
Putin unterhält sich mit Valery Gerasimov, dem Oberbefehlshaber der russischen Armee.Bild: EPA/SPUTNIK POOL
Raketen mit Atomsprengköpfen in Königsberg,
ein Flugzeugträger im Mittelmeer, Hackerangriff auf die USA: Russlands
Präsident wirft die Kriegsmaschinerie an. Die Angst vor einem Dritten Weltkrieg
steigt, auch bei uns.
28.10.2016, 14:5326.01.2022, 13:29

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Am 10. Oktober hat der Gouverneur von St.Petersburg
angeordnet, dass so viel Getreide als Notvorrat gehortet werden muss, dass für
jeden Bewohner der Stadt mindestens 20 Tage lang 300 Gramm zur Verfügung
stehen. Das Vorgehen hat grosse symbolische Bedeutung: Leningrad – so hiess St.Petersburg
in der UdSSR – wurde im Zweiten Weltkrieg von den Nazi-Truppen 900 Tage lang
belagert. Rund eine Million Menschen sind damals verhungert.
St.Petersburg ist kein Einzelfall. Zwischen
dem 4. und 7. Oktober waren rund 40 Millionen Russinnen und Russen an einem
gigantischen Zivilschutzmanöver beteiligt. Die Behörden meldeten danach
befriedigt, dass die Unterkünfte in gutem Zustand seien.
In einem Bezirk in
Moskau forderten derweil die Behörden die Mitbürger zu Spenden für den Bau
eines Bunkers auf mit dem Hinweis auf die «wachsenden internationalen
Spannungen, speziell die zu erwartende nukleare Aggression gegen Russland von
feindlichen Ländern». Gemeint sind dabei natürlich die USA und ihre Verbündeten.
Kriegspropaganda ist am russischen
Staatsfernsehen und beim Propagandasender RT seit einiger Zeit alltäglich.
Hassprediger wie der TV-Moderator Dmitry Kiselev oder der Ultranationalist
Wladimir Zhirinowsky drohen mit Atomangriffen und warnen vor dem Dritten
Weltkrieg. In den vergangenen Tagen hat die Propagandamaschine nun einen Gang
höher geschaltet.
Der Geschichtsprofessor Michael Khodarkowsky
stellt in einer Kolumne in der «New York Times» fest: «Es ist offensichtlich,
dass der Kreml ganz bewusst den Eindruck erwecken will, dass ein Krieg
unmittelbar bevorsteht. Deshalb lässt er über seine Medien die Botschaft
verbreiten, dass die NATO Russland unter Druck setzt.»
«Russland riskiert eine Überdosis an Hass und Aggression.»
Akrady Ostrovsky
Es sind mehr als verbale Drohungen, Putin hat
auch massiv in die Modernisierung seiner Streitkräfte investiert. «Nach 1998
erhöhte Russland jedes Jahr seine Militärausgaben», stellt Philip Breedlove im
Magazin «Foreign Affairs» fest. «Gleichzeitig begann es, sich systematisch in
die Angelegenheiten seiner Nachbarn einzumischen, beispielsweise, in dem es
mehrmals die Gaslieferungen nach der Ukraine aussetzte.»
Breelove war zwischen
2013 und 2016 oberster Befehlshaber der US-Truppen in Europa und der NATO.
Mehr als nur Propaganda-Spiele
Russische Kampfjets fliegen Scheinattacken auf
NATO-Jets; in der russischen Exklave Königsberg werden Raketen mit
Atomsprengköpfen aufgebaut; in Syrien bringen russische Soldaten modernste
Abwehrraketen vom Typ S-300 in Stellung; und neuerdings dampft der russische
Flugzeugträger «Admiral Kusnezow» durchs Mittelmeer Richtung Nahost. Das sind
mehr als Propaganda-Spiele.

