Manchmal, wenn Fussballfunktionäre gerade wieder durchdrehen ihr Geschäftsmodell zu optimieren versuchen, hole ich meine Glaskugel hervor. Ich habe sie einst auf einem Flohmarkt in Wien gekauft. Sie soll einer rumänischen Wahrsagerin gehört haben und die Zukunft so präzise voraussagen, als arbeitete in ihr das Werk einer Schweizer Uhr.
Also reibe ich an der Kugel und mache das, was jeder Fussballer in jedem Interview nach jedem Spiel sagt: Ich schaue nach vorne.
Sieben Jahre in der Zukunft bin ich nun, im Jahr 2028. Es waren sieben verflixte Jahre für romantisch veranlagte Fussballanhänger, das wird mir schnell klar. Da sehe ich nach der Aufstockung der Schweizer Super League von 10 auf 16 Teams etwa den FC Winterthur, der sich über die Belastung seiner zwei Offensivstars aus Tadschikistan beklagt.
Am Mittwoch (Anpfiff auf der Schützenwiese ist um 03.30 Uhr wegen der vielen potenziellen FCW-Fans in Vietnam) waren diese noch im UEFA-Autobahnraststätten-Cup gegen Anschi Machatschkala im Einsatz, aber schon am Freitag sollen sie auf Fidschis Hauptinsel Viti Levu mit ihrem Nationalteam spielen, welches Gastteam in der ozeanischen Nations-League-Vorqualifikation ist.
Am Samstagabend (23.00 Uhr, damit Peru nachmittags zuschauen kann) müssten die Tadschiken aber schon zurück sein, weil Winterthur dann in der Gruppenphase des Wyland-Cups die wichtige Auswärtspartie bei Ellikon/Marthalen II austrägt. Winterthur beantragte eine Spielverschiebung, aber der TV-Sender Al-Jazeera, der die Exklusivrechte am Wyland-Cup hält, pochte auf die Einhaltung des geplanten Termins.
Bis dahin hofft Fussballfreund Finn aus Uster, dass sein Login für diesen Sender wieder funktioniert. Sein Passwort geht nicht mehr, dabei nimmt er eigentlich überall immer «Okocha10Jay-Jay». Die Funktion «Passwort zurücksetzen» klappt ebenso wenig, wie am Telefon den Kundendienst von Al-Jazeera zu erreichen. Ganz zu schweigen davon, dass Finns Arabisch-Kenntnisse eher knapp ausreichend sind, um das Problem zu schildern. So wird er sich wohl mit der «Gazprom October Trophy» begnügen, dem Turnier für alle Nationen, deren Name mit einem «O» beginnt.
Es ist ein Turnier, das nicht frei von Kontroversen ist. Österreich wollte liebend gerne mitmachen, weil es sich gegen den Oman und Osttimor gute Chancen ausrechnete. Aber die FIFA sprach ein Machtwort und wies Austria der «Samsung August Trophy» zu, wo das Los den Österreichern Australien, Angola und Aruba bescherte. Die Kugeln zog übrigens der charmante Giorgio Marchetti, was Fussballfans mit Herz freut: Manches ändert sich zum Glück nie.
Oman und Osttimor, damit die beiden einzigen Teilnehmer der Oktober-Trophy, machen nun in einer Best-of-13-Serie unter sich aus, wer in der nächsten Runde der «Alphabet-Trophy powered by Elmer Citro» gegen die Sieger der Gruppen B, L und T antreten darf.
Jeweils die erste Halbzeit dieses Wettbewerbs wird auf NetflixSport+ übertragen, nach der Pausen-Analyse auf YoutubeSpecial folgt die zweite Halbzeit dann auf GreenTV. Ausser natürlich, man schaut auf einem Apple-Gerät zu, dann kann man nur die allfällige Verlängerung und das Penaltyschiessen sehen, sofern man nicht gleichzeitig ein Festnetz-Abo bei Sunset abschliesst.
Finn in Uster nervt sich, weil sein Vermieter nur Anschlüsse einer Konkurrenzfirma gestattet. Dank halblegaler VPN-Anbindung seiner Google-Brille kann er wenigstens auf diese Weise etwas sehen. Jedenfalls so lange, bis Werbebanner ukrainischer Wettanbieter aufpoppen und ihm die Sicht aufs Geschehen auf dem Platz nehmen.
Echter Fussball spielt bei Finn ohnehin je länger je mehr nur noch die zweite Geige. Meist hängt er auf Twitch ab und schaut den besten Gamern der Welt beim Zocken zu. Kein Wunder, haben schon etliche Klubs, darunter der FC Basel, der realen Welt den Rücken zugekehrt, weil in der virtuellen noch mehr Geld lockt. Priorität geniesst dort E-Sports.
