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Wegen Corona leiden mehr Jugendliche an Suizidgedanken

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Corona setzt besonders den Jugendlichen zu. Bild: shutterstock/watson

Wegen Corona leiden mehr Jugendliche an Suizidgedanken – das sind die Gründe

23.01.2022, 16:55
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Im Zuge der Pandemie brauchen mehr Kinder und Jugendliche in einer akuten psychischen Krise medizinische Hilfe. Zahlen aus dem Kanton Zürich zeigen, dass Patientinnen und Patienten häufiger von Suizidgedanken berichten.

Verzeichnete das Krisen-, Abklärungs-, Notfall- und Triagezentrum (KANT) der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich im ersten Halbjahr 2019 noch 321 Notfalluntersuchungen, waren es zwischen Januar und Juni 2021 bereits 450. Dies teilte Gregor Berger, leitender Arzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, am Sonntag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit

Berger bestätigte damit einen Bericht der «Sonntagszeitung». Während bei den Notfalluntersuchungen ein Anstieg um 40 Prozent verzeichnet wurde, verdoppelte sich die Zahl der telefonischen Notfallkontakte gemäss einer Studie eines Teams um Berger beinahe - von 880 auf 1744.

Der Anteil der Jugendlichen, die von Suizidgedanken berichteten, nahm im untersuchten Zeitraum von 69 auf 86 Prozent zu. Zugleich stieg der Anteil der Patientinnen und Patienten, die von Selbstverletzungen berichteten, von 31 auf 48 Prozent. Zum selbstverletzenden Verhalten werden namentlich Suizidversuche gezählt.

Mehr Minderjährige in der Erwachsenenpsychiatrie

Gemäss der Studie nahm im Kanton Zürich insbesondere seit den Sommerferien 2020 auch die Zahl der Minderjährigen zu, die in die Erwachsenenpsychiatrie aufgenommen wurden - und bleibt seither hoch. Zu dieser Massnahme wird laut den Studienautorinnen und -autoren nur gegriffen, wenn eine Hospitalisation unumgänglich ist und in spezialisierten Einrichtungen kein Platz mehr zur Verfügung steht.

Zürich steht mit der Entwicklung nicht allein da: Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern habe im Jahr 2021 über 50 Prozent mehr suizidale Minderjährige auf der Notfallstation betreut als im Vorjahr, berichtete am Sonntag die «Sonntagszeitung».

Leistungsdruck belastet

Man beobachte bereits seit zehn Jahren, dass das Zürcher Notfallzentrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie stärker in Anspruch genommen werde, so Berger weiter. Durch die Pandemie habe sich der Trend allerdings deutlich akzentuiert.

Aus seiner Sicht sei seit der Jahrtausendwende der Druck auf die Jugendlichen gestiegen, erklärte Berger. Zum Teil würden schon am Ende der Primarstufe erste Weichen gestellt. Viele Eltern fühlten sich unter Druck, ihre Kinder anzutreiben, damit sie es ins Langzeitgymnasium schafften.

Eine ähnliche Entwicklung sieht Berger im Sport: Dort müssten Kinder in immer mehr Sportarten schon im Primarschulalter Leitungen erbringen oder eine bestimmte Anzahl Trainingseinheiten absolvieren, um mitmachen zu dürfen. Früher sei dies nur in wenigen Disziplinen der Fall gewesen.

Mehr Zeit am Handy

Als problematisch beurteilt Berger auch die Entwicklung beim Medienkonsum: Gemäss Untersuchungen seiner Klinik ist der durchschnittliche tägliche Handykonsum in der Freizeit in der ersten Corona-Welle von vier auf sechseinhalb Stunden gestiegen - und mit der Lockerung der Massnahmen nicht mehr gesunken.

Durch die immer längere Zeit am Handy habe sich der Lebensstil der Teenager verändert, so Berger. Die Schlafdauer sei deutlich kürzer. Jugendliche auf der Notfallstation hätten häufig einen Medienkonsum von acht Stunden oder mehr am Tag. Zumindest bei den Patientinnen und Patienten beobachte man einen Rückgang bei der körperlichen Aktivität und den Interaktionen mit der realen Welt.

In der Pandemie haben es laut dem Kinder- und Jugendpsychiater insbesondere Jugendliche schwer, die vorher schon Mühe hatten, den an sie gestellten Ansprüchen zu genügen. Wenn bei der Berufswahl keine Schnupperpraktika möglich seien, erschwere dies den Einstieg in eine normale Entwicklung.

