Als er für kurze Zeit in der Schweiz war, haben wir Olivier L. de Weck knapp verpasst. Er musste gleich weiter ins südfranzösische Toulouse an den Hauptsitz von Airbus. Für den europäischen Flugzeugbauer verantwortet der Schweizer die langfristige Technologieplanung.
Ein paar Tage später hat es dann doch geklappt mit dem Interview: In Boston haben wir de Weck am Telefon erreicht. Dort arbeitet er am renommierten Massachusetts Institute of Technology als Professor für Aviatik und Raumfahrttechnologie.
Herr de Weck, für Ihre Tätigkeit als
Forscher reisen Sie um die ganze
Welt. Wie oft fliegen Sie?
Olivier L. de Weck: Ein- bis zweimal
pro Woche. Ich besuche die verschiedenen
Standorte von Airbus in Europa,
Nordamerika und in China – und bin immer
wieder in Boston, wo meine Familie
lebt. Als Pilot sitze ich leider kaum mehr
im Cockpit. Für nächstes Jahr habe ich
mir aber vorgenommen, öfters selber zu
fliegen.
Das ist ganz schön viel. Haben Sie
kein schlechtes Gewissen wegen der
CO2-Bilanz?
Ja und nein. Klar, ein Langstreckenflug
produziert einiges an klimaschädlichem
CO2. Andererseits verursacht
der Flugverkehr nur zwei Prozent
der globalen Emission. Waldbrände
sind für etwa 20 Prozent verantwortlich.
Die Reisen, die ich unternehme,
sind ja nicht einfach zur persönlichen
Belustigung, sondern dienen letztlich
einem übergeordneten Ziel: Als Forscher
und Ingenieur will ich dazu beitragen,
neue Technologien zu entwickeln,
welche die Welt verbessern – dazu
gehört auch, die Emissionen zu verringern.
Nervt Sie das viele Fliegen?
Nein, ich fliege auch als Passagier sehr
gern. Und komme dabei oft auf gute
Ideen. Ich finde es immer noch faszinierend,
dass man in zwölf Stunden
auf der anderen Seite unseres Planeten
ist – vor nicht allzu langer Zeit dauerte
eine solche Reise noch mehrere Monate.
Der Sicherheitscheck am Flughafen
und die Verspätungen sind aber natürlich
die unangenehmen Seiten.
Viele Passagiere nerven sich über
die engen Platzverhältnisse. Sie
auch?
Kommt immer drauf an, neben wem
man sitzt. (lacht) Und mit welchem
Flugzeug man reist. Die Sitze von Airbus
sind mindestens einen Zoll breiter
als jene der Konkurrenz. Wichtig ist
aber natürlich auch der Abstand der
Sitzreihen. Dieser bestimmt allerdings
nicht der Flugzeugbauer, sondern die
Airline. Airbus gibt aber eine Maximallast
vor, die nicht überschritten werden
darf.
Es kann also nicht noch enger werden?
Oder kommen doch noch die
Stehplätze?
Einen solchen Vorschlag gab es tatsächlich
vor nicht allzu langer Zeit von Ryanair.
Das würden wir aber nicht unterstützen.
Einen gewissen Komfort braucht es
selbst auf Kurzstreckenflügen.
Die Zukunft der Mobilität im Strassenverkehr
soll elektrisch sein. Wie
sieht es in der Luft aus?
Kleine elektrische Flugzeuge sind bereits
auf dem Markt. Sie können aber
kaum länger als eine Stunde in der Luft
bleiben und nur einen oder zwei Passagiere
transportieren. Auch wenn sich
die Batterietechnologie verbessern wird, so werden sich grosse Flugzeuge
nie rein elektrisch antreiben lassen.
Der Grund liegt in der Physik: Da Kerosin
verbrennt, nimmt das Gewicht des
Flugzeugs während der Reise ab. Je länger
der Flug dauert, desto weniger
Energie wird für die Fortbewegung benötigt.
Dieser Effekt kann beim elektrischen
Antrieb nicht genutzt werden.
Die Batterie wiegt immer gleich viel,
egal ob sie voll oder leer ist.
Fliegen wird also nie grün?
