Schweiz
Wirtschaft

Jetzt nicht in eine Energie-Infrastruktur zu investieren, wäre der gröbste Fehler der Schweizer Politik

Revolutionäre Solaranlage Sunflower in Biasca TI.
Revolutionäre Solaranlage Sunflower in Biasca TI.Bild: TI-PRESS

Jetzt nicht in eine Energie-Infrastruktur zu investieren, wäre der gröbste Fehler der Schweizer Politik

Internet der Dinge, Smart Grid: Der technische Fortschritt macht eine nachhaltige Energieproduktion in der Schweiz möglich – und das Geld ist so billig wie noch nie. Worauf warten wir eigentlich noch?
21.04.2015, 12:0422.04.2015, 12:31
Mehr «Schweiz»

Die «dritte industrielle Revolution» ist mehr als ein Schlagwort: Täglich lesen wir von Robotern und Software, die immer intelligenter werden, von 3D-Druckern, welche die Massenproduktion ablösen werden, vom Internet der Dinge, das Maschinen miteinander kommunizieren lässt, und von einem Smart Grid, das unseren Energieverbrauch dank intelligenter Steuerung massiv reduzieren wird. 

Dieser japanische Roboter hilft bei Bankgeschäften.
Dieser japanische Roboter hilft bei Bankgeschäften.Bild: THOMAS PETER/REUTERS

Die Versprechen der dritten industriellen Revolution sind verlockend: Mühselige Plackerei oder monotone Fliessbandarbeit werden von intelligenten Maschinen ausgeführt, Güter und Dienstleistungen auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet. Vor allem jedoch wird die noch herrschende Verschwendung endlich ein Ende haben und die Energieversorgung so gestaltet sein, dass der Planet Erde dabei nicht zugrunde gerichtet wird. 

In den reichen Ländern verlottert die Infrastruktur

Stützpfeiler der dritten industriellen Revolution sind eine dezentrale und nachhaltige Energieversorgung und ein immer intelligenteres Internet. In der Theorie ist das unbestritten, bei der praktischen Umsetzung hingegen hapert es. Erstaunlicherweise sind es gerade die reichen Länder, die ihre Infrastruktur nicht etwa auf die dritte industrielle Revolution umrüsten, sondern sie stattdessen verlottern lassen.

In den USA beispielsweise sind Strassen und Brücken in einem jämmerlichen Zustand, ebenso die Netze für die Mobiltelefonie. Wer mit der Deutschen Bahn unterwegs ist, kann meist froh sein, wenn abends die kumulierte Verspätung nicht mehr als eine Stunde beträgt.

2007 stürzte eine Brücke im Bundesstaat Minnesota ein.
2007 stürzte eine Brücke im Bundesstaat Minnesota ein.Bild: AFP

Die Gründe dafür sind in einer verfehlten Politik zu finden: Im blockierten Politsystem der USA ist es fast unmöglich geworden, sinnvolle Kompromisse zu schliessen. In Deutschland ist die «schwarze Null», das Vermeiden von neuen Schulden, zur obersten Staatsräson erklärt worden, einstürzende Brücken hin und verlotternde öffentliche Gebäude her.

260 Milliarden Franken für Schweizer Strassen und Eisenbahn 

In der Schweiz ist die Infrastruktur in einem deutlich besseren Zustand. Aber wie lange noch? Der Polittrend weist in die gleiche Richtung wie in den USA und in Deutschland: Eine rechtskonservative Koalition ist bemüht, Staatsausgaben zu drücken und Steuern für Reiche und Unternehmen zu senken. Dabei hat eine umfangreiche Studie des Bundes schon 2010 ergeben, dass allein die Ausgaben für Strassen und Schienen bis 2030 rund 260 Milliarden Franken betragen werden. 

Die Situation ist paradox: Einerseits werden die Mittel für eine adäquate Infrastruktur für eine digitale Gesellschaft immer spärlicher, gleichzeitig wissen Manager von institutionellen Anlegern nicht mehr, wie sie ihr Geld anlegen sollen. Eine vermeintlich pragmatische Politik der Rechtskonservativen wird dieses Dilemma noch verstärken und zu einem allmählichen Zerfall der Infrastruktur führen.

Geld zum Nulltarif

Dabei hat die Schweiz eine einmalige Gelegenheit – das viel zitierte «window of opportunity» steht weit offen: Die öffentliche Hand kann heute zum Nulltarif Geld borgen, ja sie erhält sogar dank Negativzinsen Geld zurück. Namhafte Banker und Ökonomen fordern daher, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Der ehemalige CS- und UBS-Chef Oswald Grübel hat schon vor Monaten in einem watson-Interview den Bund aufgefordert, staatliche Zweckgesellschaften zu gründen und in die Infrastruktur zu investieren. Über das Wochenende hat er diese Forderung in der «Schweiz am Sonntag» wiederholt. 

