Die Provinz Dschuzdschan im Norden Afghanistans fiel 1998 unter die Kontrolle der islamistischen Taliban. Damals war Najiba Noor Delawari noch ein kleines Mädchen. Ihr Vater war ebenfalls Mitglied der militanten Gruppe. Für sie selbst hiess das: Nach der fünften Klasse musste sie die Schule verlassen.
Mit 18 kam dann die Rebellion gegen ihren Vater: Delawari schloss sich der Provinz-Polizei an. Die familiären Banden wurden aber nicht komplett gekappt, Delawari fing an, ihren Vater zu ermutigen, die Taliban zu verlassen.
In einem Interview erzählte sie: «Ich habe meinem Vater gesagt: Wenn du weiterhin Teil der militanten Taliban-Gruppe bist, werden dich die Menschen hassen. Wenn du mit deiner Familie und deinen Leuten leben willst, musst du die Taliban verlassen.»
Ein Jahr nachdem Delawari sich der Polizei anschloss, willigte ihr Vater ein, die Taliban zu verlassen. Mit Folgen für die Familie: Sie musste aus ihrer Heimat fliehen und zog in die Provinzhauptstadt Sheberghan.
Gegenüber Radio Free Afghanistan sagte Delawari: «Leider mussten wir unser gesamtes Hab und Gut und unseren Lebensunterhalt zurücklassen ... und diese Opfer haben wir gebracht, aber ich habe nicht aufgegeben.»
Auch nicht, als die Drohungen der Taliban trotz Umzug nicht aufhörten. Delawari steckte all ihre Kraft in die Verfolgung ihres Traums. 2017 absolvierte sie in der Türkei ein fünfmonatiges militärisches Training, später kamen Weiterbildungen in Afghanistan dazu.
Am 1. Mai erreichte Oberleutnant Delawari, mittlerweile 25, das, was viele für ein Mädchen, das unter der Taliban-Herrschaft aufwuchs, für undenkbar hielten: Sie wurde zur ersten weiblichen Bezirks-Polizeichefin in der Provinz Dschuzdschan ernannt.
Ihre Beförderung kommt während einer kritischen Phase in Afghanistan: Seit dem Beginn des Nato-Truppenabzugs (ebenfalls am 1. Mai) intensivieren die Taliban ihren Eroberungszug – gerade auch im Norden Afghanistans. Innert zweier Monate haben die Taliban etwa 70 der 400 Bezirke in Afghanistan eingenommen.
Die Situation hat sich derart verschlechtert, dass mittlerweile auch die Polizei die afghanische Armee im Kampf gegen die Taliban unterstützt. Unter den Polizisten befindet sich auch Najiba Delawari.
Nach den Offensiven der Islamisten haben sich ausserdem Zivilisten und Anhänger verschiedener politischer Parteien bewaffnet und den Sicherheitskräften der Regierung angeschlossen. Darunter sind nicht nur Männer, sondern auch viele Frauen – und sie werden von der lokalen Bevölkerung in den Sozialen Medien dafür gefeiert. «Sheberghan – die Wiege der Helden», kommentierte etwa ein Nutzer auf Facebook.
Trotz der martialischen Rhetorik und Bilder sagt Delawari gegenüber der «Salaam Times»: «Frieden ist die einzige sinnvolle Option, um unsere Träume zu verwirklichen.» Und weiter: «Die Taliban sind auch unsere Landsleute, und ich hoffe, dass wir alle einen dauerhaften Frieden in unserem Land erleben werden.»
(jaw)