Das kann man so nicht sagen. Eine vielversprechende
Alternative zum Kerosin
ist Wasserstoff, da hier bei der Verbrennung
kein umweltschädliches CO2
entsteht. Doch auch hier gibt es Herausforderungen:
Wasserstoff in einem
Tank zu speichern ist kompliziert. Ausserdem
sind die heutigen Brennstoffzellen
recht ineffizient – etwa 50 Prozent
der Energie gehen in Wärmeenergie
verloren. Es ist noch viel Entwicklungsarbeit
nötig.
Werden Flugzeuge bald autonom
fliegen?
Darauf hin arbeiten wir. Vor 50 Jahren
waren neben den beiden Piloten noch
ein Navigator und ein Bordingenieur
im Cockpit, deren Aufgaben wurden
stufenweise automatisiert. Anfangs
kam es zu einem Protest seitens des
Flugpersonals. Heute vermisst sie niemand
mehr. Die Aufgaben der Piloten
lassen sich in Zukunft auch weitgehend
automatisieren. Da aber in der Fliegerei
die Sicherheitsstandards sehr hoch
sind, wird das erst passieren, wenn
man auf alle Eventualitäten technisch
reagieren kann.
Aber werden die Passagiere dafür
bereit sein?
In Zukunft schon. Unsere Umfragen
zeigen, dass zwar ältere Menschen
eher nicht in ein Flugzeug einsteigen
würden, in dem kein oder nur ein Pilot
im Cockpit sitzt. Bei den Millennials ist
es tendenziell aber umgekehrt, sie würden
eher einsteigen, wenn kein
menschlicher Pilot, dafür aber die
neuste Technologie an Bord ist. Es ist
also bloss eine Frage der Zeit.
Wie wird sich die Fliegerei sonst
noch verändern?
Ein grosses Thema sind bemannte
Drohnen. Airbus verfolgt hier gleich
mehrere Ansätze. Das Lufttaxi Vahana
beispielsweise hat seinen ersten Flug
schon hinter sich. Es gleicht einem
Hubschrauber mit Flügeln, wird aber
von acht Elektromotoren angetrieben
und fliegt autonom. Das Modell City
Airbus testen wir noch dieses Jahr. Es
sieht eher wie eine grosse Drohne aus
und hebt mit vier Rotoren ab. Solche
Lufttaxis sollen in Zukunft Personen in
Städten transportieren.
Eine Art Uber für die Luft?
Genau. Künftig wird man ein Lufttaxi
per App zu sich rufen können. Vielleicht
nicht gerade an allen Strassenecken,
sondern an speziell zertifizierten
Start- und Landepunkten. Für lange
Strecken, auf denen man im Auto
häufig im Stau steht und 60 bis 90 Minuten
braucht, benötigt man im Flugtaxi
vielleicht acht bis zehn Minuten.
Diese Flugtaxis werden im grossen Stil
eingesetzt werden.
Auch Uber und eine Reihe von
Start-ups forschen an solchen Lufttaxis.
Wir sind uns sehr bewusst, wer unsere
Konkurrenz ist. Unser Vorteil ist, dass
wir eine langjährige Erfahrung im Bau
von fliegenden Vehikeln haben und
sehr viel Wert auf die Sicherheit legen.
Wir erwarten, dass zukünftig solche
Lufttaxis Hunderte oder sogar Tausende
von Flügen in einer einzigen Stadt
pro Tag ausführen werden. Das bedeutet,
dass die Flugsicherheit der wichtigste
Faktor ist. Viele der jetzigen Firmen
werden vermutlich nicht in der
Lage sein, ihre Produkte auf einem
solch hohen Standard zertifizieren zu
lassen. Gleichzeitig wissen wir natürlich,
dass es mit dem Fluggerät alleine
noch nicht getan ist. Es braucht eine
Infrastruktur, automatisierte Flugsteuerung
und ein sicheres Netz, über das
die Flugobjekte kommunizieren können.
In den Städten stören sich die Menschen
bereits am Verkehr auf den
Strassen. Akzeptieren sie wirklich
noch zusätzlichen Verkehr in der
Luft?
Ein Problem ist der Fluglärm – gerade
in der Schweiz sind wir hier sehr sensibel.
