Wo ist Mark Zuckerberg? Diese Frage wird seit Tagen gestellt, und das mit zunehmender Dringlichkeit. Der Gründer und Chef von Facebook ist seit der Aufdeckung des jüngsten Skandals um den massenhaften Missbrauch von Userdaten abgetaucht. Gleiches gilt für Sheryl Sandberg, die das Tagesgeschäft von Facebook leitet und als «starke Frau» des Social-Media-Giganten gilt.
An an einem Mitarbeitertreffen am Hauptsitz im kalifornischen Menlo Park liessen sich die beiden am Dienstag gemäss der New York Times nicht blicken. Dabei steckt Facebook in der grössten Krise seiner Geschichte. Sie begann 2003 als Studenten-Netzwerk an der Universität Harvard und entwickelte sich zum reichen und mächtigen Tech-Konzern mit zwei Milliarden Mitgliedern.
Das lukrative Geschäftsmodell basiert darauf, den Nutzern massgeschneiderte Werbung zukommen zu lassen. Je mehr sie von sich preisgeben, umso besser läuft das Geschäft – jeder einzelne Like zählt. Facebook wurde damit zu einer Geldmaschine, im Gegensatz etwa zu Twitter, das im vierten Quartal 2017 erstmals überhaupt einen Gewinn erzielen konnte.
Die Kehrseite des Geschäftsmodells haben die neusten Enthüllungen um die dubiose Firma Cambridge Analytica schonungslos ans Licht gebracht. Ihr war es gelungen, die Daten von rund 50 Millionen Facebook-Usern abzugreifen und sie mit Werbebotschaften einzudecken, um die US-Präsidentschaftswahl 2016 zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen.
Die Erfolgsbilanz ist umstritten. Bislang spricht wenig dafür, dass Cambridge Analytica mehr ist als eine Bluffer-Bude. Für Facebook aber ist der Skandal höchst unangenehm. Experten sind überzeugt, dass der Tech-Riese nicht ein Opfer von Datenklau ist, sondern Mittäter. «Facebook kümmerte sich bis mindestens Ende 2016 einen gequirlten Quark um die Nebeneffekte seines wirtschaftlichen Erfolges», schreibt der Netzaktivist Sascha Lobo auf Spiegel Online.
Das betrifft nicht nur die Aktivitäten von Cambridge Analytica, sondern auch die von Russland gesteuerten Bemühungen, die US-Wahlen mit Fake News zu beeinflussen. Alex Stamos, der Sicherheitschef von Facebook, hat Zuckerberg und Sandberg laut US-Medien vergeblich zu mehr Offenheit in dieser Sache aufgefordert. Nun will er das Unternehmen im Sommer verlassen.
Das Management tut sich offenkundig schwer damit, sich vom höchst einträglichen Geschäftsmodell mit den Nutzerdaten zu distanzieren. Deshalb weigerte sich Facebook auch lange mit Händen und Füssen, Verantwortung für die auf dem Netzwerk verbreiteten Inhalte zu übernehmen. Doch nun geraten Zuckerberg und Co. an mehreren Fronten unter Druck:
Der Facebook-Chef könnte bald gezwungen sein, sein Schweigen zu brechen. Ein Ausschuss des britischen Unterhauses hat Mark Zuckerberg zur Anhörung aufgeboten. Das Europaparlament und US-Senatoren wollen ebenfalls Hearings veranstalten. Die unabhängige US-Handelsbehörde FTC, die für den Konsumentenschutz zuständig ist, hat eine Untersuchung gegen Facebook eingeleitet.
Es geht um einen möglichen Verstoss gegen eine Vereinbarung von 2011, in der sich der Konzern zur Einhaltung bestimmter Datenschutzregeln verpflichtet hatte. Sie bezog sich auf Apps von Drittanbietern, die Daten von Facebook-Usern «absaugen» konnten. Genau dies soll im Fall von Cambridge Analytica geschehen sein. Nun droht Facebook eine deftige Busse.
In der Europäischen Union wird Ende Mai die neue Datenschutzverordnung in Kraft treten. Sie verpflichtet Unternehmen dazu, betroffene Personen unverzüglich zu informieren, wenn ihre persönlichen Daten in falsche Hände gelangt sein sollen. Auch in diesem Fall denkt man unweigerlich an Cambridge Analytica. Bei einem Verstoss drohen Bussen im Umfang von vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Bei Facebook betrug er 2017 rund 40 Milliarden Dollar.
Selbst in den USA, wo der Datenschutz bislang ziemlich locker und von Fall zu Fall gehandhabt wurde, drohen schärfere Vorschriften. Die «Los Angeles Times» aus dem Silicon-Valley-Staat Kalifornien machte sich in einem redaktionellen Kommentar dafür stark: «Wie viele Skandale muss es noch geben, bis die Tech-Industrie und die Bundesregierung die Privatsphäre ernst nehmen?»
Die Finanzmärkte haben ungnädig auf den Datenskandal reagiert. Die Facebook-Aktie verlor rund 20 Prozent, was einem Marktwert von 40 Milliarden Dollar entspricht. Nun haben Aktionäre den Konzern bei einem Bundesgericht in San Francisco verklagt. Facebook habe «sachlich falsche und irreführende Aussagen» zur Firmenpolitik gemacht, heisst es in der Klageschrift.
Facebook sei mit einer Ungewissheit wie nie zuvor konfrontiert, sagte der Goldman-Sachs-Analyst Heath Terry dem Fernsehsender CNBC. Dies gefährde die Wachstumsaussichten. «Wie Facebook damit umgeht, wird letztlich seine langfristige Zukunft entscheiden», sagte Terry.
WhatsApp-Mitgründer Brian Acton hat mit seiner Forderung, das Facebook-Profil zu löschen, für Aufsehen gesorgt. Zahlreiche User haben mit dem Hashtag #deletefacebook ihre Bereitschaft dazu bekundet. Für Facebook ist ein «Aufstand» der User die gefährlichste Entwicklung. Schon heute hat das Netzwerk Mühe bei den Jungen. Millionen Teenager haben ihm den Rücken gekehrt.
Mit seinen zwei Milliarden Mitgliedern ist Facebook nach wie vor eine Macht. In den Schwellenländern wächst das Netzwerk weiterhin. Ausserdem bemüht sich Mark Zuckerberg bis zur persönlichen Erniedrigung, auf dem riesigen chinesischen Markt zugelassen zu werden. Weitere Skandale wie Cambridge Analytica werden seine Glaubwürdigkeit weiter untergraben.
Am Freitag will der Firmengründer gemäss der «New York Times» an einem weiteren Meeting erstmals zu seinen Mitarbeitern sprechen. Er wird viel zu erklären haben. Kritiker bezeichnen Facebook schon lange als Datenkrake. Nun scheint sie sich in ihren eigenen Tentakeln verheddert zu haben. Es muss sich zeigen, ob der Konzern dies in seiner heutigen Form überleben wird.