Einen Grossteil der 147 Millionen Franken Ablöse für Arthur Cabral steckte FCB-Besitzer Bernhard Burgener, der den Klub ein zweites Mal gekauft hat, in den Star-Gamer «Pheel:IP DdEeGgEeNn2». Bei der Verpflichtung wurde stolz erwähnt, dass er in Südkorea, wo E-Sports riesig sei, für seine Klubs schon dutzende Millionen Preisgeld erspielt habe.
Leicht verwirrt reibe ich weiter an meiner Glaskugel, die mittlerweile schon beinahe so glatt poliert ist wie der Kopf von FIFA-Präsident Mike Myers. Als erste Amtshandlung hatte dieser durchgesetzt, dass neu elf Auswechslungen pro Team erlaubt sind. Noch vom Kongress abgesegnet werden muss die Änderung der Spielzeit von 3x30 Minuten (seit 2025) auf 6x15 Minuten, was als Formsache gilt.
Der frühere Schauspieler Myers hat illustre Vizepräsidenten um sich geschart. Dazu gehört etwa als Fairplay-Beauftragter Sergio Ramos, der sich nach seiner Spielerkarriere in einem Machtkampf gegen Gerard Piqué das Präsidentenamt des FC Barcelona sichern konnte. Ramos lässt seinen Klub in der saudischen Liga antreten, um die chronischen Finanzprobleme endlich lösen zu können. Weil auch Red Bull Madrid, früher als Real bekannt, nicht mehr in Spanien spielt, sondern in Indien, wurde zuletzt Celta Vigo spanischer Meister.
Ein anderer FIFA-Vize ist der frühere Politiker Viktor Orban, der mit einer umstrittenen Regeländerung Schlagzeilen machte. Als Präsident des ungarischen Fussballverbands verbot er im Land sämtliche bunten Trikots, so dass es dort nun häufig kuriose Szenen gibt, weil hellgraue Fussballer ihre dunkelgrau gekleideten Gegner für Mitspieler halten. Orbans Kommentar: «Alle sagen, Klicks seien die neue Währung. Und das gibt massig Klicks auf YouTube, also bleibt es dabei.»
Unheimlich ist auch, was auf Madeira abgeht. Cristiano Ronaldo ist in seine Heimat zurückgekehrt, spielt immer noch – und hat seinen Jugendklub Nacional Funchal direkt von der zweiten Liga in die «Bifi hat Biss European Powerplayoffs» geführt. Im Halbfinal gegen Beitar Jerusalem ist Nacional Favorit. Der mittlerweile 43-jährige Ronaldo ist ein Phänomen. Seine Fitnesswerte sind laut NASA-Untersuchungen immer noch diejenigen eines 19-Jährigen und eine Analyse seiner Sprungkraft ergibt, dass CR7 höher springt als der neue NBA-Star JaKöbi Kaylin, ein Nachkomme von Einsiedler Aussiedlern.
Wegen Ronaldo wurde gar der Flughafen auf Madeira vergrössert, damit der A380 aus Dubai landen kann und die zahlreichen Pilger aus dem Morgenland ihren Messias endlich einmal leibhaftig sehen können. Nicht gebaut wurde in der Zwischenzeit in Aarau, wo die Fans aber guten Mutes sind, dass das neue Stadion ab 2031 entstehen könnte. Bereits singen sie voller Vorfreude «Torfeld Süd olé, Torfeld Süd ola, höt gönnt de FCA».
So langsam habe ich in meiner Glaskugel genug gesehen. Manchester Citys Weltfussballer Erling Haaland knackt einen Messi-Ronaldo-Rekord nach dem anderen (auch deshalb spiele CR7 immer noch, heisst es, während Lionel Messi seine Karriere bei Pepsi-Cola Al-Riad ausklingen liess). Immerhin nimmt man es Haaland ab, wenn er behauptet, er habe als Kind schon in ManCity-Bettwäsche geschlafen – Papa Alf-Inge spielte schliesslich schon dort. Bei der WM 2030 auf Haiti zählt Norwegen (Gegner in der Vorrunde: Bahrain, Benin und Liechtenstein) dank dem Knipser zum Favoritenkreis.
In der German Bundes League wurde Bayern München zuletzt mit 18 Punkten Vorsprung auf Bayern München II Meister, während neben dem HSV, Bremen und Schalke nun auch Dortmund, Leverkusen, Köln und Frankfurt nur noch in der zweiten Liga herumdümpeln. Internationale Luft schnuppern sie immerhin noch in der «Kodak Evergreen Trophy» mit Ipswich Town, dem KV Mechelen und dem FC Nordstern Basel.
Gerade als ich die Glaskugel wieder im mit Samt ausgelegten Kistchen versorgen will, sehe ich darin noch eine Fussballszene. Ich erblicke fröhliche Buben und Mädchen, die auf einer Wiese einem Ball nachjagen, als Torpfosten dienen zwei Rucksäcke. Ihre Augen glänzen wie sonst nur vor dem Christbaum. Noch lebt der Fussball.