Diese Lufttaxis werden aber viel
leiser sein als derzeitige Helikopter.
Wäre es nicht sinnvoller, den Verkehr
unter die Erde statt in die Luft
zu verlagern?
Unter der Erde sind die Infrastrukturkosten
gewaltig, und das Tunnelnetzwerk
ist nicht sehr flexibel. Lufttaxis
werden den Verkehr auf und unter den
Strassen nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Wie lang wird es noch dauern, bis
wir uns überlegen, ob wir ein Taxi
oder eine Drohne bestellen wollen,
wenn wir im Flughafen einer Metropole
gelandet sind?
In drei bis fünf Jahren werden wohl die
ersten elektrifizierten Lufttaxis unterwegs
sein – vielleicht aus Sicherheitsgründen
noch mit einem Piloten, der
im Notfall eingreifen könnte. Bis der
Markt voll entwickelt ist, wird es aber
zwanzig bis dreissig Jahre dauern.
All diese elektrischen Flugobjekte
brauchen viel Energie. Umweltfreundlich
ist das aber nur, wenn
wir den Strom mit erneuerbaren
Energieträgern erzeugen. Geht das
überhaupt?
Ja, das geht. Man kann das durchrechnen.
Wir müssen aber intensiv in Solar-,
Wind- und Wasserkraft investieren.
Ein lang gehegter Traum sind fliegende
Autos. Wird auch diese Vision
aus der Science-Fiction wahr?
Es gibt schon erste Vehikel, die in der
Luft und auf der Strasse zugelassen
sind. Ich glaube aber, das wird immer
ein Nischenmarkt bleiben. Man muss
hier sehr grosse Kompromisse im Design
eingehen. Ein fliegendes Auto ist
immer weniger effizient als ein Flugzeug.
Auf der Strasse hingegen stören
Flügel und Rotoren nur. Grösseres Potenzial
sehe ich für unser «Pop.Up»-
Konzept.
Wie funktioniert das?
Wir entwickeln ein Flugmodul, das sich
an ein herkömmliches Auto am Dach
andocken kann. Steckt man im Stau,
kann man über eine App das Modul anfordern.
Dieses besteht aus vier Rotoren
und findet selbstständig den Weg
zum Wagen, an dem es sich anhaftet
und einen so aus der Verkehrskolonne
rettet. So soll das zumindest in Zukunft
klappen.
Sie forschen nicht nur zur Aviatik,
sondern auch zur Raumfahrt. Derzeit
erleben wir eine Privatisierung
im Weltall. Private Firmen wie
SpaceX von Elon Musk oder Blue
Origin von Jeff Bezos übernehmen
Transportflüge in den Weltraum.
Eine gute Entwicklung?
Ja. Vor allem dank der wiederverwertbaren
Falcon-9-Rakete von SpaceX
konnten die Startkosten um das Vierfache
reduziert werden. Dadurch wird eine
Wirtschaft im Weltall mit Tourismus
und dem Abbau von wichtigen Materialien
auf Himmelskörpern möglich.
Gleichzeitig erlaubt diese Privatisierung
der Nasa und anderen Länderorganisationen
wie der ESA, sich auf wissenschaftliche
Missionen im äusseren
Sonnensystem zu konzentrieren.
Das grosse Ziel ist der Mars. Wer
wird zuerst dort sein, eine staatliche
Organisation wie die Nasa oder
eine private wie SpaceX?
Gute Frage. Viele glauben, dass SpaceX
von Elon Musk zuerst einen Menschen
auf den Mars bringen wird. Andere
trauen das eher Jeff Bezos mit Blue
Origin zu – schliesslich fehlt es dem
Amazon-Gründer nicht an Geld. Kein
Mensch ist reicher als er. Ich denke
aber, dass das Unterfangen so schwierig
ist, dass es nur als internationale
Kooperation zwischen staatlichen und
privaten Unternehmen möglich sein
wird.
Sollen wir direkt den Mars anpeilen
oder nach rund 50 Jahren zuerst
wieder zurück auf den Mond?