Cannabis heute sehr viel stärker

Als Risikofaktor sieht Berger auch den frühen Konsum von Drogen, insbesondere von Cannabis. In Zürich liege der THC-Gehalt von konfisziertem Gras oder Haschisch häufig über 20 Prozent, während Ende der 1960er-Jahre, zu Zeiten von Woodstock, ein THC-Gehalt von drei bis fünf Prozent üblich gewesen sei. Studien zeigten zunehmend, dass bei Personen, die in einem jungen Alter Cannabis konsumiert hätten, sowohl die Suizidrate als auch der Anteil von schweren psychischen Krankheiten Betroffener gegenüber der Gesamtbevölkerung erhöht sei.

In allen Bildungsschichten werde zudem durch die zunehmende Mobilität die Einbettung in die Grossfamilie schwächer, hob Berger hervor. Damit falle ein positiver, stabilisierender Faktor weg.

Der Experte schätzt, dass 10 bis 20 Prozent der Jugendlichen psychisch besonders verwundbar sind. Bei ihnen führten die genannten Belastungen zu einem Anstieg psychischer Probleme. Suizidalität sei dabei nur die Spitze des Eisbergs. (sda)

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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lushchicken
23.01.2022 17:38registriert Oktober 2014
Endlich mal ein Artikel, der auf die wirklichen Gründe eingeht. Klar war die Pandemie ein unglaublich unglücklicher Brandbeschleuniger. Aber unsere völlig kranke Leistungsgesellshaft treibt viele Leute in den Wahnsinn. Seit ein paar Jahren ist die Grind-Kultur ein Riesenthema. Da muss man sich schon blutjung am besten mit mehreren Jobs kaputtrackern, damit man auf Insta mit Staussymbolen und Reisen flexen kann. Dazu kommen perfekter Body, 'saubere' Ernährung und eine Garderobe, die alle Wochen wechselt. Ich möchte heute definitiv nicht Teenager oder 20-Jähriger sein.
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Turbotomate
23.01.2022 17:26registriert Mai 2018
Bei meinem Sohn ging der Druck in der Schule schon ANFANG 5. Primarklasse los: Wenn ihr in die Schuöstufe xy wollt, dann müsst ihr das aber können/das zusätzlich lernen/keine schlechten Noten mehr machen! Und das in der ersten Schulwoche nach den Sommerferien. 🤢🤢
Dasselbe im Sport. Ab der 2. Klasse plötzlich 3mal pro Woche Fussballtraining, weil Förderung. Nur einmal geht nicht. Und das nicht im Nachwuchskader, sondern aufm Dorf. Können die Kids eigentlich no irgendwo Sport aus Spass - ohne Leistungsdruck treiben?
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Clife
23.01.2022 17:40registriert Juni 2018
Das Problem sehe ich hier aber nicht bei Corona sondern vielmehr an den Erwartungen der Gesellschaft. Man macht das Gymnasium, studiert, nur um am Ende doch wieder einen Job zu finden, wo man noch mehr Leistung für einen Mindestlohn durchzieht. Mit dem Lernen und dem Leistungsdruck geht entsprechend das gesellschaftliche Zusammenleben verloren. Für das Geld mag es effizient sein, aber sogleich geht die schönste Zeit des Lebens (15-35) verloren. Wer hat Schuld daran? Die Wirtschaftslobbyisten, die die Eltern (und die wiederum die Kinder) beeinflussen.
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Eklat in der SVP: Christian Imark stellt pikante Forderung an Magdalena Martullo-Blocher
Das ist höchst ungewöhnlich. Energiespezialist Imark greift SVP-Vizepräsidentin Martullo-Blocher offen an. Sein Vorwurf: Mit ihrem Nein zum Stromgesetz gefährde sie langfristige Parteiinteressen.

Auf der einen Seite steht Christian Imark. Der SVP-Nationalrat aus Solothurn brachte am 2021 das CO₂-Gesetz praktisch im Alleingang zum Absturz. Im Februar 2024 reichte er als Mitglied des Initiativkomitees die Blackoutinitiative ein, die neue AKW wieder erlauben will. Und 2023 war er als Vertreter der Energiekommission (Urek) verantwortlich dafür, dass die SVP-Fraktion das Stromgesetz von SVP-Bundesrat Albert Rösti mit 36:18 Stimmen absegnete. Die Volksabstimmung findet am 9. Juni statt.

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