Das ist mehr als ärgerlich. Nur noch drei Prüfungen trennten die Studenten der Universität Bern von ihrem lang ersehnten Titel «Master of Law». Eine davon, jene über Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, hätten sie am gestrigen Donnerstag hinter sich bringen sollen. Und dann das: Als die Studis mit dem Ausfüllen des Prüfungsbogens beginnen wollten, konnten sie ihren Augen nicht trauen. Ihnen wurde Prüfmaterial aus dem Jahr 2013 vorgelegt! Die gleichen Fragen wie vor vier Jahren – nur das Prüfungsdatum war aktualisiert worden.
Wer zur Vorbereitung alte Prüfungen durchgearbeitet hat, konnte die Fragen im Nu beantworten. Die Krux der Sache: Nicht alle Studenten hatten Zugang zu den Prüfungen aus den Vorjahren. Diese stehen offiziell nämlich gar nicht zur Verfügung. Doch mit einem Buebetrickli verbreiten sich alte Prüfungsunterlagen trotzdem: Nach der Prüfung, wenn die Noten vorliegen, können die Studenten für kurze Zeit die Prüfungsfragen und die Lösungsstatistik downloaden, um zu überprüfen, ob die Bewertung richtig abgelaufen ist. Der clevere Student druckt sich die Unterlagen danach natürlich aus. So kommen die Prüfungsbögen von den verschiedenen Jahren in Umlauf. Am Donnerstag hatten also von den 190 Studenten im Zimmer diejenigen Glück, die zur Vorbereitung die Prüfung aus dem Jahr 2013 studiert haben.
Des einen Freud ist des anderen Leid. Der 25-jährige Student Niels, der anonym bleiben will, ist frustriert und wütend. Er hat sich mit Unterlagen aus anderen Jahren auf die Prüfung vorbereitet. Dass den Studenten eine alte Prüfung vorgelegt wird, habe er noch nie erlebt. «Das ist Wettbewerbsverzerrung sondergleichen. Die Noten widerspiegeln so nicht die Leistungen der Personen.» Er habe in den letzten Wochen an seiner Masterarbeit geschrieben und sich danach den Prüfungsvorbereitungen gewidmet. Für jene vom Donnerstag habe er in den letzten zwei Wochen jeden Tag intensiv gebüffelt.
Der Vorfall an der Universität Bern ist kein Einzelfall. Auch an anderen Hochschulen wurden schon alte Prüfungsfragen wiederverwendet. Gleich zweimal hintereinander geschah dies den Jus-Studenten im Januar und Februar 2016 an der Universität St.Gallen. An der ETH Zürich
waren im Sommer 2014 angehende Biomechaniker betroffen. Um solche Pannen zu verhindern, gelten an der Universität Zürich klare Abläufe und Vorschriften für Prüfungen. Mediensprecher Beat Müller sagt: «Dass Studierende Prüfungsfragen an jüngere Semester weitergeben, ist nicht zu verhindern. Darum werden die Prüfungen immer verändert.»
Der Präsident der Rektorenkonferenz Michael Hengartner sagt: «Es muss auf jeden Fall gewährleistet sein, dass an einer Prüfung alle dieselben Chancen haben.» Wie dies gemacht werde, müssten die Professoren und Professorinnen selber entscheiden. Dass sich Studenten anhand früherer Prüfungsfragen vorbereiten, findet er legitim.
Bei der Universität Bern bedauert man den Vorfall. Die am Donnerstag verwendete Prüfung sei eine leicht modifizierte Prüfung aus dem Jahr 2013 gewesen. Nach der Besprechung der Prüfung 2013 sei diese eine kurze Zeit auf der Website des Instituts aufgeschaltet gewesen. In ihrer Stellungnahme schreibt die Uni: «Die Examinatorin war sich dieses Umstands nicht bewusst. Ihr war sodann auch nicht bekannt, dass die Prüfung offenbar weiterhin im Internet greifbar war.» Grundsätzlich sollten Prüfungen nicht in der genau gleichen Form wiederverwendet werden, zumindest wenn sie aufgeschaltet waren, so das Schreiben weiter. Wenn gegebenenfalls Prüfungen wiederverwendet werden, müsse beachtet werden, dass die Prüfung substanziell modifiziert würden. «Dies war bei der Masterprüfung bedauerlicherweise nicht der Fall.»
Sauer stösst Niels zudem auf, dass die Professorin nun den Studenten die Schuld für das Debakel in die Schuhe schieben will. Die betroffene Professorin sagt auf Anfrage, es sei zwar richtig, dass Prüfungsfragen aus dem Jahr 2013 verwendet worden seien. Jedoch wirft sie den Studenten vor, dass diese schon im Vornherein gewusst hätten, dass dieselbe Prüfung vorgelegt werde. Nur so lasse sich erklären, dass sie so gut vorbereitet gewesen seien.
Niels und seine Kollegen können darüber nur den Kopf schütteln. Jeder weiss, dass alte Prüfungen von Hand zu Hand weiter gegeben werden. Es werde teilweise von Professoren sogar empfohlen, sich mit Prüfungen von früheren Jahren vorzubereiten. Dass sich nun die betroffene Professorin unverständlich darüber zeigt, dass ihre Studenten die Prüfung aus dem Jahr 2013 schon kennen, regt ihn auf. Es sei das Versagen der Professorin, sagt er.
Die Leidtragenden sind zuletzt so oder so die Studenten. Sie müssen die Prüfung wiederholen. Der heiss erwartete Masterabschluss ist nun also wieder ein Stückchen weiter weg gerückt. Niels wird wohl sogar seine Ferien verschieben müssen.