Für Palästinenserinnen und Palästinenser ist es lebensgefährlich, sich kritisch über die Terrororganisation Hamas zu äussern. Doch immer häufiger tauchen Videos von genau solchen mutigen Menschen im Netz auf.
So klagt eine ältere Frau mit Kopftuch im Interview mit einem Reporter des Fernsehsenders al-Jazeera über die schlechte Versorgungslage in Gaza. Überraschend: Sie macht dafür die Hamas verantwortlich. Denn die humanitäre Hilfe komme nicht bei den Bewohnern an. «Alle Hilfe geht nach unten», sagt sie und meint damit die Tunnel der Hamas. «Die Hilfe kommt nicht bei der Bevölkerung an», so die Frau weiter.
Auf die Rückfrage des Reporters, ob es sich nicht um ein Verteilungsproblem handle, hebt die Frau die Hand, winkt ab. «Sie nehmen alles, sie würden mich eher erschiessen, die Hamas».
Solche Äusserungen bleiben auch Israel nicht verborgen. «Die Bewohner des Gazastreifens haben angefangen, die Hamas für das zu kritisieren und anzuprangern, was sie über sie gebracht hat – Verbrechen, Unterdrückung, Demütigung, Angst und Hunger», sagte Ofir Gendelman, Sprecher von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, zuletzt arabischen Medien.
Sich öffentlich gegen die Hamas zu positionieren, ist für die Bewohner in Gaza gefährlich. Doch genau diesen Bewohnern will die US-amerikanische Non-Profit-Organisation Peace for Communications eine Stimme geben. Ihr Ziel ist es, «spaltende Ideologien zurückzudrängen und eine Mentalität der Integration und des Engagements zu fördern». Damit hat sie schon lange vor dem Hamas-Angriff im Oktober begonnen.
Die NGO hat 25 kurze Animationsfilme produziert, die Stimmen der Gesprächspartner wurden verfremdet. Zu sehen sind Eindrücke ganz unterschiedlicher Menschen mit verschiedenen Einstellungen. So etwa von dem Musiker Iyad.
Er will sich zwar gegen Israel behaupten, lehnt aber Gewalt als Mittel ab. Über die Verhältnisse in Gaza sagt er im Video: «Wenn du die Strasse entlanggehst, werden dir deine eigenen Gedanken abgenommen. Alles ist voller Bilder, Slogans und Geschichten über die Hamas-Führung.» Alles sei von der Hamas durchdrungen, ein normales Stadtleben nicht möglich. Es fühle sich rückwärtsgewandt und unmenschlich an. «Palästinenser sind nicht Herren ihrer Sinne, wenn sie sagen 'Ich bin bereit, als Märtyrer zu sterben.'»
NGO-Gründer Joseph Braude ist überzeugt, dass die Mehrheit der Palästinenser nicht so ticke, wie die Hamas es vorgebe. Dafür beruft er sich im Gespräch mit der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) auch auf Umfragen und Berichte von Menschenrechtsgruppen. «Die meisten Palästinenser wollen eine andere Zukunft als die, die ihnen die Hamas in Aussicht stellt.» Nur 20 bis 25 Prozent würden tatsächlich mit der Terrorgruppe sympathisieren, so Baude.
Auch sei eine Mehrheit dagegen, Israel zu beschiessen. «Aber nicht, weil die Leute Israel lieben, sondern weil sie verstehen, wohin die Gewaltspirale führt.»
Repräsentative Umfragen sind in Gaza schwer durchzuführen und selbst dann nur in Teilen verlässlich. Doch es ist davon auszugehen, dass sich in den Wochen seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel die Meinung der Menschen zusätzlich verschärft hat. Bei dem Angriff und in dessen Folge wurden bisher rund 1'200 Israelis getötet und rund 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt, aufseiten der Palästinenser spricht das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium von mehr als 15'000 Toten.
Im November befragte das Umfrageinstitut Arab World for Research and Development (AWRAD) mit Sitz im jordanischen Ramallah 668 Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland. Dabei gaben 100 Prozent der Befragten an, sich in Gaza nicht sicher zu fühlen.
Gleichzeitig gab eine klare Mehrheit von 59 Prozent an, den Angriff der Hamas stark zu befürworten. Weitere 16 Prozent unterstützten den Angriff «zu einem gewissen Grad». Elf Prozent gaben an, ihn weder zu befürworten noch sich dagegen auszusprechen. Lediglich 13 Prozent sprachen sich dagegen aus. Dabei gab es mehr Zuspruch für den Angriff unter Bewohnern im Westjordanland (68 Prozent), wo die Palästinensische Autonomiebehörde das Sagen hat. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit radikalen israelischen Siedlern. Gaza hingegen wird von der Hamas kontrolliert, hier sprachen sich 47 Prozent der Bewohner für den Angriff aus.
65 Prozent der Befragten gaben darüber hinaus an, sie nähmen den aktuell herrschenden Konflikt so wahr, dass er auf alle Palästinenser abziele. Nur 18 Prozent halten es für einen Konflikt, der zwischen Israel und der Hamas ausgetragen wird.
Die Not der Menschen in Gaza ist gross. Dass die Hilfsgüter nicht oder nur teilweise bei ihnen ankommen, führt immer mehr zu Verzweiflung. Am Donnerstag tauchten Aufnahmen von Menschen auf, die vor einem Büro des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in De'ir Al Balah die Herausgabe von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern fordern.
Verwendete Quellen:
Mal schauen, ob diese Informationen gewissen Supporter die Augen öffnet.