Burkhalter-Nachfolge
Cassis ist Bundesrats-Kronfavorit – doch ausgerechnet in seiner Heimat hagelt es Kritik

Bundesrats-Ersatzwahl Ignazio Cassis gilt als Kronfavorit für die Nachfolge von Didier Burkhalter. Doch ausgerechnet im Tessin wird der FDP-Fraktionschef scharf attackiert – vor allem von der Lega dei Ticinesi.

Gerhard Lob, Bellinzona
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Zu Hause unter Druck, in Bern gefeiert: FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis.

Zu Hause unter Druck, in Bern gefeiert: FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis.

KEYSTONE

Seit dem angekündigten Rücktritt von Aussenminister Didier Burkhalter dreht sich das Namenskarussell für seine Nachfolge. FDP-Fraktionspräsident Ignazio Cassis wird dabei immer wieder als aussichtsreicher Anwärter genannt. Denn der Anspruch der FDP und der lateinischen Schweiz auf den Sitz ist unbestritten. Die Konstellation ist dabei günstig für das Tessin. Selbst die Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» findet, die Zeit sei reif, um wieder einen Vertreter der italienischen Schweiz – namentlich dem Kanton Tessin – in den Bundesrat zu entsenden.

Der Tessiner CVP-Nationalrat Marco Romano hofft, dass nun sein Kanton die Kandidatur eines eigenen FDP-Kandidaten einhellig unterstützt: «Wir müssen geschlossen auftreten.» Auch Fulvio Pelli als alt FDP-Präsident fordert ein «Ticino unito». Doch das sind fromme Wünsche, wie sich nur wenige Tage nach der Ankündigung Burkhalters zeigt. Insbesondere die Lega dei Ticinesi hat sich bereits auf den FDP-Fraktionspräsidenten eingeschossen. Lega-Nationalrätin Roberta Pantani sagte in einer RSI-Fernsehdebatte, ihre Bewegung werde nicht jeden FDP-Kandidaten unterstützen: «Es kommt auf die Person an.»

Deutlicher wurde die von Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri geleitete sonntägliche Parteizeitung «Mattino della domenica». Ignazio «Krankenkassis» sei ein Lobbyist der Krankenkassen und habe die «katastrophale Umsetzung» der Masseneinwanderungsinitiative mit zu verantworten. 2015 habe er gegen die Kandidatur von Norman Gobbi als Bundesrat (Nachfolge Eveline Widmer-Schlumpf) Stimmung gemacht. Warum also solle man nun ausgerechnet ihn unterstützen?

Ignazio Cassis
8 Bilder
Posieren hier die trachtentragenden Ruth Humbel (CVP/AG), Petra Gössi (FDP/SZ) und Peter Keller (SVP/NW) mit dem nächsten Bundesrat?
Derzeit spricht viel dafür, dass Cassis, hier im Gespräch mit Ständerat Thomas Hefti (FDP/GL), Didier Burkhalter als Bundesrat beerbt.
Die Tessiner FDP schickt nur Cassis ins Rennen um den frei werdenden Bundesratssitz.
Wegen seiner Nähe zu den Krankenkassen – Cassis ist Präsidents des Verbands Curafutura – trägt er den Übernamen "Krankencassis".
Ein Schmunzeln hier...
...ein Lächeln da. Cassis geniesst die Aufmerksamkeit der Medien.
Das Bild zeigt ihn im Gespräch mit Walter Müller (FDP/SG).

Ignazio Cassis

Fabian Unternaehrer / 13 Photo

Kritik kommt von den Linken und den Rechten

Auch in Tessiner Blogs und Social-Media-Seiten wird derzeit heftig pro und kontra diskutiert, wobei die negativen Kommentare überwiegen. Das wundert nicht: Denn in diesen Foren sind vor allem Lega-Anhänger aktiv. Und Ignazio Cassis ist eben ein erklärter Anti-Legist. Er ist sozusagen das Gegenteil des rechtspopulistischen Zeitgeistes, der seit Jahren den Südkanton erfasst hat.

Aber auch auf der Linken gibt es starke Vorbehalte, wie ein Blick auf die Website von «Gas.social» – ein Forum der Linken – zeigt. Cassis habe sich seit seiner Wahl in den Nationalrat 2007 «gefährlich nach rechts» entwickelt, ist dort zu lesen. Daran ändere auch sein freundliches Auftreten nichts. Erinnert wird unter anderem an das Nein zum Ausstieg aus der Atomenergie, das Ja zur Unternehmenssteuerreform III und zur Gripen-Beschaffung. Und natürlich hat man auch kein Gefallen an seinem Jahresbezug in Höhe von 180 000 Franken für das Präsidium des Krankenkassenverbandes Curafutura.

Politikwissenschafter Oscar Mazzoleni, Leiter des Observatoriums für Regionalpolitik an der Universität Lausanne, wundert sich nicht über die Debatte. «Das Tessin befindet sich in einem Dauerwahlkampf – das gibt es so in keinem anderen Kanton.» Dies führe dazu, dass der politische Gegner ständig und auf einer sehr persönlichen Ebene attackiert werde.

Lega droht Thema-Verlust

Im Fall der Lega kommt hinzu, dass sie ihren einzigartigen Erfolg als Kantonalpartei – im Regierungsrat stellt sie die relative Mehrheit, im Grossen Rat ist sie zweitstärkste Kraft – unter anderem der ständigen Kritik an Bundesbern und dem Bundesrat verdankt, der das Tessin angeblich nicht ernst nimmt. Die Ressentiments gegen die «Landvögte» werden geschürt. «Mit einem Tessiner Bundesrat verliert die Lega eines ihrer Kernthemen», analysiert Mazzoleni. In Bern hat die Bewegung mit nur zwei Nationalräten selber nichts zu melden.

Suche bei FDP läuft

Die FDP-Kantonalpartei lässt sich derweil nicht unter Druck setzen. Präsident Bixio Caprara sondiert «nach allen Seiten und in Gesprächen mit verschiedensten Personen», wie er äusserst unverbindlich sagt. Bis 11. August müssen die Nominationsvorschläge beim Generalsekretariat eingereicht sein. Derweil erklärte Laura Sadis, eine Kandidatur zumindest nicht ausschliessen zu wollen. Die ehemalige FDP-Regierungsrätin war 2015 – nach acht Jahren im Staatsrat und einem Streit mit der Parteileitung – nicht mehr angetreten. Neben Sadis werden auch noch der amtierende Finanzdirektor Christian Vitta und die ehemalige Regierungsrätin Marina Masoni genannt, sowie Mauro Dell’Ambrogio, der seit 2008 in Bern als Staatssekretär für Bildung und Forschung amtet.