Er hätte es auch anders haben können. Verlangen, dass man ihn mit seinem richtigen Namen ansprach. Aber Jakob Kuhn blieb für alle stets Köbi und das ist ein Teil der Erklärung dafür, weshalb er so populär war. Der bescheidene Arbeitersohn aus dem Zürcher Stadtteil Wiedikon war einer vom Volk.
Während seiner Zeit als Nationaltrainer rief ihn einer meiner Freunde einmal an, um mit ihm über die Taktik der Mannschaft zu sprechen. Einfach so. Kuhns Nummer hatte er im Telefonbuch gefunden, zwischen Kubli und Kuratle stand dort sein Name. Wieso hätte er auch nicht dort stehen sollen? Kuhn war zwar Trainer der Fussballnationalmannschaft, aber deswegen war er doch niemand besseres. Und so diskutierte er mit meinem Freund darüber, wie die Schweiz spielen soll.
Rührend nahm das Land Anteil am Schicksal seiner langjährigen Gattin Alice, die er bis zu ihrem Tod pflegte. Immer habe sie hinten anstehen müssen, sagte Kuhn, nun sei es an ihm, für seine Frau da zu sein. Eine Haltung, die gut ankam. Auch weil die Leute spürten, dass Kuhn authentisch war und keine Rolle spielte, nur um ihnen zu gefallen. Sie sahen, wie er am Samstag in der Migros den Wocheneinkauf tätigte und sie sahen dabei: Das ist einer wie du und ich.
Als Fussballer galt Kuhn als einer der besten Spielmacher, den die Schweiz je hatte. Das liess sich an Prominentenspielen auch lange nach der Aktivkarriere noch feststellen, wo Kuhn zwar nicht in den Verdacht geriet, dass die Stollenschuhe wegen Überbeanspruchung ersetzt werden müssen, er aber mit 40-Meter-Pässen aus dem Fussgelenk begeisterte.
Seinem FC Zürich blieb er stets treu – auch wegen des Machtworts des damaligen FCZ-Präsidenten Edi Nägeli. Der hatte von Kuhns Wechselabsichten zum Stadtrivalen GC erfahren, drohte seinem Spieler mit einer zweijährigen Sperre und so kroch dieser über die Gleise zurück in den Letzigrund. Er habe sich als Spieler weniger angepasst als andere, sagte Kuhn einst über sich selber, und: «Ich war für die Trainer kein Einfacher.»
Als er selber Nationaltrainer wurde, nutzte er die vielen Erfahrungen, die er über die Jahre gesammelt hatte. Er spürte die Mannschaft und wusste, wann er die Zügel anziehen musste und wann er sie locker halten konnte. Kuhn schaffte es, die Spieler zu einer verschworenen Einheit zu machen, zu einer Fussball-Familie. Und als deren Oberhaupt den 60. Geburtstag feierte, besang ihn ein ganzes Stadion: Es war, als die Schweiz die Qualifikation für die EM 2004 in Portugal geschafft hatte, die erste Turnierteilnahme nach drei gescheiterten Anläufen.
Kuhns Mannschaft löste damit eine Begeisterung im Land aus, die ihren Höhepunkt zweieinhalb Jahre später erlebte. In unvergessenen Barrage-Spielen setzte sich die Schweiz gegen die Türkei durch und konnte an der WM 2006 in Deutschland teilnehmen. In Dortmund gewann sie vor geschätzten 50'000 Schweizer Zuschauern 2:0 gegen Togo. Sie legte mit einem Sieg gegen Südkorea nach und scheiterte erst im WM-Achtelfinal im Penaltyschiessen an der Ukraine. Das war genauso ernüchternd wie das frühe Aus an der Heim-EM 2008. Danach beendete Kuhn seine Trainerlaufbahn.
Kuhn hatte auch abseits des Rasens mit Rückschlägen zu kämpfen. Seine Tochter verlor er an die Drogen. Und als er nach der Fussballerkarriere als Versicherungsagent arbeitete, häuften sich die Schulden. Über Kuhn wurde in den 1980er-Jahren der Konkurs eröffnet. Umso mehr sah er seine späten Jahre als Nationaltrainer als unerwarteten Bonus an. Das Leben hatte es also doch gut gemeint mit ihm.
Zuletzt hatte Köbi Kuhn immer öfter mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, musste sich unter anderem auf der Intensivstation pflegen lassen. Doch er blieb stets positiv. Nachbarn von ihm tüfteln mit Drohnen, immer wieder stürzten sie in Kuhns Garten. Oft habe er danach an der Haustüre geklingelt, eine Drohne in der Hand, und den Technikern Mut gemacht: Dank Menschen wie ihnen würde die Welt voran kommen.
Sein aktueller Nachfolger als Nationaltrainer, Vladimir Petkovic, ist noch erfolgreicher als Kuhn. Aber so populär wird er nie werden. So beliebt wie «Köbi National» wird wohl überhaupt nie mehr ein Trainer der Schweizer Nationalmannschaft sein.