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Wie ich, 25, mir fast eine CD von Udo Jürgens gekauft hätte

Zum Tod eines grossen Künstlers

Wie ich, 25, mir fast eine CD von Udo Jürgens gekauft hätte

Udo Jürgens und mich trennen 55 Jahre, 100 Millionen verkaufte Tonträger, die österreichische Staatsbürgerschaft und der Musikgeschmack. Kurz: Wir hatten nicht viele Gemeinsamkeiten. Jetzt ist er tot – und ich merke, dass mich seine Lieder seit eh und je begleiten.
22.12.2014, 14:5323.12.2014, 11:14
william stern
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Der Autor kannte Udo Jürgens nicht. Also, ein bisschen doch, aber nicht so richtig.
Der Autor kannte Udo Jürgens nicht. Also, ein bisschen doch, aber nicht so richtig.Bild: APA

Ich weiss nicht, wer Udo Jürgens war. Eine kurze Szene auf einem deutschen Fernsehsender, als Udo Jürgens freimütig über seine Erektionsprobleme plauderte, war das Einzige, das in meinem Gedächtnis haften blieb. Und dass er Besitzer einer Penthouse-Wohnung in Zürich war, die einen Ausblick über das Bellevue bietet. Und dass er sich nach der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative für die Schweizer geschämt hatte. Und dass er für seine zahlreichen Affären bekannt war.

Eigentlich weiss ich doch ziemlich viel über Udo Jürgens. Ich weiss sogar mehr über ihn als über meinen Grossvater. Das liegt wahrscheinlich in erster Linie daran, dass mein Grossvater zeitlebens nicht ganz so viele Zeitungsspalten füllte wie Udo Jürgens. Oder dass er weniger Affären hatte. Oder – weil das doch irgendwie zusammenhängt – an beidem.

Auch wenn ich mich an keinen Moment erinnern kann, an dem ich bewusst Informationen aus Udo Jürgens Leben verarbeitete, gelang es ihm irgendwie, sich seinen Platz in meinem Gedächtnis zu verschaffen. 

Ob er sich den verdient hat? 

Als Lebemann mit seinen Eskapaden, Frauengeschichten und Homestorys in der «Schweizer Familie» eher nicht. Dafür habe ich Vujo. Den kann man zwar blöd finden, er ist aber dem Zeitgeist eindeutig näher als Udo Jürgens, gehört zu meiner Generation und da ist es ein bisschen wie mit einzelnen Familienmitgliedern: Man mag sie vielleicht nicht, sie sind peinlich, haben im besten Fall merkwürdige, im schlimmsten Fall rechtlich bedenkliche Spleens, halten mit ihren verqueren politischen Ansichten nicht hinter dem Berg und schütten Wein auf den Teppich. 

Und trotzdem lädt man sie das nächste Mal an Weihnachten wieder ein, weil man muss. 

Vujo ist der Udo Jürgens meiner Generation. Oder so ähnlich. Hier beim Begutachten von Sexspielzeug.
Vujo ist der Udo Jürgens meiner Generation. Oder so ähnlich. Hier beim Begutachten von Sexspielzeug.Bild: screenshot

Udo Jürgens ist jetzt also tot. Und ich habe ihn nie zu Weihnachten eingeladen und kein einziges Lied von ihm gehört. Obwohl ich ihm oft nahe war, vor dem Kino Corso in Zürich zum Beispiel, wo ich beinahe einen Blick in seine Suite erhascht hätte. Stattdessen ging ich ins Kino und schaute «Herr der Ringe», während ein paar Stockwerke weiter oben vielleicht gerade die wildesten Ausschweifungen stattfanden und im Hintergrund irgendein Udo Jürgens Lied von der Platte lief, weil alte Herren wie Jürgens ja immer Plattenspieler haben und Musiker generell am liebsten ihre eigenen Lieder hören.

So viele Leute können nicht irren. 

An Udo Jürgens musste irgendwas dran sein. Vielleicht seine entwaffnende Ehrlichkeit im Umgang mit Potenzstörungen, vielleicht die Grösse seines Appartements, vielleicht aber tatsächlich auch seine Musik, der er einen Gutteil seines Ruhms zu verdanken hat. 

Ich beschliesse, mir eine CD von ihm zu kaufen.

Ich öffne die iTunes-Charts auf meinem Handy. Auf Platz 1 ist Udo Jürgens («Best Of»), auf Platz 2 ist auch Udo Jürgens («Mitten im Leben – das Tribute-Album»). Jürgens ist auch noch auf Platz 12 («Mitten im Leben»), Platz 52 («Es werde Licht») und Platz 58 («Best of Live – Die Tourneehöhepunkte»). Er wird in den nächsten Tagen wahrscheinlich auch noch die Plätze 3, 8 und 17 belegen. 

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pd

Vielleicht ist es ganz einfach. Es gibt Tausende, Abertausende Leute wie mich – individualisierte Gesellschaft, ha! –, die hatten eigentlich keine Ahnung, wer Udo Jürgens war. Das ist ein bisschen peinlich, vor allem, nachdem er gestorben ist. Denn wenn man das nächste Mal irgendwo ein Bier trinken geht, dann kommt das Gespräch bestimmt auf Udo Jürgens. Und während sich die Runde nach dem vierten Bier in den Armen liegt und schunkelnd singt, «Die Welt braucht Lieder», summe ich leise «Schenk mir noch eine Stunde» vor mich hin, damit ich schnell eine CD kaufen und wenigstens die Refrains der wichtigsten Songs so gut kenne, um sie in betrunkenem Zustand auswendig singen zu können.

Udo Jürgens

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Udo Jürgens
Udo Jürgens ist überraschend verstorben: Der 80-Jährige erlag am Sonntag einem Herzversagen. Erst vor zwei Wochen trat er im Hallenstadion vor 10'000 Menschen auf, im Rahmen der «Mitten im Leben»-Tournee mit Pepe Lienhard (Bild).
quelle: apa / barbara gindl
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Als ich auf das« Best Of Album» klicke, bin ich bass erstaunt: «Griechischer Wein» war von Udo Jürgens? «Siebzehn Jahr, blondes Haar»? «Aber bitte mit Sahne»? Ich habe mein Leben lang Udo Jürgens gehört, ohne dass ich wusste, was ich da höre. Nicht, dass ich die Musik gut gefunden hätte, aber ich habe sie gehört. 

Ich muss mich also für nichts schämen. Ich werde beim nächsten Bier Udo Jürgens Lieder lallen können und meine persönliche Ehrerbietung an Udo Jürgens hat – ohne mein Wissen – auch schon längst stattgefunden. Dafür musste nicht einmal ein Flughafen nach ihm benannt werden. (wst)

Aber bitte mit Sahne

17 Jahr, blondes Haar

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