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Aargauer wollte Mobilität revolutionieren – jetzt muss er ins Gefängnis

Aargauer träumte von 700 Teslas und 2100 Chauffeusen – doch die Sache hatte einen Haken

Er wollte die urbane Mobilität revolutionieren. Doch der Unternehmer aus Baden hat seine Investoren mit gefälschten Dokumenten getäuscht. Jetzt muss er ins Gefängnis.
08.11.2017, 08:2208.11.2017, 09:48
Noemi Lea Landolt / az Aargauer Zeitung
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«Ein richtiger CEO hätte sicher die Notbremse gezogen», sagte der Angeklagte gestern vor dem Bezirksgericht Baden. Aber er, gelernter Schreiner und «geistiger Visionär» des Projekts, glaubte an seine Idee. An die 700 Elektroautos, die 2100 Chauffeusen, die Revolution auf der Strasse. Es sollte eine Alternative zum Taxi werden, ein Schweizer Uber mit App fürs Smartphone.

Doch die Firma mit Sitz in Baden war von Anfang an zahlungsunfähig. Ohne Stammkapital gegründet, einzig mit kurzfristigen Darlehen, die der Mann hätte zurückzahlen müssen. Obwohl er sah, dass die Firma pleite war und er Konkurs hätte anmelden sollen, hoffte er weiter auf die Millionen der namhaften Firmen, mit denen er im Gespräch war. «Für mich war immer klar, dass das Geld kommen wird, obwohl kein Vertrag unterschrieben war», sagt er. Um nicht Konkurs anmelden zu müssen, bevor die Firma überhaupt richtig in Fahrt kam, habe er «aus der Not heraus einen schlimmen Ausweg» gewählt.

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Zu Hause auf dem Computer hat der 61-Jährige mit professionellen Layoutprogrammen mehrere Dokumente gefälscht, um potenzielle Investoren, Verwaltungsratsmitglieder und Mitarbeiter die Finanzierungszusage der Firmen vorzutäuschen. Im Glauben daran, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis diese ihre Millionen überweisen, liehen im mehrere Personen hohe Summen oder kauften Aktien seiner Firma.

Der Schaden sei «unermesslich», sagt der Beschuldigte vor Gericht. «Sie haben ungerührt Dokumente gefälscht», sagt Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr. «Ungerührt auf keinen Fall», antwortet er. Er sei ein sehr emotionaler Mensch und habe aus einer Verzweiflung heraus so gehandelt. Er habe nie auf grossem Fuss gelebt oder sich selbst bereichern wollen. Auch in seinem letzten Wort betont er, es sei ihm um die Sache gegangen: «Ich habe mich von der Wichtigkeit des Themas blenden lassen.»

«Vor uns sitzt nicht Steve Jobs»

Dieser Einsatz für die Sache möge ja lobenswert sein, sagte Staatsanwalt Lorenz Kilchenmann in seinem Plädoyer. «Aber vor uns sitzt nicht Steve Jobs aus Baden.» Dem Beschuldigten fehle die Einsicht. «Er ist besessen von seiner Idee», sagte Kilchenmann. Am Schluss habe er den Investoren gefälschte Verträge mit Finanzierungszusagen von namhaften Firmen in der Höhe von 23 Millionen Franken gezeigt und ihnen so insgesamt Darlehen von mehreren Millionen Franken abgeknöpft. Mit dieser «perfiden Masche» habe er selbst gestandene Wirtschaftsfachleute über den Tisch gezogen. «Einigen ist das im Nachhinein so peinlich, dass nicht einmal als Privatkläger auftreten möchten», sagte der Staatsanwalt.

Er forderte eine Haftstrafe von fünf Jahren unter anderem wegen Veruntreuung, Misswirtschaft, gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung. Ausserdem beantragte er, ein Berufsverbot für das Vermarkten von Mobilitätskonzepten zu prüfen. Der Beschuldigte habe schon einen grossen Schaden angerichtet und sei momentan in einem Unternehmen als Berater tätig, das die gleiche Idee wie seine Firma damals verfolgte. «Er trägt schon wieder dick auf, da kommen Befürchtungen auf», so Kilchenmann.

Dreieinhalb Jahre ins Gefängnis

Der Verteidiger verlangte einen Teilfreispruch für seinen Mandanten. Insbesondere die Gewerbsmässigkeit sei in diesem Fall eindeutig nicht gegeben. Der Beschuldigte habe das Geld nicht für sich selber, sondern für die Firma gebraucht: «Es ging ihm um die berauschende Mobilitätsidee.» Ausserdem machte der Verteidiger geltend, die Geschädigten hätten sorgfältiger sein können. Er forderte 24 Monate Gefängnis mit dem Eventualantrag, die Strafe teilbedingt auszusprechen.

Das Bezirksgericht Baden sprach den Beschuldigten in wenigen Punkten frei und folgte ansonsten weitgehend der Anklage. Natürlich seien Investitionen in ein Start-Up mit einem Risiko verbunden: «Aber bei Ihnen hätten die Geldgeber das Geld auch in den Kübel werfen können», sagte Gerichtspräsidentin Fehr zum Beschuldigten. Indem er den Investoren gefälschte Dokumente vorgelegt habe, habe er eine Vertrauensbasis geschaffen, die auf einer Lüge gründe. «Dieses Lügengebäude ist dann von einer Täuschung in die nächstegewachsen», sagte Fehr.

Auf ein Berufsverbot verzichtete das Gericht. Fehr hofft, dass der Lerneffekt genug gross war und der Beschuldigte nun wisse, dass alles, was mit Geld reinholen oder Verträgen abschliessen zu tun habe, nicht sein Ding sei.

Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig. Beide Parteien können es ans Obergericht weiterziehen. (aargauerzeitung.ch)

Meanwhile im Silicon Valley: Tesla-CEO tüftelt an Hirn 2.0

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