«Für mich ist es eine Frage der Würde eines Lebewesens, aber auch eine Frage des Anstandes.» Deswegen, so die grüne Aargauer Nationalrätin Irène Kälin, verlange sie mit ihrer Motion das Enthornungsverbot für Ziegen.
Die Islamwissenschaftlerin und hauptberuflich Präsidentin des kantonalen Arbeitnehmer-Dachverbandes «Arbeit Aargau» verlangt vom Bundesrat eine Änderung der zutreffenden Verordnung des Tierschutzgesetzes. Diese erlaubt heute ein Enthornen ausdrücklich. Die Anwältinnen der «Stiftung Tier im Recht» sehen im Ausbrennen der Hornansätze «eine krasse Verletzung der Grundsätze des Tierschutzgesetzes.»
Wie schon bei den Debatten zur Hornkuh-Initiative wird auch bei den Ziegenhörnern von vielen Haltern die Unfallgefahr ins Feld geführt. Irène Kälin relativiert und sagt, es sei wissenschaftlich belegt, dass die Unfallgefahr bei Ziegen wesentlich kleiner ist als bei behornten Kühen. «Es gibt sogar eher Unfälle mit enthornten als mit behornten Ziegen.»
In der Tat sind im Vergleich zu den Kuhhörnern die Fakten viel eindeutiger. Beispiel Rangkämpfe. Ziegen stellen sich dabei auf die Hinterbeine, lassen sich nach vorne fallen und prallen mit den Köpfen aufeinander. Die Hörner fangen den Aufprall ab.
Dazu Susanne Waiblinger, Professorin am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der veterinärmedizinischen Universität Wien: «Wenn Ziegen keine Hörner haben, gibt es mehr Verletzungen als bei behornten Ziegen – vor allem im Stirnbereich. Die Köpfe sind nicht dazu gemacht, häufig aufeinanderzuprallen.» Deshalb, so Waiblinger, sei eine Enthornung bei Ziegen abzulehnen.
Bei Kitzen sei der Eingriff noch viel belastender als bei Kälbern, sagt Waiblinger. Ziegenschädel seien nämlich sehr dünn, die Hornknospen im Verhältnis zum Kopf sehr gross. Beim Ausbrennen mit dem rund 600 Grad heissen Thermokauter komme man deshalb schnell einmal auf den Knochen bis ins Gehirn. Das könne tödlich enden. Der Schweizer Tierschutz STS fordert deshalb seit Jahren ein Ziegen-Enthornungsverbot.
Wenn sie einen vorgeschriebenen Enthornungskurs besucht haben, dürfen Ziegenhaltende heute selber enthornen. Unter der Leitung von Claudia Spadavecchia, Professorin für Veterinäranästhesiologie und Schmerztherapie an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, untersuchte ein Team der Uni im Jahr 2018 die Enthornungspraxis in der Ziegenhaltung. Das Resultat ist erschreckend: Ein Drittel der Tiere waren nicht angemessen betäubt. Ein Grossteil zeigte Schmerz-Reaktionen.
Nicht nur Rinder, sondern auch Ziegen werden zunehmend hornlos gezüchtet. Mit problematischen Folgen, wie Anet Spengler-Neff berichtet. Die Nutztierwissenschaftlerin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) in Frick sagt: «Bei Ziegen hängt Hornlosigkeit sehr oft zusammen mit Unfruchtbarkeit. Hornlos wird der Ziegennachwuchs, wenn er die Hornlos-Gene sowohl von Vater als auch Mutter bekommt.»
Spätere männliche Nachkommen seien meist unfruchtbar, weibliche fast immer Zwitter. Die natürliche Genetik der Ziegen verlangt also geradezu Hörner, weil die Tiere sonst nicht mehr fortpflanzungsfähig sind. Anet Spengler: «Man muss in hornlose Herden immer wieder Behornte einkreuzen, sonst werden sie steril.»
Der Schweizerische Ziegenzuchtverband (SZZV) mag sich trotz all diesen Argumenten nicht für ein Ziegenenthornungs-Verbot einsetzen. Der SZZV-Präsident, der Bündner Stefan Geissmann – er vertritt rund 2600 Halterinnen und Halter –, meint: «Die Sache ist komplex, und man kann sie nicht in wenigen Worten erklären.»
Im Gespräch wird aber klar, dass dem SZZV ein Verbot nicht gefallen würde. «Der SZZV überlässt es den Haltern, ob sie behornte Ziegen halten wollen oder nicht», sagt Geissmann. Er versprich bezüglich der von der Uni Bern aufgedeckten Mängel bei der Enthornung: «Ganz klar, es muss besser werden.» Im Übrigen habe er unter seinen Mitglie- dern noch nie von Todesfällen beim Ziegenenthornen gehört. (aargauerzeitung.ch)