Grenzwächter nach Totgeburt eines syrischen Babys verurteilt

Grenzwächter nach Totgeburt eines syrischen Babys verurteilt

07.12.2017, 14:36

Ein Schweizer Grenzwächter ist am Donnerstag vom Militärgericht in Bern zu einer bedingten Freiheits- und Geldstrafe verurteilt worden. Der Mann verweigerte einer schwangeren Syrerin medizinische Hilfe. Die Frau erlitt eine Totgeburt.

Ihr Ehemann, der den Prozess vor dem Militärgericht mehrere Tage lang mitverfolgte, zeigte sich am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur sda einerseits erleichtert über den Schuldspruch. Anderseits werde das Urteil seinem toten Kind nicht gerecht, sagte er.

Der verurteilte Grenzwächter war als Einsatzleiter zuständig für eine Gruppe von über 30 Flüchtlingen, die im Juli 2014 auf einem Rücktransport von der schweizerisch-französischen Grenze nach Italien in Brig auf einen Zug warten mussten.

In der Gruppe befand sich auch eine syrische Familie; die Ehefrau war im siebten Monat schwanger. Schon kurz vor der Ankunft in Brig klagte die Schwangere über Schmerzen und Blutungen. In Brig angekommen, verstärkten sich die gesundheitlichen Probleme.

Ihr Mann bat die zuständigen Grenzwächter mehrfach um medizinische Hilfe für seine Frau - vergeblich. Als sie schliesslich zum ankommenden Zug getragen werden musste, erkannte der Einsatzleiter, dass es der Schwangeren wirklich nicht gut ging.

Statt einen Arzt zu holen, liess er die Flüchtlinge aber in den Zug verladen, der die Syrer in die italienische Grenzstadt Domodossola brachte. Dann informierte der Grenzwächter die italienische Seite, dass im Zug ein schwangere Frau mit gesundheitlichen Problemen sei. Im Spital von Domodossola brachte die Frau ihr Kind, ein kleines Mädchen namens Sarah, tot zur Welt.

Ein einziger Anruf

«Es hätte lediglich eines einzigen Anrufs bedurft», wandte sich der Präsident des Militärgerichts 4, Oberst Alberto Fabbri, am Donnerstag mit leiser aber umso eindringlicher Stimme an den Grenzwächter. In Brig gebe es ein Spital und in Bahnhofnähe mehrere Ärzte.

Der Angeklagte dürfte einen gewissen Druck gehabt haben, die Rückschaffung der Flüchtlingsgruppe zeitgerecht durchzuführen, räumte der Gerichtspräsident ein. Doch dies ändere nichts daran, dass der Grenzwächter zumindest die Schwangere und ihre Familie hätte zurückbehalten und medizinisch abklären lassen müssen.

Dem Grenzwächter kreidete das Gericht nicht an, dass er die Lage zunächst falsch einschätzte und von normalen Schwangerschaftsbeschwerden ausging.

Allerdings hätten sich weder er selber noch einer der anderen Grenzwächter näher bei der Schwangeren erkundigt. Dazu wäre die Mannschaft eindeutig verpflichtet gewesen, kam das Militärgericht zum Schluss. Aufrichtige Reue machte es beim angeklagten Einsatzleiter im Übrigen auch nicht aus.

Das Gericht ging in seinem Urteil weiter davon aus, dass das Ungeborene infolge einer Plazentaablösung bereits vor Brig nicht mehr lebte. Die Schmerzen der Frau stammten von diesem Vorgang. Die eigentlichen Geburtswehen hätten erst nach Brig eingesetzt. Solche Fragen waren entscheidend, um die möglichen Straftatbestände einzugrenzen und die Strafe zu konkretisieren. Die Annahmen des Gerichts wirkten sich zu Gunsten des Angeklagten aus.

Am Ende resultierte ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung, versuchten Schwangerschaftsabbruchs und mehrfachen Nichtbefolgens von Dienstvorschriften. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 150 Franken. Beide Strafen wurden bedingt ausgesprochen.

Auf die zivilen Ansprüche der Opferfamilie, will heissen finanzielle Genugtuung, ging das Militärgericht nicht ein und verwies stattdessen an den Bund. Die Anwältin der Opferfamilie will dort nun über eine Staatshaftungsklage Genugtuung fordern, wie sie auf Anfrage sagte.

Der Ankläger zeigte sich «nicht enttäuscht» vom Urteil, obschon er eine schärfere Strafe verlangt hatte. Er werde nun prüfen, ob er das Urteil an die nächsthöhere Instanz weiterziehen wolle. Auch die Verteidigung will das Urteil «eingehend studieren» und einen Weiterzug abwägen. Berufung muss innert fünf Tagen angemeldet werden.

Offen ist, ob der Schuldspruch personalrechtliche Konsequenzen für den 57-jährigen Walliser Grenzwächter hat. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Sobald dies geschehen sei, werde man über allfällige Massnahmen entscheiden, sagte Jürg Noth, Chef des Grenzwachtkorps, auf Anfrage. Seit dem Vorfall in Brig ist der Grenzwächter in anderer Funktion und an einem anderem Ort tätig. (sda)

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