Sollen Arbeitnehmende in der Schweiz, wenn sie im fortgeschrittenen Alter arbeitslos werden, Überbrückungsleistungen bis zur Pensionierung erhalten? Die Frage ist von politischer Brisanz, nicht nur, weil sie das oft etwas zaghaft behandelte Thema der Altersarmut aufs Parkett bringt, sondern vor allem weil sie das Rezept sein sollte, um die SVP-Kündigungsinitiative im Mai an der Urne zu bodigen.
In der «Arena» trat der scheidende SP-Präsident Christian Levrat zusammen mit der Grünen-Nationalrätin Irène Kälin für die Rente ein, auf der anderen Seite standen der Zuger SVP-Nationalrat Thomas Aeschi, der vor allem für die Initiative seiner Partei weibelte, sowie der Präsident von Avenir Suisse, Peter Grünenfelder, der als Fleisch gewordener Liberalismus mit doktrinärer Strenge gegen alle Seiten austeilte.
«Diese Rente setzt die falschen Anreize», gab sich Grünenfelder von Beginn an überzeugt. Die momentan rekordhohe Erwerbsquote drohe so zu fallen. Für Levrat hingegen war klar: «Die Überbrückungsrente verhindert, dass über 60-Jährige Sozialhilfe beziehen müssten.» Wer mit über 60 in der Arbeitslosigkeit lande und ausgesteuert werde, habe eine Erfolgschance von gerade einmal 6,7 Prozent, eine neue Stelle zu finden, rechnete der Romand vor.
Kälin schlug in die gleiche Kerbe und betonte, es sei unwürdig, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet hätten, auf einmal ausgesteuert würden und ihr Erspartes anknabbern müssten. Die Schwierigkeiten älterer Personen auf dem Arbeitsmarkt bestritt auch SVPler Aeschi nicht. Bloss verortete der Zuger das Problem woanders: «Junge, billige EU-Ausländer nehmen diese Jobs weg».
Diese unterschiedliche Interpretation der Faktenlage, wonach ältere Menschen im Schweizer Arbeitsmarkt zunehmend Mühe haben, eine Stelle zu finden, zog sich durch die ganze Sendung. Alle wollten «bei den Fakten bleiben», kamen aber erstaunlicherweise jeweils zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen.
Gut deshalb, dass auch Direktbetroffene zu Wort kamen. Frau Motta zum Beispiel, Jahrgang 59, ehemalige Bankangestellte, schilderte den Frust bei der Jobsuche. Ihr Sitznachbar, Herr Swatek, ehemaliger Privatsekretär, erzählte, dass er jeden Tag um halb vier Uhr aufstehe, um Bewerbungen zu schreiben. Stand jetzt ist er bei 484 erfolglosen Bewerbungen seit März vergangenen Jahres.
An die Adresse von Aeschi gerichtet, sagte Levrat, er verstehe, dass andere die Probleme der Altersarbeitslosigkeit bewirtschaften wollten. Das liess Aeschi nicht auf sich sitzen und warf seinerseits Levrat und der SP in einer reichlich absurden Volte vor, das Verhalten des zurückgetretenen CS-Chefs Tidjane Thiam zu decken. Dass die Verbrüderung der Sozialdemokraten mit dem Grosskapital ein nicht allzu realitätgetreues Szenario war, hielt eine Handvoll Zuschauer nicht davon ab, Aeschis Votum mit Applaus zu quittieren.
Ab der zweiten Hälfte der Sendung kamen dann auch die Politikerinnen in der hinteren Reihe stärker zur Geltung. FDP-Nationalrätin Doris Fiala, die in den letzten Tagen vor allem mit einem fragwürdigen Kommentar zur Crypto-Affäre in den sozialen Medien für Aufsehen gesorgt hatte, leistete ihrer zuvor in der Sendung geäusserten Ankündigung, es müsse «mit Verstand und Herz» politisiert werden, Folge, indem sie Frau Motta vor laufender Kamera ein Jobangeobt machte. Ansonsten vertrat Fiala die «Ja, aber» -Haltung ihrer Partei zur Überbrückungsrente würdig, indem sie kaum ein greifbares Statement abgab.
Fialas Sitznachbar, Auns-Geschäftsführer Werner Gartenmann, musste sich nicht mit solchen Gratwanderungen beschäftigen: «Man muss keine Gehirnkapriolen machen, um festzustellen: Es wird eng in der Schweiz.» Gartenmann meinte damit selbstredend nicht die geistige Enge, die sich in Ressentiments gegen Ausländer oder in einem harten Asylregime niederschlägt, sondern die vollen Trams, Züge, usw.
Dann durfte auch Kälin wieder einmal etwas sagen, nämlich dass das Beispiel Waadt zeige, dass die Zahl der älteren Arbeitslosen entgegen der Anreiz-These von Grünenfelder nicht zunehme. Waad kenne als einziger Kanton bereits eine Art Überbrückungsrente. «Nein, nein», sagte Grünenfelder währenddessen leise, und schüttelte enttäuscht den Kopf und man hatte fast ein bisschen Mitleid mit dem ehemaligen Aargauer Staatsschreiber, der sich hier mit so ungelehrigen Schülerinnen und Schülern herumschlagen musste. Bereits zuvor nämlich hatte der Avenir-Suisse-Mann Levrat gescholten und Aeschi die Eselsohren übergestülpt, als er ihm vorwarf, mit der Begrenzungsinitative «ein bürokratisches Kontrollregime» einführen zu wollen.
Und das kam so: Es war ungefähr in der Hälfte der Sendung, als Aeschi begann, mit einem Dokument zu den Bilateralen herumzuhantieren. Dieses Dokument, verkündete Aeschi gravitätisch, zeige, dass auch der Bundesrat gemerkt habe, dass die SVP richtig gelegen sei. Dann zauberte Aeschi eine Reihe von A4-Blättern mit farbigen Grafiken hervor, hob die Stimme um einige Dezibel und referierte zum Thema Einwanderung. Drehte man den Ton ab, hätte man eine weitere veritable «Love Actually»-Parodie.
Gegen Ende der Sendung musste Levrat zum Einzelgespräch mit Brotz antraben. Der Moderator konfrontierte Levrat mit dem Wählerschwund der SP unter seiner Ägide. Es sei doch offensichtlich, dass die Sozialdemokraten nicht mehr die Büezer verträten, stichelte Brotz und wollte dem Noch-Präsidenten einen Positionsbezug zur Nachfolgefrage entlocken. Levrat schaltete aber auf stur.
SVP-Aeschi hingegen verspürte beim Gedanken an einen möglichen Co-Parteipräsidenten Cédric Wermuth religiöse Anwandlungen: «Wenn ich höre, mit welchen extremistischen Forderungen Cédric Wermuth im Parlament kommt ... Gott bewahre». Levrat stellte daraufhin die launige These auf, dass für die SVP immer der aktuelle Präsident der Linken ein ganz Unmöglicher sei, der Vorgänger zumindest pragmatisch, der Vorvorgänger hingegen noch ein echter Gewerkschafter und geerdet. Insofern freue er sich auf seinen Abgang, meinte der Fribourger schmunzelnd.
Das Schlusswort gehörte Frau Motta, die sich während der ganzen Sendung hütete, politisch Farbe zu bekennen, und stattdessen für mehr Empathie und Verständnis warb: «Die sölled alle mal i mini Schueh schlüpfe», meinte sie an die Adresse der Politikerinnen und Politiker gerichtet.