Erzfeind Harry Redknapp fordert es schon lange – an der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen die Schweiz ist es soweit: England-Coach Roy Hodgson wird der Saft abgedreht! Im gut gefüllten Konferenzraum des Hotels Radisson Blu in Basel beantwortet der 67-Jährige gerade die Frage eines Schweizer Journalisten, als es plötzlich zappenduster wird.
Immerhin hat Hodgson keine Angst im Dunkeln. Mit einem trockenen «Wooops» kommentiert er den Blackout und schmunzelt gelassen vor sich hin. Anders sein Pressechef, der kurzzeitig ziemlich hektisch wird.
Nach einigen Sekunden ist der Spuk vorbei. Vorerst. Denn für die kreativen Engländer wird wohl auch dieser Zwischenfall ein gefundenes Fressen sein. Schon als Hodgson in den vergangenen Tagen im Training eine Übung demonstrierte, die stark an Seniorenturnen mahnte, kannten die Videokünstler keine Gnade.
Der Blackout dominiert die englische Pressekonferenz – dabei sind Hodgsons Statements durchaus interessant. Nach der desaströsen WM-Kampagne in Brasilien und dem Rücktritt der Schlüsselspieler Gerrard und Lampard schlägt der Chef der «Three Lions» vor dem Kräftemessen mit seinem ehemaligen Arbeitgeber ungeahnt zahme Töne an: «In einer idealen Welt hätten wir mit Sicherheit gerne später gegen die Schweiz gespielt. Es ist unser Gegner Nummer 1 in dieser Gruppe und mehr Vorbereitungszeit mit dieser neuen Mannschaft hätte da natürlich nicht geschadet. Aber es ist, wie es ist, und wir müssen die Matches spielen, wann sie auch sind.»
Trotzdem geniesst der ehemalige Schweizer Nationaltrainer die Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte: «Es ist ein fabelhaftes Gefühl, hierher zurückzukommen. Das Land fühlt sich für mich wie eine zweite Heimat an.»
Hodgson weiss, dass er dringend Argumente in Form von guten Resultaten braucht. Deshalb will er am Montagabend im St.Jakob-Park beim ersten Aufeinandertreffen mit der Schweiz in seiner Karriere auch keinen Schönheitspreis gewinnen: «Wenn sie mich fragen, ob ich lieber schlecht spielen will und dafür ein gutes Ergebnis erreiche – oder gut spiele und am Ende steht ein schlechtes Resultat, dann spiele ich lieber schlecht und nehme den Sieg.»
Neo-Captain Wayne Rooney denkt ähnlich. Der 28-jährige Goalgetter, der mit Manchester United einen miserablen Saisonstart verkraften musste, sieht das Spiel gegen die Schweiz als wegweisend: «Es wird ein grosser Test. Wenn wir ein gutes Resultat holen, dann wird uns das viel Selbstvertrauen für den Rest der Kampagne geben.»
Weitaus optimistischer tönt es eine gute Stunde später im Schweizer Lager. Die Stimmung ist gut, alle 23 Kaderspieler, auch die zuletzt angeschlagenen Behrami und Mehmedi, sind fit. Aber auch hier sorgt eine Panne für viele Lacher.
Vladimir Petkovic will sich vor seiner Premiere partout nicht in die Karten blicken lassen. Die Frage, wer denn nun in der Innenverteidigung und als Stürmer auflaufen wird, beantwortet er mit: «Jeder wird die richtige Wahl sein.» Auch beim Spielsystem gibt er sich nebulös: «Es gibt kein System. Ob 4-4-2, 4-3-3 oder 4-2-4 spielt keine Rolle, wichtig ist, dass wir eine kompakte Einheit bilden, die jederzeit weiss, was sie will.»
Dumm nur, dass zwei Minuten später Captain Gökhan Inler zu der Runde stösst und als Erstes erklärt: «Wir haben alle Vollgas gegeben, um uns Herrn Petkovic zu zeigen. Viel anders als sonst war es nicht – nur das System. Bei ihm spielen wir im 4-3-3.» Die englischen Scouts werden sich freuen.
Doch wie ist das nun? Ist die Schweiz gegen das grosse England wirklich Favorit? Die Weltrangliste sagt Ja, dort sind die Eidgenossen elf Ränge vor den Engländern auf Position 9 geführt. Ausserdem haben sie sich an der WM länger im Turnier gehalten. Der Ausfall von Stürmer Sturridge schwächt die englische Grünschnabeltruppe weiter.
Petkovic sieht es so: «Ich gehe gerne als Favorit in eine Partie, doch das muss man im Spiel auch demonstrieren. Wir haben Respekt, aber keine Angst. Wir spielen auf Sieg und versuchen, die drei Punkte zuhause zu behalten. Wir sind auf gleicher Ebene mit England.»
So gerne man das aus Schweizer Sicht auch glauben mag, so absurd scheint es doch auf den zweiten Blick. Immerhin hat die Nati gegen England seit dem 2:1 in der WM-Quali vor 33 Jahren nie mehr gewonnen. Schiedsrichter damals: Adolf Prokop aus der DDR, einem Land, das längst Geschichte ist. Und auch die Erinnerungen an das WM-Gruppenspiel gegen Frankreich sind noch zu frisch. Dort wurde zuletzt von einem «Gegner auf Augenhöhe» gesprochen – nach 40 Minuten lag die Schweiz mit 0:3 zurück.
Deshalb will Petkovic die Engländer auch nicht unterschätzen: «Es ist eine gute Mannschaft, die mit ein bisschen Glück an der WM auch mehr hätte erreichen können. Sie haben vorne Spieler, die immer brandgefährlich sind und in jeder Situation den Unterschied machen können. Wir müssen das parieren.»
Obwohl die EM-Qualifikation im neuen Modus mit 24 Teams für die Schweizer Nati eher eine Pflichtübung zu sein scheint, ist der Start gegen England eine heikle Angelegenheit. Und Petkovic weiss das: «Ich konnte noch nicht alle meine Ideen umsetzen, dafür war die Zeit zu kurz. Ich habe mich deshalb auf drei, vier Dinge konzentriert. Wir haben sechs Tage lang gut gearbeitet und eine extrem gute Atmosphäre mit viel Teamgeist gehabt, doch das ist ohne positives Resultat nichts wert.»
Man wird sehen, wer am Montag um Mitternacht im St.Jakob-Park nach 90 Minuten im Dunkeln steht. Für Gökhan Inler ist auf jeden Fall klar: «Für mich bleibt England immer das grosse England.» Immerhin.