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Russischer Milliardär verleiht ominösen Medienpreis in Luzern: Warum?

Mischt auch in der Filmbranche mit: Gleb Fetissow (links) 2017 bei der Premiere des von ihm produzierten Dramas «Loveless» in Cannes.
Mischt auch in der Filmbranche mit: Gleb Fetissow (links) 2017 bei der Premiere des von ihm produzierten Dramas «Loveless» in Cannes.bild: ch media

Russischer Milliardär initiiert ominösen Medienpreis in Luzern – was steckt dahinter?

Einst wollte der russische Milliardär Gleb Fetissow die Tageszeitung «Le Monde» kaufen, nun stiftet er in der Schweiz den weltweit am höchsten dotierten Journalismuspreis. Was er damit bezweckt, ist unklar – Fetissow selbst schweigt sich über seine Absichten aus.
15.01.2020, 07:3615.01.2020, 08:24
Gregory Remez / ch media
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Auch wer mit Journalismus nicht viel am Hut hat, dürfte angesichts solcher Summen stutzen: Insgesamt 520'000 Franken sollen am kommenden Mittwoch in Luzern bei den sogenannten Fetisov Journalism Awards über die Bühne gehen. Den Erstplatzierten in den vier Kategorien, die hochtrabende Bezeichnungen wie «Aussergewöhnlicher Beitrag zum Frieden» oder «Exzellenz im Umweltjournalismus» tragen, winken je 100000 Franken.

Was glatt das Zehnfache beträgt, das Gewinner des Zürcher Journalistenpreises oder des Oscars der Medienwelt – des Pulitzerpreises – erhalten. Stifter und Namensgeber der neu ins Leben gerufenen Veranstaltung ist der in der Schweiz weitgehend unbekannte russische Milliardär Gleb Fetissow.

Nicht nur das für die Journalismusbranche ungewöhnlich hohe Preisgeld, sondern auch die Wahl des Austragungsortes und die Verantwortlichen hinter der Zeremonie lassen aufhorchen. Es stellt sich unweigerlich die Frage, warum ein russischer Milliardär mit illustrer Vergangenheit in der heimischen Aluminium- und Bankenbranche plötzlich in Luzern den am höchsten dotierten Medienpreis der Welt verleiht.

Eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft

Fetissow selbst war für ein Gespräch nicht zu erreichen. Ebenso wenig will sich das Veranstaltungskomitee zu Details über die Preisverleihung äussern. Einen ausführlichen Fragekatalog beantwortete die Komiteevorsitzende Eva Merkachewa lediglich mit den Worten: «Die Schweiz ist eines der wenigen neutralen Länder und steht damit stellvertretend für journalistische Grundwerte wie Objektivität und Unabhängigkeit. Luzern ist eine wunderschöne Stadt im Zentrum dieses Landes und wurde deshalb für die Zeremonie ausgewählt.»

Sogar betreffend des Austragungsortes hüllte sich das Komitee lange in Schweigen. Dieser war erst nach ­einigen Telefonaten bei den gängigen ­Veranstaltern der Stadt herauszubekommen: Es handelt sich um das Fünf-­Sterne-Hotel Schweizerhof Luzern am Vierwaldstättersee.

Der Anlass sei von einer lokalen Eventagentur vor ein paar Monaten als Galadinner für rund 60 Personen gebucht worden, verriet eine Hotelangestellte am Telefon.

Ob sich der Oligarch bei der Wahl der Räumlichkeiten vom grossen russischen Schriftsteller Leo Tolstoi inspirieren liess? Dieser war im Juli 1857 im damals erst zwölf Jahre alten «Schweizerhof» abgestiegen und beim Blick durch sein Zimmerfenster «von der Schönheit des Wassers, der Berge und des Himmels buchstäblich geblendet und erschüttert» worden, wie in Tolstois Novelle «Luzern» nachzulesen ist.

Fetissow wird nachgesagt, eine grosse Leidenschaft für die europäische Literatur zu hegen. Seit ein paar Jahren engagiert er sich ausserdem mit zunehmendem Erfolg für den europäischen Film. Mit «Loveless» (2017) und «Sobibor» (2018) wurden zuletzt gleich zwei von ihm produzierte Dramen für den Oscar in der Kategorie bester fremdsprachiger Film nominiert.

In andere Wirtschaftsbereiche als den Film zu investieren, sei für ihn momentan ohnehin zu riskant, verriet Fetissow im Juni 2018 in einem Interview mit der «Weltwoche», dem allerersten Auftritt des Russen in Schweizer Medien. Denn seit 2014 läuft in Russland ein Verfahren gegen den Milliardär.

Der Verdacht lautet auf Veruntreuung von Kundengeldern bei der «Moj Bank», die sich eine Zeit lang in Fetissows Besitz befand. Eineinhalb Jahre sass er deswegen im berüchtigten Lefortowo-Gefängnis in Moskau in Untersuchungshaft, wenige Kilometer von seiner Heimatstadt Elektrostal entfernt.

Auf der Putin-Liste aufgeführt

Zu einer rechtskräftigen Anklage gegen den 53-Jährigen ist es bislang nicht ­gekommen und dürfte es wohl auch nicht mehr kommen. Noch in Untersuchungshaft beglich er alle Schulden seiner ehemaligen Kunden. Und auch mit dem Kreml scheint er seine Differenzen inzwischen aus der Welt geschafft zu haben.

