Sag das doch deinen Freunden!
Wladimir Putin und Barack Obama traten beide vor den beiden Kammern des Parlaments auf. Beide sprachen rund eine Stunde. Aber damit hören die Gemeinsamkeiten auf. Putin marschierte einsam und grimmig aufs Rednerpult zu und spulte seine Rede in einem monotonen Tonfall ab. Obama schüttelte rundum Hände, lächelte und begann seine Ausführungen mit einem (gelungenen) Witz über den einsetzenden Wahlkampf in Iowa. Aber nicht die Form, sondern der Inhalt ist entscheidend:
Die erste Viertelstunde seiner Rede widmete Putin dem Kampf gegen den Terrorismus:
Er lieferte auch gleich den Sündenbock mit:
Den Seitenhieb gegen die USA weitete er wenig später zu einer eigentlichen Attacke aus:
Bemerkenswert: Syriens Diktator Assad wird mit keinem Wort erwähnt.
Wenige Tage zuvor hatte das russische Staatsfernsehen den Dokumentarfilm «Myroporyadok» (Weltordnung) ausgestrahlt, gefolgt von einer mehrstündigen Diskussion mit Putin und einer Schar von Experten. Der Politologe Ivan Krastev fasst den Inhalt dieses Film in der «New York Times» wie folgt zusammen: «‹Myroporyadok› ist ein starker Ausdruck des gegenwärtigen Denkens. Die Welt wird am Vorabend eines Kollaps gesehen, chaotisch und gefährlich, die internationalen Institutionen sind ineffektiv und befinden sich in Geiselhaft des Westens und dessen Wahnvorstellungen. Atomwaffen sind die einzige Garantie, um die Integrität des Landes zu sichern, und die Souveränität wird in der Bereitschaft demonstriert, Widerstand gegen die hegemoniale Agenda von Washington zu leisten.»
US-Präsident Barack Obama kommt erst in der zweiten Hälfte seiner Rede auf Terrorismus und Krieg zu sprechen. Zunächst befasst er sich ausführlich mit dem durch Globalisierung und den technischen Fortschritt verursachten Wandel. Die These vom Niedergang der Supermacht USA hält er für Unsinn.
Das Gerede von einem neuen Kalten Krieg oder gar einem Dritten Weltkrieg tut Obama ebenfalls als Unsinn ab.
Wer von einem neuen Weltkrieg spreche, der mache bloss den Terroristen einen Gefallen. Diese seien zwar «Killer und Fanatiker», aber keine ernsthafte Bedrohung für die USA.
Ob «IS» oder al-Qaida, beide können nur im Verbund mit internationalen Institutionen wirksam bekämpft werden. Ein Alleingang der US-Armee würde wieder in einem Morast enden.
Die Welt im Jahr 2016 wird in Moskau und Washington sehr unterschiedlich gesehen. In den Augen von Putin steht die Welt kurz vor einem Dritten Weltkrieg, und wie im Zweiten Weltkrieg muss Russland den Faschismus niederringen und so die Zivilisation retten. Obama hingegen betrachtet die USA nach wie vor als die bestimmende Supermacht, aber nicht mehr als globalen Polizisten. «IS» und andere Terroristen müssen zwar energisch bekämpft werden, aber nicht mit Bodentruppen in fremden Ländern, sondern mit Spezialisten, Hi-Tech und im internationalen Verbund. Am besten gelingt dies gemäss Obama mit einer Stärkung der Demokratie. Der Erneuerung der Demokratie widmet Obama denn auch die letzten Minuten seiner allerletzten «State of the union»-Rede. Putin hingegen erwähnt das Wort Demokratie nie.