Profirennfahrer haben nicht umsonst den Ruf, hart im Nehmen zu sein. Laurens ten Dam macht da keine Ausnahme. Auf der 16. Etappe der Tour de France 2011 gerät der Holländer bei der Abfahrt vom Col d'Agnes in den Pyrenäen auf die Wiese. Ten Dam überschlägt sich, prallt mit dem Gesicht auf Gestein und bleibt nach dem Salto blutüberströmt auf dem Boden.
«Es geht mir soweit gut», meldet er abends nach der Etappe auf Twitter. «Keine Brüche, aber es werden wohl Narben bleiben.» Ob er wieder antreten könne, sehe er aber erst morgen.
«Wie bitte», fragst du dich vielleicht, «der will noch weiterfahren?!» Ja, will Ten Dam. Die Etappe, auf der er stürzt, beendet er auf Rang 149 von 168 Fahrern. Und am nächsten Morgen stellt er fest: Es geht. Er kann weitermachen.
Mit acht Stichen ist seine Nase genäht worden. «Ich starte. Habe immer noch 25 weniger als Johnny …», twittert der Fahrer des legendären Rabobank-Teams. Damit spielt Ten Dam auf seinen Landsmann Johnny Hoogerland an, der eine Woche vor ihm fürchterlich gestürzt war. Ein Auto hatte Hoogerland «abgeschossen», worauf er in einem Stacheldrahtzaun gelandet war.
Bis ins Ziel in Paris muss Laurens ten Dam noch sieben Etappen überstehen, schwere in den Alpen, unter anderem mit einer Bergankunft auf der Alpe d'Huez. Treten geht, das Kauen bereitet ihm mehr Probleme. «Ich liebe französische Baguettes, aber jetzt gerade liebe ich sie nicht», schreibt er drei Tage nach seinem Sturz und bedankt sich bei einem Pfleger des Teams dafür, dass er ihm weiches holländisches Brot organisiert hat.
2) Laurens Ten Dam après une chute lors de la 14e étape du Tour 2011, qui ne l'empêcha pas de finir la course et même tout le Tour 58e au classement général. pic.twitter.com/0CJazbVmug
— MJ (@BriqueEscouade) 27. Februar 2018
Was auch geht: Trinken statt essen. Hinauf auf die Alpe d'Huez, wo zehntausende holländische Fans den Anstieg mit den berühmten 21 Kehren zu einer orangen Festhütte machen, genehmigt sich Laurens ten Dam ein Bier. Niemand anders als sein sportlicher Leiter reicht ihm 2 Kilometer vor dem Ziel eine kühle Dose Gerstensaft aus der Heimat: «Grossartig, das sorgte dafür, dass ich förmlich ins Ziel flog!»
En nu ik toch bezig ben, tour 2011, Alpe d'huez. Ten Dam vermaakte zich opperbest tijdens de beklimming pic.twitter.com/lfegy9mSw5
— GJK (@GJK1979) 8. November 2013
Apropos: Ten Dam hat einen besseren Ruf als viele Berufskollegen. So schreibt dessen gedopter Ex-Teamkollege Thomas Dekker in seiner Biographie, bei ten Dam sei er sich sicher, dass er nicht dopen würde.
Laurens ten Dam schafft es 2011 ins Ziel der Tour de France. Er erreicht Paris auf Rang 56 der Gesamtwertung.
Zwei Mal ist er richtig gut an einer grossen Rundfahrt: Ten Dam schafft es 2012 an der Vuelta auf Rang 8 und 2014 an der Tour de France auf Platz 9. «Dieses Ergebnis in Frankreich war wahrscheinlich dasjenige, über das mich in meiner Karriere am meisten gefreut habe», schreibt er auf seiner Website.
Ten Dam wird in den Jahren darauf zum geschätzten Helfer, unter anderem beim Giro-Sieg von Tom Dumoulin 2017. Seine eigenen Siege sind nicht ganz so gross und auch nicht zahlreich: 2006 gewinnt er eine Etappe einer kleinen Rundfahrt in Polen, zwei Jahre später eine des Critérium International.
Bei den Fans ist er auch ohne Siege beliebt. Ten Dam steht auf Camping, Grillieren und Bier und er fährt nicht nur gerne auf der Strasse, sondern mit einem Gravelbike auch über Kieswege. Er organisiert mittlerweile gar ein eigenes Festival in Deutschland, an dem sich alles um das gemütliche Beisammensein und ums Velofahren dreht.
Gestern Abend hat der mittlerweile 38-jährige Laurens ten Dam seinen Rücktritt per Ende Saison angekündigt, nachdem er in der vergangenen Woche an der Österreich-Rundfahrt erneut schwer gestürzt ist. «Ich hätte nie gedacht, dass ich 17 Jahre lang Profi sein würde», sagte er. Langweilig wird es ten Dam bestimmt nicht: Grillieren lässt es sich schliesslich genauso überall wie Velofahren.