Die Voraussetzungen sind furchtbar: Erstens Tanztheater, zweitens auch noch irgendwie zum Mitmachen gedacht. Wieso darf ich hier nicht wieder weg? Sofort? Und dann? Überfällt mich schon nach wenigen Minuten angenehme Entspannung. Obwohl der Raum nicht sonderlich gross ist. Obwohl die Tänzerinnen und Tänzer ihre Arbeit inmitten des Publikums verrichten. Obwohl Direktkontakte drohen und auch stattfinden.
Am Boden liegen schwarze Waterbags. Sie sind mit warmem Wasser gefüllt. Darf ich mich da draufsetzen? Ja, dürfte ich. Aber das sagt mir keiner, weil ich ja auch keinen frage. Könnte ich aber. Wenn ich als Publikum nicht immer so eine autistische Sau wäre.
Die Tänzer umwickeln elegant einen Bambusstab mit schwarzem Klebeband. Ein Mann aus dem Probepublikum hilft ihnen. Wieso macht der das? Weil er zu den Laien gehört, die «maneuvers / groove space» bei den Vorstellungen durch ihre Präsenz unterstützen werden. Zu den Vermittlern zwischen Künstlern und normalem Publikum.
Denn so funktioniert das Städteprojekt von Sebastian Matthias, das in Berlin begann und nach Zürich nach Hamburg, Düsseldorf, Basel weiterwandert. Es ist ein choreographisches Stadteroberungsprojekt, die Truppe um Matthias begeht und beobachtet dazu eine Stadt und filtert dann einen Zustand heraus. Bei Berlin waren dies die harten Gegensätze.
Zürich nehmen sie anders wahr, als Stadt der graduellen Veränderungen. «Flow» ist der Zustand, den sie für Zürich gewählt haben. Ein Flow ist angenehm. Fliessend. Wohltuend. Warm. Wie das Wasser in den Waterbags. Ein Flow nimmt einen mit, lullt einen ein. Flows gehören zu Zürich, gehören zur Limmat, zum See, zur Sihl, zu den Bars und Clubs, sind Ober- und Unterströmungen dieser Stadt.
Jede Stadt sei eine Dauerchoreographie, sagt Sebastian Matthias, ein Verkehr, geregelt durch kommunikative Signale. Und genau das geschieht nun auf der Südbühne der Gessnerallee, in einem Raum, wo sich bei der Premiere zwanzig bis dreissig Zuschauer unter die Tanzenden mischen werden, in einem Raum, den die Tanzenden strukturieren werden, mit ihren Bewegungen, aber auch mit den Bambusstäben, die sich wie Gitterstangen zwischen Boden und Decke klemmen lassen und doch eine wohlige Art von Sicherheit erzeugen. Oder mit einer Leinwand, die von den Waterbags im Gleichgewicht gehalten wird.
Der Film, der darauf zu sehen sein wird – ein Mann schwimmt durch die abgekühlten Zürcher Gewässer –, ist bei der Probe noch nicht fertig. Und der Live-Gitarrist ist auch nicht dabei. Dafür ein Mikrofon, das bei Berührung die Musik stoppt. Und tragbare Scheinwerfer. Und Menschen, die sich so heiter und organisch bewegen, als würde ein Herbstwind durch Blätter fahren.
Und immer ist da diese Stimmung, die sich bloss mit dem Begriff «Wellness» beschreiben lässt. Als wäre man in einem der warmen Bassins im Hürlimann-Areal. Sehr seltsam. Die leise, höfliche Kommunikation untereinander führt tatsächlich zu nichts anderem als Wohlbefinden. Eigentlich ist dies ein idealer Alltagszustand. Man rechnet bloss nicht damit in einem Theater.
Im Vergleich zu den Berlinern, sagt Sebastian Matthias, seien die Zürcher übrigens grossartig: Neugierig, beteiligt, weder verklemmt noch arrogant. Die Unterstützungszürcher, die bei der Probe dabei sind und nachher in kleinen Grüppchen die einzelnen Vorstellungen begleiten werden, sind jedenfalls so. Und das macht froh. (sme)