Ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges war der Widerstandsgeist der Sowjet-Bevölkerung nach langen und harten Kriegsjahren geschwächt. Die Schlacht von Stalingrad und der Kampf an der «Ostfront» (aus deutscher Sicht) hatten ihren Tribut gefordert.
Um die Moral der Sowjet-Bevölkerung zu stärken, liess das Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) im Sommer 1944 rund 57'000 deutsche Kriegsgefangene aus Weissrussland über 800 Kilometer nach Moskau transportieren und durch die Strassen der Hauptstadt marschieren, wo sie beschimpft und bespuckt wurden.
Eine Aktion, die unter anderem zum Genfer Abkommen von 1949 führte, das eine erniedrigende und entwürdigende Behandlung von Kriegsgefangenen verbietet.
Zynischerweise nannte der NKWD diese demütigende Parade der Besiegten nach der musikalischen Komödie «Der grosse Walzer», einer fiktiven Filmbiografie über den Komponisten Johann Strauss aus dem Jahr 1938. Den deutschen Kriegsgefangenen war nach allem zumute, nur nicht nach einem Walzer.
Schon Tage vor der Parade der Besiegten wurden die erschöpften und ausgehungerten Kriegsgefangenen im Moskauer Hippodrom und im Fussballstadion von «Dynamo Moskau» eingepfercht. Am Morgen des 17. Juli 1944 kündeten das staatliche Radio und die Titelseite der staatlichen Tageszeitung «Prawda» der Bevölkerung von Moskau das grosse Spektakel an.
Die erste Gruppe von 42'000 deutschen Kriegsgefangenen musste zuerst zweieinhalb Stunden ausserhalb des Stadtzentrums marschieren. Dann mussten sie im Uhrzeigersinn den 17 Kilometer langen Gartenring umrunden, eine Ringstrasse, die um den Kreml und den Roten Platz herumführt.
Die zweite Gruppe von 15'000 musste ebenfalls zuerst zweieinhalb Stunden ausserhalb des Stadtzentrums marschieren, um dann im Gegenuhrzeigersinn den 17 Kilometer langen Gartenring zu umrunden.
In Gruppen von je 600 Mann marschierten die erschöpften deutschen Kriegsgefangenen durch Moskau. Flankiert von Reitern mit dem blank gezogenen Säbeln und Infanteristen mit dem Bajonett-bestückten Gewehr im Anschlag, darunter auch viele Frauen, was die deutschen Soldaten zusätzlich demütigen sollte.
Die Stimmung in der Moskauer Bevölkerung war durch die traumatischen Verluste und die massive Propaganda so aufgeheizt, dass Hunderttausende von Moskauern die Strassen säumten. Der Pöbel schrie «Tod dem Faschismus» und «Auf die Knie». Weil die Kriegsgefangenen in der Marschkolonne nicht anhalten und hinknien durften, wurden sie beschimpft und bespuckt.
Dieselben Parolen wurden am 24. August 2014 in Donezk skandiert. Bei der «Parade» sollen rund 2000 Zuschauer am Strassenrand gewesen sein. Diese schrieen wie 1944 «Tod dem Faschismus» und «Auf die Knie».
Der Parade der Besiegten folgten Strassenreinigungswagen, die im doppelten Sinne die Strassen sauber gewaschen haben: Symbolisch, aber auch real. Denn die deutschen Kriegsgefangenen erhielten nach tagelangem Hungern kurz vor dem Marsch den russischen Buchweizen-Brei «Kascha» , der mit viel Butter zubereitet wird.
Was vielleicht sogar gut gemeint war, hatte verheerende Folgen: Die ausgehungerten Soldaten bekamen vom fetten Buchweizen-Brei starken Durchfall. Weil sie während des Marsches aber nicht austreten durften, mussten sich die Kriegsgefangenen sprichwörtlich in die Hosen machen. Danach muss es in den Moskauer Strassen fürchterlich gestunken haben.
Dass die demütigende Parade der Besiegten in der ostukrainischen Stadt Donezk im August 2014 nicht zufälligerweise dem historischen Vorbild von 1944 folgte, zeigt der Kommentar des Korrespondenten vom staatlichen russischen Fernsehen: «Die Idee der Organisatoren ist eine Analogie zum Grossen Vaterländischen Krieg, als man deutsche Kriegsgefangene durch die Strassen von Moskau führte. Auch damals wurden nach dem Marsch die Strassen gewaschen. Und heute zeigen die Landwehrmänner und die friedlichen Kämpfer (der prorussischen Separatisten), dass ihr Kampf gegen die Faschisten aus Kiew vergleichbar ist mit dem Grossen Vaterländischen Krieg.»