Gesellschaft & Politik

In einem Punkt ähnelt die Schweiz einer Diktatur

100 mal 1000 Franken – etwas für die Reichen.
100 mal 1000 Franken – etwas für die Reichen.Bild: KEYSTONE
Vermögens- und Einkommensverteilung

In einem Punkt ähnelt die Schweiz einer Diktatur

Eine doppelte Ungleichheit prägt die Schweiz: Einkommen und Vermögen sind ganz verschieden verteilt. Bei den Vermögen klafft ein tiefer Graben zwischen Arm und Reich.
09.05.2014, 03:5809.05.2014, 12:05
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Marc Fischer / Aargauer Zeitung
Ein Artikel von Aargauer Zeitung
Aargauer Zeitung

Ökonomische Modelle stellt man sich am besten in stilisierten Welten vor. Wenn es um die Gerechtigkeit der Vermögensverteilung geht, hilft das Bild der Diktatur: In ihr sind die Vermögen so ungerecht wie nur möglich verteilt. Der Diktator besitzt alles, die Untertanen nichts.

In der Formelwelt der Ökonomie beschreibt der Gini-Koeffizient mit einem Wert 1 einen solchen Zustand. Die Gini-Formel ist ein Mass der Ungleichverteilung. Während der Wert 1 völlige Ungleichheit anzeigt, steht der Wert 0 für vollkommene harmonische Verteilung.

In Bezug auf die Vermögensverteilung gleicht die Schweiz einer Diktatur. Am extremsten ist die Stadt Basel: Mit einem Gini-Koeffizienten von 0,92 hat sie nur wenig Spielraum nach oben. Mit einem Wert von 0,84 sind aber auch die Vermögen in der Schweiz sehr ungleich verteilt.

Der französische Ökonom Thomas Piketty erklärt das damit, dass die Vermögen stärker wachsen als die Einkommen. Und die diesbezüglichen Werte der Schweiz der vergangenen fünfzehn Jahre bestätigen diesen Befund: Eine Anlage an der Börse warf, gemessen an der Entwicklung des Schweizer Börsenindexes SPI, im Schnitt jährlich eine Rendite von 3,3 Prozent ab. Die Löhne dagegen stiegen dreimal weniger stark – um jährlich 1,1 Prozent.

Das heisst: Die vermögenden Familienclans der Schweiz hatten gegenüber dem vermögenslosen Arbeitervolk einen deutlichen Vorteil. 

Der Ökonom Thomas Piketty half die Diskussion um die ungleiche Vermögensverteilung – die 1-Prozent-Diskussion – anzustossen.
Der Ökonom Thomas Piketty half die Diskussion um die ungleiche Vermögensverteilung – die 1-Prozent-Diskussion – anzustossen.Bild: AP/Harvard Press

Knackpunkt PK-Vermögen

Es bleibt die Frage, ob die extremen Unterschiede die Folge einer mangelhaften Erhebung sind: Die Pensionskassenvermögen werden nämlich in der Vermögenserhebung der Steuerverwaltung nicht berücksichtigt. Tendenziell könnten die PK-Vermögen die Ungleichheit sicher abschwächen. Jedoch kaum substanziell; vielleicht im zweiten Nachkommabereich. Auch unter Berücksichtigung der PK-Gelder würde die Schweiz im internationalen Vergleich also schlecht abschneiden. 

Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2008 – eine andere Methode hatte andere Werte für die Schweiz zur Folge – sind die Vermögen sogar in Russland, Nigeria oder in Mexiko gerechter verteilt. Experten sagen, die Situation in der Schweiz ist geprägt durch das milde Steuerklima: Es hat viele reiche Personen angelockt, welche die Unterschiede verschärften. 

Auch die Demografie spielt eine Rolle: Immer mehr ältere Personen mit viel Alterskapital stehen immer weniger Jungen mit kleinen Vermögen gegenüber.

Ganz anders dagegen präsentiert sich die Situation bei den Einkommen: Hier schneidet die Schweiz international besser ab; die Ungleichheit ist geringer als etwa in Schweden, Deutschland oder den USA. Doch wie Piketty sagen würde: Was bringt es? Wer nur Einkommen hat, bringt es eh nie auf einen grünen Zweig. (trs)

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