Weniger Gesuche um Solidaritätsbeiträge als erwartet

Weniger Gesuche um Solidaritätsbeiträge als erwartet

06.07.2017, 09:40

In aller Eile hat das Parlament letztes Jahr 300 Millionen Franken bewilligt, damit auch betagte Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen noch einen Solidaritätsbeitrag beantragen können. Bisher sind aber weniger Gesuche eingegangen als erwartet.

Seit 1. Dezember 2016 haben 2536 Gesuche das Bundesamt für Justiz erreicht, wie es in einer Medienmitteilung vom Donnerstag heisst. Ausgehend von den bisherigen Schätzungen der Opferzahlen sei dies eine eher geringe Zahl. Der Bundesrat rechnete mit 12'000 bis 15'000 Opfern. Diese sollen jeweils zwischen 20'000 und 25'000 Franken erhalten.

Der «Verein Fremdplatziert» forderte umgehend, dass diese Obergrenze angehoben wird. Die meisten Opfer seien seit der Aufhebung der menschenrechtswidrigen Versorgungsgesetze 1981 verstorben, heisst es in einer Mitteilung. Wenn die Zahl der Gesuche tief bleibe, würden nur 60 bis 100 Millionen Franken der gesprochenen 300 Millionen Franken ausbezahlt. Das Parlament müsse über die Bücher und dafür sorgen, dass der volle Rahmenkredit ausgeschöpft werde.

Frist noch nicht abgelaufen

Gesuche können allerdings noch bis am 31. März 2018 eingereicht werden. Die Auszahlungen werden ab April 2018 vorgenommen. Die Gesuche von kranken oder betagten Betroffenen werden vorgezogen, die übrigen werden in der Reihenfolge des Eingangs behandelt. Bei der Prüfung der Berechtigung wird das Bundesamt für Justiz durch eine beratende Kommission unterstützt.

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen waren in der Schweiz bis 1981 angeordnet worden. Zehntausende von Kindern und Jugendlichen wurden an Bauernhöfe verdingt oder in Heimen platziert, viele wurden misshandelt oder missbraucht. Menschen wurden zwangssterilisiert, für Medikamentenversuche eingesetzt oder ohne Gerichtsurteil weggesperrt, weil ihre Lebensweise nicht den Vorstellungen der Behörden entsprach.

Im Lauf der letzten Jahre gab es erste Schritte zur Rehabilitierung der Betroffenen. An einem Gedenkanlass bat Justizministerin Simonetta Sommaruga im April 2013 die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen im Namen des Bundesrats um Entschuldigung.

Ende 2014 wurde die vom Unternehmer Guido Fluri lancierte Wiedergutmachungsinitiative eingereicht. Diese forderte 500 Millionen Franken für die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Bundesrat und Parlament nahmen das Anliegen mit einer Gesetzesänderung und einem tieferen Betrag auf. Die Initiative wurde daraufhin zurückgezogen.

Mehr als Geld

Das «Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981» ist am 1. April 2017 in Kraft getreten. Es regelt mehr als Solidaritätsbeiträge. Es anerkennt, dass den Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen Unrecht angetan worden ist, das sich auf ihr ganzes Leben ausgewirkt hat.

Akten sollen aufbewahrt werden, und Betroffene sollen Einsicht erhalten in die Dokumente. Auch hat der Bundesrat für eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Zwangsmassnahmen zu sorgen, und die Kantone müssen für die Opfer Anlauf- und Beratungsstellen einrichten.

Diese Arbeiten sind nach Angaben des Bundesamts für Justiz in vollem Gang. In der Mitteilung erwähnt ist die wissenschaftliche Aufarbeitung, namentlich im Rahmen der unabhängigen Expertenkommission «administrativ versorgte Menschen» sowie das Nationale Forschungsprogramm 76 «Fürsorge und Zwang - Geschichte, Gegenwart, Zukunft».

Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, die in einer finanziellen Notlage waren, ist in den letzten Jahren bereits mit einem Soforthilfefonds geholfen worden. Mehr als 1117 Personen bekamen einen Betrag zwischen 4000 und 12'000 Franken. Insgesamt wurden 8.7 Millionen Franken ausbezahlt. Die Summe stammte überwiegend von den Kantonen. (sda)

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