Solarlift in Tenna.
Solarlift in Tenna.Bild: KEYSTONE

Dieses Vorgehen wird auch von der «Financial Times» empfohlen. Das wohl renommierteste Wirtschaftsblatt der Welt ruft in einem redaktionellen Kommentar dazu auf, die drohende säkulare Stagnation – eine lang andauernde Wirtschaftsflaute – mit Investitionen in die Infrastruktur zu bekämpfen. Nur auf diese Weise würde die Weltwirtschaft wieder zu einem gesunden Wachstum zurückfinden und damit auch zu normalen Zinsen.

Technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll

Die Schweiz kann es sich leisten, die ersten Schritte für den Umbau einer geeigneten Infrastruktur für die dritte industrielle Revolution zu machen, eine Infrastruktur, die weder auf Öl und Erdgas noch auf Kernkraft angewiesen ist. Wie der ETH-Professor Anton Gunzinger in seinem Buch «Kraftwerk Schweiz» aufzeigt, ist ein solcher Umbau technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll. Unser Land verfügt nicht nur über die finanziellen Mittel, sondern auch über die natürlichen Voraussetzungen – Berge und viel Wasser –, die eine nachhaltige Energieversorgung möglich machen. 

Weist den Weg: Anton Gunzingers Buch «Kraftwerk Schweiz».
Weist den Weg: Anton Gunzingers Buch «Kraftwerk Schweiz».

Jährlich geben wir gegen 15 Milliarden Franken für fossile Brennstoffe aus. Wenn wir jetzt in eine nachhaltige Energieinfrastruktur investieren, werden wir mehr als genug Geld haben, um diese Ausgaben zurückzuzahlen, ohne den Staatshaushalt übermässig belasten zu müssen. Zudem würden wir auf diese Weise zahlreiche, hochwertige Arbeitsplätze schaffen und – was am meisten zählt – wir würden unseren Nachkommen eine intakte Umwelt hinterlassen. 

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
31 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Lowend
21.04.2015 12:24registriert Februar 2014
Ich sage es schon lange, aber wir haben keine Energielücke, sondern eine gewaltige Phantasielücke bei den bürgerlichen AKW- und Autolobby Betonköpfen der Energiewendeverhinderer-Fraktionen! Jedes Kilowatt Energie, dass wir nicht importieren müssen, weil wir es selber erzeugen, spart uns sehr viel Geld, aber die Bürgerlichen geben die Kohle lieber dubiosen Regimes im Ausland und die SVP-Energiestrategie heisst so wie so nach uns die Sintflut.
6112
Melden
Zum Kommentar
avatar
saukaibli
21.04.2015 12:58registriert Februar 2014
Das ist ja das Traurige daran. Man sieht in Ländern wie USA, DE oder auch GB wie die Infrastruktur verlottert weil der Staat kein Geld mehr bekommt weil die Reichen und Unternehmen kaum mehr Steuern zahlen. Und dann will man in der Schweiz genau das Gleiche? Und nennt sich noch Schweizerische Volkspartei! Dann macht mal etwas für das Volk, erhöht die Steuern für die die Geld haben und investiert in Dinge die dem Volk nützen.
5910
Melden
Zum Kommentar
avatar
Wilhelm Dingo
21.04.2015 14:27registriert Dezember 2014
Die Europäischen Strom-Dreckschleudern senken den Strompreis auf Kosten der Umwelt und machen so unsere sehr sauberen Wasserkraftwerke unrentabel. Vielleicht sollte auch hier die Schweiz sich vermehrt selber um die Energieversorgung kümmern statt an einem unnötigen Stromabkommen zu basteln. Wenn sich Synergien mit dem Ausland ergeben, können immer noch einzelne Verträge abgeschlossen werden.
304
Melden
Zum Kommentar
31
Gemeinde Glarus Nord nach gefälschtem Mailverkehr um fast 50'000 Franken betrogen

Die Gemeindeverwaltung Glarus Nord ist von einer kriminellen Organisation um 48'000 Franken betrogen worden. Eine eingeleitete Strafuntersuchung soll nun helfen, das Delikt aufzuklären. Ausserdem untersucht die Geschäftsprüfungskommission den Vorfall.

Zur Story