Netflix investiert weiter in spanische Filme und Serien. Mindestens sieben neue Eigenproduktionen sollen 2021 auf dem Streaming-Anbieter erscheinen. Die Iberer sind zum Netflix-Darling geworden – und das ist kein Zufall.
2017 traf der Streaming-Gigant mit der spanischen Serie «Haus des Geldes» («La Casa de papel») ins Schwarze. Die Geschichte über den grössten Raubüberfall in der Geschichte Spaniens zählt zu den erfolgreichsten Netflix-Formaten, wobei die fünfte und letzte Staffel noch aussteht.
Im selben Jahr, aber noch vor «Haus des Geldes», startete die spanische Originalserie «Die Telefonistinnen», die auf Spanisch etwas weniger aggressiv «Las chicas del cable» klingt, als erste spanische Produktion. Im Zentrum der Drama-Serie stehen vier Frauen, die Ende der 20er Jahre in Madrid in einem Telefonunternehmen arbeiten. In Kürze stiess auch diese Serie auf grosse Beliebtheit.
«Das Schöne ist, dass wir mit dieser Serie nicht nur ein älteres Publikum ansprechen konnten, sondern auch junge Frauen», sagt die Produzentin Teresa Fernández-Valdés. Netflix sei anno dazumal auf der Suche nach einer Serie mit einer oder mehreren Protagonistinnen gewesen, die ein allgemeines Publikum ansprechen und auf die Plattform holen würde, erinnert sich Fernández-Valdés zurück. Dies scheint aufgegangen zu sein.
Denn nur ein Jahr nach dem Start von «Die Telefonistinnen» folgte schon der nächste Knüller aus Spanien: die Teenie-Serie «Élite», bei der es um Schüler einer spanischen Privatschule geht, die mit einem schrecklichen Verbrechen konfrontiert werden. Auch «Élite» schaffte den Durchbruch und sorgte über die Landesgrenze hinweg für einen grossen Hype.
Ende 2019 verkündete Netflix, dass die Serie über 20 Millionen Haushalte erreicht hätte. Bis heute dürften da noch einige mehr dazu gekommen sein. Dies führte wohl dazu, dass Netflix vor dem Start der vierten Staffel am 18. Juni ein neues Format der Serie präsentiert.
Um die Wartezeit bis zur vierten Staffel zu verkürzen, werden ab dem 14. Juni täglich Kurzgeschichten zu den Hauptfiguren veröffentlicht. «Wenn wir eine neue Staffel schreiben, werden einige Geschichten unserer Charaktere aus zeitlichen Gründen am Ende ausgelassen», sagt der Co-Produzent Carlos Montero. So könne man Lücken in Handlungssträngen gut umgehen.
Weitere Eigenproduktionen sind bereits in Produktion und sollen noch in diesem Jahr auf Netflix erscheinen. Dazu zählen die Dramaserie «Jaguar» und «If Only» sowie der sechsteilige Thriller «Baruca».
Aber warum sind spanische Produktionen eigentlich so beliebt? Gibt es eine spanische Zauberformel, die andere noch nicht entschlüsselt haben? 6 Punkte, warum Spanien zum Netflix-Darling geworden ist:
Eines ist schon einmal klar: Spanisch ist mit über 570 Millionen Muttersprachlern eine der meistgesprochenen Sprachen der Welt. Obwohl das lateinamerikanische Spanisch sich etwas von der ursprünglichen kastilischen Sprache aus Spanien unterscheidet, müssen die Serien nicht übersetzt werden. Dies ist schon einmal ein klarer Vorteil, verspricht aber nicht gleich auch Erfolg – vor allem nicht in der Schweiz, wo es laut Bundesamt für Statistik nur knapp 200'000 spanische Muttersprachler gibt. Woran liegt es dann?
Filmwissenschaftler Ventolini Zuluaga räumt ein, dass spanische Serien nicht nur deshalb erfolgreich geworden sind, weil sie spanisch sind. Vielmehr sei die Reichweite der Streaming-Plattformen wie Netflix für den Erfolg einer Serie verantwortlich – unabhängig davon, ob eine Serie in Spanien oder Frankreich produziert wurde.
