Christian Streich hat es schon wieder getan. Wieder einmal wurde er auf einer Pressekonferenz auf ein Thema abseits des Sportes angesprochen. Und obwohl er das selber eigentlich gar nicht unbedingt will, hat der Trainer des SC Freiburg auch dieses Mal ehrlich geantwortet. Weil man das halt so macht, egal ob ein Familienmitglied, ein Spieler oder halt ein Journalist eine Frage stellt. Angesprochen auf den Sturm des Capitols vergangene Woche sagt Streich am Tag vor dem Bundesliga-Spiel gegen Köln: «Was in Amerika passiert, überrascht mich nicht. Ich habe es erwartet. Wie dieser Rassist und Menschenfeind von der politischen und wirtschaftlichen Elite begleitet wurde. Da gibt es nicht einen Schuldigen, sondern ganz viele.»
Natürlich wurden Streichs Aussage von so gut wie jedem deutschen Medium aufgegriffen. Doch die Streich-Trump-Schlagzeilen wurden bereits am Samstag von sportlichen Freiburger Schlagzeilen abgelöst. Mit 5:0 hatte Streichs Teams den 1. FC Köln aus dem Schwarzwaldstadion geschossen. Der fünfte Sieg in Folge ist Rekord für die Breisgauer, die vom Budget her eigentlich in jeder Saison zu den Abstiegskandidaten zu zählen sind. Zum Vergleich: Der FC Bayern gab vergangene Saison zehnmal so viel Geld für das Personal aus wie die 45 Millionen Euro des SC Freiburg. Auch in dieser Saison haben nur Bielefeld und Union Berlin weniger Geld zur Verfügung. Und trotzdem ist Freiburg nach 15 Runden auf Rang 8 nur zwei Punkte von einem Europa-League-Platz entfernt.
Für Christian Streich ist das aber überhaupt kein Grund in Euphorie zu verfallen. «Du kriegsch viel Lob, wenn de gwinnsch. Da musch schaue, dassd uffem Bode bliebsch», sagt er in seinem typischen südbadischen Dialekt. Der jüngste Sieges-Rekord? «Bedeutet mir nix.» Die gute Entwicklung sei entscheidend. Und die lässt sich sehen.
Seit Jahren verlassen den SC Freiburg vor der Saison wichtige Leistungsträger. Die Nationalspieler Luca Waldschmidt (Benfica) und Robin Koch (Leeds) und Torhüter Alexander Schwolow (Hertha) allein im vergangenen Sommer. Und trotzdem schafft es Streich aus eigenen Junioren, klugen Neuverpflichtungen und Rückkehrern, die anderswo nicht glücklich wurden, immer wieder ein kompetitives Team zu bauen.
Kein Team geniesst auch bei Fans anderer Bundesliga-Klubs so grosse Sympathiewerte wie der SC Freiburg. Auch in der Schweiz interessieren sich viele für den Verein, dessen Stadion nur 70 Kilometer nördlich von Basel liegt. Über 1000 Schweizer haben eine Dauerkarte beim SC. Schon bald könnten es noch mehr werden. Dann, wenn der SC sein neues Stadion bezieht. Denn dort haben mit 34'000 Zuschauern 10'000 Fans mehr Platz als im zuvor beinahe immer ausverkauften Schwarzwald-Stadion. Das neue Schmuckstück ist schon bald bezugsbereit. Wegen der Pandemie und den Zuschauerverboten ist aktuell noch unklar, ob der SC noch in der laufenden oder erst auf die neue Saison hin umzieht.
Das neue Stadion soll dem SC Freiburg finanzielle Sicherheit geben und ihm weiterhin erlauben auf regionale Sponsoren wie Schwarzwaldmilch und Tannenzäpfle-Bier statt auf nationale oder globale Player zu setzen. Dass aufgrund von Anwohnerklagen aktuell keine Freitagabend- und keine frühen Sonntagnachmittag-Spiele stattfinden können, sorgt noch nicht für allzu grosse Sorgen. Zumal das finale Urteil noch aussteht.
Der SC Freiburg ist eine Oase im Profifussball. Hier können sich die Spieler entwickeln, weil Streich sie bei Gesprächen im «Kabuff», wie er seine fünf Quadratmeter grosses Trainerzimmer gerne nennt, gut abholt und sich vor allem stets für sein Gegenüber interessiert. Auch über den Fussballplatz hinaus.
Am Tag vor der Niederlage seines Teams gegen Streichs Freiburger sagte Köln-Trainer Markus Gisdol: «Christian ist für mich der beste Trainer der Welt. Er zieht sein Ding durch und ist der Schlüssel für Freiburgs Erfolg.» Mit dieser Meinung dürfte Gisdol nicht alleine sein. Neben seiner Authentizität und Bodenständigkeit ist Streich auch fussballerisch ein Fachmann. Mit Teamgeist, Wille und Kondition macht er mit seinen Mannschaften schon seit neun Jahren die durch die finanziellen Nachteile unausweichlichen fussballerischen Defizite wett. Der Abstieg 2015 war nur ein kleiner Rückschlag, der ein Jahr später direkt ausgemerzt wurde.
«Wir laufen gefühlt zehn Kilometer mehr als der Gegner», posaunte Grifo vor kurzem im Fussballmagazin «11FREUNDE». Grifo gehört zu den Rückkehrern. Nur in Freiburg scheint er richtig zu funktionieren. In dieser Saison ist er mit sieben Toren und vier Assists Freiburgs Topskorer und wurde für die italienische Nationalmannschaft aufgeboten.
Neben Grifo blüht auch der Ex. St. Galler Ermedin Demirovic mittlerweile auf. Der Bosnier trug zur angesprochenen Siegesserie in den letzten fünf Spielen zwei Tore und fünf Assists bei. Und das, obwohl er jeweils nur zu Teileinsätzen kam.
Ins kommende Duell gegen den nach der Gladbach-Niederlage und dem Pokal-Out in Kiel angeknockte Spitzenreiter FC Bayern geht Freiburg am Sonntag als Formspitzenreiter. Kein Team hat in den vergangenen sieben Spielen in der Bundesliga mehr Punkte geholt. Doch Streich will auch das nicht überbewerten. Er weist darauf hin, dass sein Team in dieser Saison auch schon neunmal nicht gewonnen hat. Und auf das kommende Spiel in München angesprochen, sagt er, wieder typisch Streich: «Wennse uns auseinandernemme, weil sie so gut sind, dann ischs halt so.»
Immer wieder vor Freiburg!
Immer eine grosse Freude ihn pointiert und eloquent auch über den Fussball-Tellerrand hinaus sprechen zu hören.
Und falls er irgend wann mal der BL überdrüssig werden sollte, 70km südlicher wäre ihm ein roter Teppich gewiss, auch wenn ihm persönlich das höchstwahrscheinlich relativ egal wäre. :)