Hier scheiden sich die Geister. Die einen
finden, dass wir nun alle Kräfte
auf den Mars richten sollen, da wir ja
schon auf dem Mond waren. Andere
plädieren dafür, möglichst bald wieder
Menschen auf den Mond zu bringen
– schliesslich ist der Erdtrabant in
wenigen Tagen erreichbar, und man
kann von einer solchen Mission viel
lernen für einen späteren Flug auf
den Mars. Die ESA, aber auch die
Nasa sind derzeit eher wieder auf den
Mond ausgerichtet. Das Problem liegt
meiner Meinung nach darin, dass es
an einer stabilen Strategie fehlt. Zuerst
auf den Mond oder direkt auf
den Mars – beides ist möglich, aber es
braucht einen langfristigen Plan, an
dem man festhält.
Apropos Mond: Elon Musk hat kürzlich
vorgeschlagen, dass die
Schwerindustrie auf den Mond ausgelagert
werden soll, um die Erde
zu schonen. Eine gute Idee?
Da bin ich eher skeptisch. Denn es sind
längst nicht alle Rohstoffe, die dazu gebraucht
würden, auf dem Mond vorhanden.
Der Energiebedarf, um diese
da hochzubringen, wäre gigantisch.
Mal abgesehen von den immensen Kosten,
ist es auch sehr fraglich, ob das
ökologisch Sinn macht.
Eine andere Vision ist die Kolonialisierung
des Mars. Wie stehen Sie
dazu?
Das muss unbedingt unser langfristiges
Ziel sein. Wenn wir wollen, dass
die Menschheit über Millionen Jahre
überlebt, können wir nicht nur auf einem
einzigen Planeten wohnhaft bleiben.
Ein Standort auf einem zweiten
Himmelskörper ist eine Art Lebensversicherung
für unsere Spezies – gegen
globale Katastrophen wie Kollisionen
mit Asteroiden, tödliche Viren oder
Ereignisse, die wir noch nicht vorhersehen
können.
Aber ist es denn überhaupt möglich,
auf dem Mars zu leben?
Es gibt kein Gesetz der Physik, das dem
widerspricht. Kürzlich konnte nachgewiesen
werden, dass es unter der Marsoberfläche
Wasser in flüssiger Form
gibt. Ausserdem ist in der Marsatmosphäre
ein geringer Anteil Sauerstoff
in Form von Kohlendioxid vorhanden.
Mit einem technischen Verfahren
kann man den Sauerstoff gewinnen.
Am MIT entwickeln wir ein Experiment
für den Mars 2020 Rover, um dies in
der Praxis nachzuweisen. Ausserdem
ist Energie von der Sonne im Übermass
vorhanden. Es wird möglich sein, alles,
was der Mensch braucht, auf dem Mars
zu erzeugen.
Dennoch ist der Planet sehr unwirtlich,
karger als die Wüste. Will da
wirklich jemand leben?
Ich stelle es mir auf dem Mars sehr
schön vor. Es gibt da spektakuläre Canyons
und imposante Krater. Ich bin mir
sicher, dass sich da mal ein Teil der
Menschen heimisch fühlen wird.
Und nach dem Mars? Irgendwann
wird unsere Sonne verglühen – und
wir müssen in ein anderes Sonnensystem
aufbrechen.
Das ist richtig. Der nächstgelegene
Stern, Alpha Centauri, ist rund vier
Lichtjahre entfernt. Mit der heutigen
Antriebstechnologie ist dies natürlich
nicht zu schaffen. Doch ich denke, dass
es uns einmal gelingen wird, Raumschiffe
zu bauen, die mit rund fünf Prozent
der Lichtgeschwindigkeit unterwegs
sein werden. Dann würde ein
Flug bis nach Alpha Centauri 80 Jahre
dauern und läge also im Bereich des
Möglichen.
Ein ganzes Menschenleben also.
Ja, es geht hier um eine generationenübergreifende
Mission, um eine Art
Sagrada Familia des Weltalls. Der Bau
der Kathedrale in Barcelona wurde
1882 begonnen und soll 2026 fertiggestellt
sein. Ich finde es faszinierend,
dass wir Menschen über unseren eigenen
Horizont blicken können und Dinge
in Angriff nehmen, die unser Leben
überdauern, aber für die Menschheit
wichtig sind. Wir sollten Kathedralen
des Weltalls bauen. (aargauerzeitung.ch)