Der russische Flugzeugträger «Admiral Kusnezow» im Mittelmeer.Bild: EPA/ DOVER MARINA.COM
Lange hat man im Westen Putins Drohgebärden
nicht ernst genommen. US-Präsident Barack Obama hat Russland als
«Regionalmacht» bezeichnet – und sich damit wohl die ewige Feindschaft des
Kremls eingehandelt. Der russische Präsident ist so etwas wie das ADS-Kind der
internationalen Gemeinschaft. «Er benimmt sich wie ein Kind im Sandkasten, das
so lange dummes Zeug macht, bis es von den Erwachsenen zur Kenntnis genommen
wird», stellt auch Khodarkovsky fest.
Diese Haltung kann sich der Westen nicht mehr
leisten. Nochmals Khodarkovsky: «Eine Welt mit Atomwaffen ist kein Sandkasten,
und Kriegshysterie in einem riesigen Land zu schüren, das unter imperialer
Nostalgie leidet, einer Ein-Mann-Diktatur, einer demografischen Krise,
ethnischen Spannungen und einer wegen eines tiefen Ölpreises schwächelnden
Wirtschaft – das kann man nicht so leicht zur Seite schieben.»
Die russischen Streitkräfte sind der NATO weit unterlegen
Ist also die Angst vor einem Dritten Weltkrieg
mehr als das Hirngespinst von notorischen Verschwörungstheoretikern? Ein
bevorstehender heisser Krieg ist nach wie vor unwahrscheinlich. «Russland hat
keine Absicht, gegen Amerika und seine Alliierten in den Krieg zu ziehen»,
stellt der «Economist» fest. Der Grund dafür ist offensichtlich: Allen
Anstrengungen zum Trotz sind die russischen Streitkräfte den NATO-Truppen noch
weit unterlegen.

Aufmarsch der von Russland unterstützten, faschistischen Partei «goldene Morgenröte» in Griechenland.Bild: EPA/ANA-MPA
Russland hat aber ein grosses Interesse daran,
den Westen zu destabilisieren. Deshalb unternimmt Putin alles, um die EU zu
spalten. Er unterstützt sämtliche EU-feindlichen Parteien Europas: Ob Front
National oder Jobbik, ob «goldene Morgenröte» – alle neofaschistischen Parteien
erhalten Unterstützung aus Moskau.
Mithilfe von Wikileaks verfolgt Putin in den
USA ein Ziel, das Mark Galeotti in «foreign policy» wie folgt umschreibt: «Es
geht darum, Clinton so zu schwächen, dass sie nach ihrer Inauguration alle
Hände voll zu tun hat, mit der verstimmten Linken bei den Demokraten und den
verbitterten Republikanern klarzukommen. Eine so gespaltene Nation hätte
keine Energie übrig, um sich mit Putin anzulegen.»
Stellt sich Putin selbst ein Bein?
So weit der Plan. Putin gilt als raffinierter
Taktiker, jedoch als lausiger Stratege. Sein rüpelhaftes Vorgehen wendet sich
gegen Russland: «Mit seiner Schmutzkampagne scheint Putin es geschafft zu
haben, Clinton und ihre Umgebung zu überzeugen, dass der Kreml eine
ernstzunehmende Bedrohung (in der Fachsprache spricht man von einer «clear and
present danger», Anm. d. Red.) für die amerikanische Demokratie und die
westliche Einheit geworden ist», stellt Galeotti fest.
Ob Putin in die Schranken gewiesen werden
kann, ist ungewiss. Der Propagandakrieg hinterlässt auf jeden Fall Spuren und
macht die Welt unsicherer. «Russland riskiert eine Überdosis an Hass und
Aggression», warnt Akrady Ostrovsky in seinem Buch «The Invention of Russia». «Euphorie
und nationalistischen Rausch kann man nicht abdrehen wie ein TV-Gerät: Die
aufgepeitschten Emotionen verschwinden nicht einfach so.»
Fake bleibt Fake: Diese manipulierten Bilder machen im Netz immer wieder die Runde
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Trotz der seit Wochen deutlich reduzierten Liefermengen aus Russland sind die deutschen Gasspeicher wieder zu mehr als 75 Prozent gefüllt. Nach neuesten, vorläufigen Daten der europäischen Gasspeicherbetreiber vom Samstagabend lag der Füllstand am Freitagmorgen bei 75,43 Prozent. Damit wurde das erste Speicherziel einer neuen Verordnung mehr als zwei Wochen früher als vorgeschrieben erreicht. Der Füllstand wird immer erst mit Verzögerung gemeldet.