Netflix investiert jedoch vor allem in spanische Eigenproduktionen. (Mehr dazu bei Punkt 6). Grund dafür seien die tiefen Produktionskosten. «Die Kosten für eine Serie liegen rund 20 bis 30 Prozent unter denen von Frankreich und Grossbritannien, die zu unseren grössten Wettbewerbern zählen», sagt der spanische Filmproduzent Juanma Pagazaurtundua gegenüber der deutschen Zeitung «Die Wirtschaftswoche».
Kosten können vor allem beim flexiblen Fachpersonal eingespart werden. So springe die Stylistin kurzfristig auch mal als Visagisten ein, wobei man keine weiteren Spezialisten beauftragen müsse.
Zentral ist auch die Ausgewogenheit des Geschlechterverhältnisses. In «Haus des Geldes» schlüpfen die Frauen gemeinsam mit den Männern in die Rolle der Bösewichte.
Der Titel «Die Telefonistinnen» weckt zwar nicht den Anschein, aber auch hier ist der Anteil an Frauen und Männern recht ausgeglichen. Letztlich kämpfen die vier Hauptdarstellerinnen um die Selbstverwirklichung und Emanzipation der Frauen in einer männerdominierten Welt.
Bei «Élite» geht man sogar noch etwas weiter und zeigt, was andere ausblenden. Mit einer schwulen Sexszene läutete die Serie ein ganz neues Kapitel der Teenie-Serie ein. «Die Serie stellt die schwule Liebe zum ersten Mal auf eine Art und Weise dar, die sich total ehrlich anfühlt», findet Serien-Blogger Sam Prance von PopBuzz.
Diversität alleine macht noch keine gute Geschichte. «Der wesentliche Grund für den Erfolg spanischer Serien sind die guten Geschichten», sagt die Filmproduzentin Cristina Alcelay gegenüber «El Confidencial». Man dürfe aber nicht vergessen, dass Drama-Serien allgemein sehr beliebt sind.
Ein weiterer Punkt sei die Qualität, die sich von Tag zu Tag verbessere. Die spanische Produzentin ist aber der Meinung, dass der Erfolg vor allem Netflix zuzuschreiben ist. «Die internationale Sichtbarkeit durch Streaming-Dienste beschleunigte den Erfolg spanischer Serien in Windeseile».
Dazu kommt, dass Netflix Erfahrung damit hat, eine Serie erfolgreich zu machen. Neben zahlreichen Marketing-Strategien setzen sie ihr Know-how gekonnt ein. «Netflix weiss anhand ihrer Zahlen und Statistiken genau, was beim Publikum gut funktioniert», sagt die kolumbianische Filmproduzentin Para Ana Piñeres. Zudem nehme der Streaming-Gigant nur Serien in sein Portfolio auf, mit denen sich ein Grossteil der Kund:innen identifiziert. Wer sich einmal mit einer spanischen Serie anfreunden konnte, schaut vermutlich auch bei einer neuen spanischen Produktion rein.
2019 machte sich Netflix in Spanien breit: Der Streaming-Gigant eröffnete seine erste Produktionsstätte in Tres Canton, Madrid. Das Produktionsgelände hat eine Fläche von 22'000 Quadratmetern und ist primär für Serien-Content gedacht. Seit dem Start beschäftigt der Streaming-Anbieter über 1500 Filmschaffende. «Wir investieren langfristig, wir sind hier, um zu bleiben und uns aktiv zu beteiligen», verkündete Netflix damals.
Die spanische Produzentin Teresa Fernández-Valdés, die bei der Serie «Die Telefonistinnen» mitwirkte, ist sich sicher: «Dieser Trend wird nicht so schnell verschwinden, sondern sich in den kommenden Jahren noch verstärken». Als Begründung gibt die Produzentin den massiven Ausbau der spanischen Produktionsstätte an.
Etwas anders sieht das die kubanische Filmproduzentin Claudia Rojas. «In Zukunft werden Länder wie Mexiko, Argentinien und Chile den Markt zurückerobern». Ihrer Meinung nach hätten die Südamerikaner:innen die besseren Erfahrungen mit melodramatischen Filmen und Serien.