Es war kein Debakel, es war ein Blutbad. Die Niederlage der Demokraten bei den «Midterms» am Dienstag war weit schlimmer als befürchtet. Sie verloren nicht nur die Kontrolle über den Senat, sondern völlig unerwartet auch mehrere Gouverneursposten. Selbst Hochburgen wie Maryland, Maine und Massachusetts fielen an die Republikaner. Sogar in Barack Obamas Heimatstaat Illinois muss der demokratische Amtsinhaber Pat Quinn seinen Sessel räumen.
US-Präsidenten erhalten im sechsten Amtsjahr häufig einen Denkzettel verpasst. George W. Bush ging es 2006 ganz ähnlich, er verlor die Kontrolle über den Kongress an die Demokraten. Das Ausmass ihrer Niederlage acht Jahre später erstaunt dennoch. Nachwahlbefragungen zeigen, dass die Republikaner nicht populärer sind als Obama und seine Partei, im Gegenteil.
Amerika ist frustriert. Die Wähler hätten «über praktisch alles eine negative Meinung», schreibt die «Washington Post». Zwei Drittel glauben, das Land bewege sich in die falsche Richtung. Der Wirtschaftsaufschwung kommt bei den Leuten nicht an. Sie arbeiten mehr, verdienen aber nicht mehr oder sogar weniger als vor der Grossen Rezession.
«It's the economy, stupid!» – der Spruch von Bill Clintons Wahlkampfleiter James Carville gilt unverändert. Innenpolitisch sind die USA blockiert, und auch die Aussenwelt erzeugt Ängste vor Ebola oder dem Islamischen Staat. 72 Prozent fürchten laut CNN einen Terroranschlag auf amerikanischem Boden.
Wenn es schlecht läuft, geben die Amerikaner in erster Linie einem die Schuld: Ihrem Commander-in-Chief. Sie erwarten von ihm Führungsstärke, doch Barack Obama ist dafür wenig geeignet. Der Präsident ist ein eigenbrötlerischer Mensch, der mehr auf Vernunft als auf Symbolik vertraut. Da zählt es wenig, dass er manches richtig gemacht hat. Der Watergate-Enthüller Bob Woodward, der ihn oft kritisierte, attestiert ihm «einen sehr guten Job» in vielen Bereichen.
Wenn die Wähler den Präsidenten und seine Partei abstrafen wollen, haben sie im amerikanischen Zweiparteien-System kaum eine andere Wahl als die Opposition, auch wenn diese selber unpopulär ist. Das allein erklärt den Erfolg der Republikaner aber nicht. Sie verdanken ihn ihren treusten Anhängern: Älteren weissen Männern.
Diese sind ohnehin besonders fleissige Wähler, während Jüngere und Angehörige von Minderheiten die Midterms oft auslassen. Viele von ihnen sind zudem von Obama enttäuscht. Dabei hatte er seine Wahlsiege 2008 und 2012 in erster Linie diesen Gruppierungen zu verdanken. Dies räche sich nun, meint die «New York Times».
Es ist nicht aber nur der Frust über die allgemeine Lage, der die weissen «Wutbürger» in die Wahllokale getrieben hat. Ihnen sitzt die Angst im Nacken vor einem Land, das sich rasant verändert, vor allem demografisch. 2011 wurden erstmals mehr nichtweisse als weisse Babys geboren, 2012 gab es bei den Weissen erstmals mehr Todesfälle als Geburten. In spätestens 30 Jahren wird es in Amerika nur noch Minderheiten geben, hat die Regierung errechnet.
Die Vorherrschaft der Weissen wird nicht einfach verschwinden, vor allem wirtschaftlich. Doch politisch dürfte der staatsfeindliche Konservativismus, der die USA seit ihrer Gründung geprägt hat, an Boden verlieren. Latinos und Asiaten, die am stärksten wachsenden Minderheiten, haben ein weit weniger verkrampftes Verhältnis zum Staat als die Abkömmlinge europäischer Einwanderer. Für die Basis der Republikaner ist diese Perspektive der pure Albtraum.
Daraus nährt sich der Hass auf Barack Obama. Als Sohn eines kenianischen Muslims verkörpert er das «bunte» Amerika. Nie haben sich die weissen Wutbürger mit dem schwarzen Mann im Weissen Haus abgefunden. Wen wundert es da, dass am rechten Rand Impeachment-Fantasien Hochkonjunktur haben? Die Republikaner sollen Obama des Amtes entheben, jetzt erst recht, da sie beide Kammern im Kongress kontrollieren. Allerdings konnten sie dem Präsidenten nicht einen handfesten Skandal in die Schuhe schieben, der dies rechtfertigen würde. Und die nötige Zweidrittelmehrheit haben sie nicht.
Dem Tea-Party-Volk sind solche Feinheiten egal. Besonnenere Gemüter bei den Republikanern verfolgen diese Entwicklung mit Sorge. Je mehr die weisse Basis die Partei nach rechts treibt, umso abhängiger ist sie von ihr. Dabei müsste sich die Grand Old Party für Minderheiten öffnen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Ein Backlash droht bereits in zwei Jahren: «Wenn wir nicht beweisen, dass wir regieren können, dann wird es 2016 keinen republikanischen Präsidenten geben», meinte Kevin McCarthy, Fraktionschef der Partei im Repräsentantenhaus.
Kompromisse sind gefragt, vor allem bei der blockierten Einwanderungsreform, einem zentralen Anliegen der Latinos. Doch in diesem Punkt ist der Widerstand der Basis besonders virulent. Für die Demokraten zeigt sich darin ein Hoffnungsschimmer im Desaster. Sie setzen darauf, dass die Demografie ihnen in die Hände spielt. Für die Republikaner aber könnte sich der epische Triumph vom Dienstag als Pyrrhus-Sieg entpuppen, der sich für lange Zeit nicht wiederholen lässt.