Diese Hoffnung formulierte ich im März 2020.
Heute ist sie aktueller denn je.
Was ab April 2020 folgte, war eine historische Kooperation. Innert Monaten wurde eine Smartphone-Technologie entwickelt, die es so noch nicht gegeben hatte. Aus dem Boden gestampft, bringt es besser auf den Punkt.
Der Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bekundeten Mühe, mit dem Tempo mitzuhalten, das die unabhängigen Fachleute von DP-3T anschlugen. Und auch die Techgiganten Apple und Google waren extrem gefordert. In Windeseile ergänzten sie ihre Betriebssysteme iOS und Android um neue technische Schnittstellen fürs Proximity-Tracing, was nicht ohne Pannen über die Bühne ging.
Heraus kam SwissCovid – eine echte Schweizer Innovation. Ihr folgten weltweit viele weitere Corona-Warn-Apps.
Bis heute sind keine gravierenden Fehler bekannt, geschweige denn gab es alarmierenden Datenmissbrauch oder erwähnenswerte kriminelle Attacken. Das von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angestrebte Konzept der Datensparsamkeit («Privacy by Design») hat sich bewährt.
Was aber das Wichtigste ist:
Der Walliser Mathias Wellig, einer der SwissCovid-Väter, hält auf Anfrage von watson fest:
Aus Schweizer Studien und jüngst auch aus einer britischen Studie wisse man inzwischen sehr gut, dass das System funktioniere, hält der ETH-Absolvent und Geschäftsführer der IT-Firma Ubique fest. Deshalb versuche man nun auf der Statistikseite in der App den Fokus auf den Fakt auszurichten, dass SwissCovid täglich ihren Dienst tue.
Der Epidemiologe Marcel Salathé, der ebenfalls zu den Vätern von SwissCovid gehört, geht davon aus, dass die App inzwischen tausende Schweizerinnen und Schweizer, wenn nicht zehntausende, vor einer Infektion bewahrt hat.
Noch besser sieht es in Grossbritannien aus. Dort haben Forscher kürzlich berechnet, dass die mit SwissCovid verwandte britische Kontaktverfolgungs-App möglicherweise rund 600'000 Fälle von Covid-19 verhindert hat.
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Die Analyse eines Teams der Oxford-Universität ergab, dass jede infizierte Person, die die App verwendet hat, um andere (anonym) zu alarmieren, durchschnittlich 4,4 Benachrichtigungen verschickte. Ohne diese Intervention hätte es zwischen 200'000 und 900'000 weitere Fälle gegeben.
Und es kommt noch besser ...
Die britischen Daten zeigten, dass selbst eine bescheidene Nutzung solcher Apps erhebliche positive Auswirkungen haben könne, hält MIT Technology Review fest.
Für die Schweiz ergibt sich folgende Zwischenbilanz:
✅ Die Technischen Hochschulen Lausanne (EPFL) und Zürich (ETHZ) haben geliefert, im Verbund mit Spezialisten weltweit. Nämlich: die Grundlagen für eine neuartige Technologie zur Seuchenbekämpfung mit dem Smartphone.
✅ Schweizer IT-Fachleute haben geliefert. Nämlich: die digitale Umsetzung. Eine funktionstüchtige und sichere App, die mitterweile auch auf alten iPhones läuft. Dies wurde in enger Zusammenarbeit mit Apple und Google erreicht.
✅ Die eidgenössische Politik hat geliefert. Bundesrat Alain Berset hat das Projekt vorangetrieben und das Parlament hat SwissCovid dank geändertem Epidemiengesetz auf ein solides, demokratisch legitimiertes Fundament gestellt. Was noch fehlt, ist die Interoperabilität, also das grenzüberschreitende Funktionieren in den Schweizer Nachbarländern. Hier scheint es vor allem am Willen der EU zu mangeln.
✅ Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und weitere Bundesstellen haben geliefert. Nämlich: eine relativ gut funktionierende Infrastruktur für SwissCovid. Wir erinnern uns an die sich häufenden Fails Pannen und Versagen vom Sommer 2020. Seither wurden die Prozesse angepasst und optimiert – allen voran das Ausstellen der Covidcodes.
Wohlgemerkt: Diese überwiegend positive Beurteilung des Digital-Redaktors bezieht sich ausschliesslich auf die SwissCovid-App.
Und die Kantone?
😏 Hier fällt die SwissCovid-Bilanz durchzogen aus. Nach schwachem Start zogen zumindest einige Verantwortliche die richtigen Lehren und besserten nach. Doch es mangelt weiterhin an Transparenz, so dass die Öffentlichkeit nicht erfährt, wie es wirklich ums Contact Tracing steht.
Und die Bevölkerung?
😏 SwissCovid hat keine 1,8 Millionen User. Offensichtlich nutzen viele Leute die App nicht, obwohl sie ein einfaches und kostengünstiges Hilfsmittel ist. Ein Hilfsmittel, das dazu beitragen kann, dass keine härteren Massnahmen nötig sind. Das gilt speziell für die (hoffentlich bald kommende) Lage, in der es gelungen ist, die Infektionszahlen massiv zu senken.
Jetzt liegt der Ball wieder bei uns – und beim Bund.
Es gebe leider Leute, die von einer negativen Erfahrung mit der App gehört hätten (z.B. zu spät erhaltene CovidCodes) und daraus den falschen Schluss ziehen würden, dass das System nicht funktioniere, bedauert der App-Entwicklerchef.
Tatsächlich haben wir es einmal mehr in der Hand, den weiteren Verlauf der Corona-Krise zu beeinflussen. In positiver oder auch in negativer Hinsicht. So wie letzten Sommer.
Es gilt, an ein Statement des Politologen Michael Hermann vom Juli 2020 zu erinnern: Wenn SwissCovid von vielen genutzt würde, wäre die App ein gutes Instrument, damit weniger Massnahmen ergriffen werden müssten, die die Wirtschaft bremsen könnten. Das heisst:
Grundsätzlich ist es einfach: Wer die App auf dem eigenen Smartphone aktiviert hat und auch andere ermuntert, trägt dazu bei, weitere Covid-19-Wellen und damit verbundene harte Massnahmen zu vermeiden.
Gefordert ist auch der Bund, respektive das Bundesamt für Gesundheit. Die Verantwortlichen sollten den Mut aufbringen, die App weiter zu verbessern. Ich denke da inbesondere an die Möglichkeit, Superspreader zu bekämpfen.
Die Macher der SwissCovid-App hatten ja auf eigene Initiative hin im letzten November das Konzept für eine neue App («NotifyMe») vorgestellt. Eine solche App würde ermöglichen, grosse Corona-Cluster schnell und effizient zu bekämpfen.
Konkret geht es darum, alle Teilnehmer/Besucher grösserer Treffen, bzw. Veranstaltungen, rasch warnen zu können, dass sich am Event eine hochansteckende Person aufhielt. Daraufhin könnten die nötigen Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, um eine starke Ausbreitung einzudämmen.