Ab Montag kehrt trotz Coronavirus ein Stück Normalität zurück: Schulen, Läden und Restaurants dürfen wieder öffnen. Für Personen über 65 Jahren und solche mit gewissen Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes gilt jedoch nach wie vor die Empfehlung, möglichst zu Hause zu bleiben. Das ändere sich auch mit den Lockerungen vom 11. Mai nicht, stellte das Bundesamt für Gesundheit Ende April klar.
Senioren sollten also weiterhin darauf verzichten, einkaufen zu gehen oder den öffentlichen Verkehr zu benutzen. Wer das trotzdem tut, riskiert böse Blicke oder Anfeindungen. «Ältere Personen werden etwa beschimpft, wenn sie einkaufen gingen – auch wenn sie die Abstandsregeln einhalten», erzählt Bea Heim, Co-Präsidentin des Schweizerischen Seniorenrats und ehemalige SP-Nationalrätin. Sie erhalte viele solcher Meldungen.
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«Zum ersten Mal ist in der Schweiz Altersdiskriminierung in grossem Ausmass sichtbar geworden», sagt der Gesundheitssoziologe Peter C. Meyer. Das 65. Lebensjahr sei zu einer Art Schwelle geworden. «Dabei geht gerne vergessen, wie viele Ü65-Jährige noch aktiv tätig sind – häufig auf freiwilliger Basis», sagt Meyer, Co-Präsident der Seniorensektion der Zürcher Grünliberalen. Sie engagierten sich in Vereinen, pflegten Angehörige, betreuten Kinder oder seien noch berufstätig.
Meyer kritisiert die starre Definition der vulnerablen Bevölkerungsgruppen. Vorerkrankungen seien viel wichtiger: «Alter ist keine Krankheit, es korreliert nur mit Krankheit.» Auch Pro Senectute findet es ungenügend, «eine kalendarische Altersgrenze zu ziehen, die einen grossen Teil der Bevölkerung in eine Risikogruppe einteilt».
Seniorinnen und Senioren seien heute länger gesund und nehmen an der Gesellschaft teil: «Viele Menschen fühlen sich mit den bisherigen Empfehlungen ungerechtfertigt von der Gesellschaft ausgeschlossen», so Sprecherin Tanja Kistler
Tatsächlich ist das Coronavirus für ältere Personen besonders gefährlich. Unklar ist, ob das Risiko wegen des Alters höher ist – oder wegen der Vorerkrankungen, die in der älteren Altersgruppe häufiger vorkommen. Die wissenschaftliche Task Force des Bundes schrieb kürzlich, es sei unklar, ob das Alter für sich ein Risikofaktor sei.
Für Gesundheitssoziologe Peter C. Meyer wäre es deshalb sinnvoll, wenn der Bundesrat die Senioren dazu aufrufen würde, sich beim Arzt auf mögliche Risikofaktoren überprüfen zu lassen.
Auch für Pro Senectute geht es bei den Lockerungen der Corona-Präventionsmassnahmen darum, differenziert zu überlegen, wer zur Gruppe der besonders zu schützenden Menschen gehöre, sagt Sprecherin Kistler: «Wie alle anderen sollen auch Seniorinnen und Senioren in Selbstverantwortung das Risiko einer Ansteckung abwägen und über ihre Teilnahme am öffentlichen Leben entscheiden» – unter Einhaltung der Hygieneregeln und Verhaltensempfehlungen des Bundes.
Diese sollen bald angepasst werden. «Wir sind daran, die Empfehlungen für die Risikogruppen zu überarbeiten», sagte Daniel Koch, Delegierter des Bundes für Covid-19, am Donnerstag in einem Interview mit der NZZ. «Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass auch diese Personen wieder zurück zu einem normalen Leben finden.» Ob der Bund auch bei der Definition der Risikogruppen über die Bücher geht, ist unklar.
Die neuen Empfehlungen sollen am Montag publiziert werden, heisst es beim Bundesamt für Gesundheit. Möglicherweise wird sich auch Gesundheitsminister Alain Berset heute Freitag nach der Bundesratssitzung dazu äussern. Auf allzu grosse Änderungen in den Empfehlungen sollten die Senioren aber nicht hoffen. Gemäss einem Insider ergänzt der Bund die Empfehlung zwar um Hinweise, mit welchen Vorsichtsmassnahmen und unter welchen Umständen Risikogruppen ihr Zuhause verlassen können. Die Empfehlung, möglichst zuhause zu bleiben, soll aber weiterhin in bestehen bleiben.
Mit 65, kurz nach der Pensionierung kann ich verstehen, dass sie sich benachteiligt fühlen, wenn der 64 jährige ehemalige Arbeitskollege noch alles darf.
Mit 85 im Altersheim ist die "Einsperrung" korrekt. Nur weil jemand selber kein Problem mit dem Tod durch Corona hätte, ist es nicht richtig, wenn diese Person dann jenen Tod den andern ins Altersheim bringt, welche gerne noch etwas leben würden.
Wir machen diese ganze verdammte Übung in erster Linie, um unsere Alten zu schützen, und die (besser gesagt ein paar von denen) fühlen sich diskriminiert? Wohlgemerkt durch Empfehlungen, nicht durch rechtlich verbindliche Weisungen!
Ich glaube, die Special Snowflakes sind keine Erfindung unserer Generation. Höchstens der Name.