Dafür spricht, dass Fetissows Name heute auf der sogenannten Putin-­Liste auftaucht, die das US-Finanzministerium im Januar 2018 im Zusammenhang mit der Russland-Affäre veröffentlicht hat und die 210 Personen mit besonderer Nähe zur russischen Machtzentrale aufführt.

Wie bei den meisten Oligarchen ist auch im Fall Fetissows nicht ganz klar, woher dessen Milliarden rühren. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» schätzt sein aktuelles Vermögen auf rund 1.2 Milliarden US-Dollar. Den grössten Teil davon dürfte der studierte Ökonom in der Aluminium- und der Telekommunikationsbranche gemacht haben.

So war Fetissow zwischen 1996 und 2000 für die Alfa Group, eine der grössten russischen Investment-Gesellschaften, tätig. In dieser Zeit spielte er als Konkursverwalter eines Tonerden-Kombinats eine wichtige Rolle in den Auseinandersetzungen um die Kontrolle der sibirischen Aluminiumindustrie, die als «Aluminiumkriege» in die Geschichte Russlands eingehen sollten.

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Der Verkauf seiner Anteile in der Aluminiumindustrie ermöglichte Fetissow anschliessend den nicht minder lukrativen Einstieg in die Telekommunikationsbranche – und letztlich in die Bankenwelt. Gleichwohl fehlt die sibirische Aluminiumvergangenheit des Russen in dessen englischsprachiger Biografie.

Probleme mit dem Reisepass

Um die gegenwärtigen journalistischen Avancen des Oligarchen zu verstehen, lohnt sich jedoch vor allem ein Blick in Fetissows jüngere Vergangenheit. Keine zehn Jahre ist es her, dass er versuchte, die französische Tageszeitung «Le Monde» zu kaufen.

Damit wollte er wohl einen ähnlichen Coup landen wie der Ex-KGB-Mann und heutige Besitzer des Luzerner Schlosshotels Gütsch, Alexander Lebedew, dem es 2010 gelang, die britische Zeitung «Independent» zu erwerben. Der damalige Vizepräsident der russischen Zeitungsverlegervereinigung, Wassili Gatow, bezeichnete die versuchte Akquise als «reinen PR-Stunt». Fetissow sehe darin lediglich die Bonne Chance, in die Business-Elite Frankreichs einzutreten.

Vor diesem Hintergrund dürfte wohl auch sein Engagement in der Schweiz gedeutet werden. «Ich nehme an, dass sich der Preisstifter einen positiven Imageeffekt erhofft im Sinn von: ‹Was aus der Schweiz kommt, steht für Rechtschaffenheit und Seriosität›», sagt Guido Keel, Leiter des Instituts für angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW. «Ansonsten sehe ich keine Verbindung zu Luzern oder zur Schweiz.»

In der Tat ist unter den insgesamt 33 nominierten Journalisten – die meisten davon aus Nigeria, Indien und Bosnien – niemand aus dem deutschsprachigen Raum zu finden. Weiter ist mit Ausnahme des schweizerisch-russischen Doppelbürgers und nicht unumstrittenen Ex-Chefredaktors der «Tribune de Genève», Guy Mettan, weder in der Jury noch im Expertenrat ein Schweizer vertreten. «Der Hintergrund der Auszeichnung scheint mir doch eher seltsam, auch in Bezug auf das Preisgeld», sagt Keel. «Was soll denn ein Journalist in Nigeria mit einer Zahlung von 100000 Franken machen?»

Ein ehemaliger Geschäftspartner des Oligarchen bei der Alfa Group geht noch weiter. «Meiner Meinung nach wurde Gleb Fetissow beauftragt, diesen Preis in Luzern zu etablieren», sagt Mikhail Yuman am Telefon. «Auf diese Weise darf er wieder ins Ausland reisen. Als Gegenleistung muss er dafür die Rückzahlung weiterer Schulden veranlassen.» Es gebe diesbezüglich wohl eine Reihe nichtöffentlicher Vereinbarungen und einen medialen Maulkorb.

Ob dem tatsächlich so ist, lässt sich nur schwer überprüfen. Fakt ist allerdings, dass Fetissow nach einem Entscheid eines Moskauer Gerichts erst seit vergangenem Sommer wieder aus Russland ausreisen darf – erstmals seit seiner Zeit in Untersuchungshaft. Kurz darauf, am 8. August 2019, gründete er die Fondation Caritative Fetisov – jene Stiftung, über welche er nun den Journalismuspreis in Luzern finanziert.

Diese hat ihren Sitz in Genf an der c/o-Adresse einer britischen Vermögensverwaltungsfirma mit Büros unter anderem in den Steuerparadiesen Zypern und Malta. Auf der Kanalinsel Jersey verwaltete dieselbe Firma zudem eine Briefkastenfirma, welche die Markenrechte des französischen Fussballers Paul Pogba besass.

Unklar ist, ob Fetissow seinen Reisepass inzwischen tatsächlich zurückerhalten hat oder ob er derzeit mit einem Provisorium reist. Laut einem Insider kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ausstellung des Reisepasses in seinem Fall länger dauert als üblich. Yuman vermutet deshalb, dass Investitionen in der Schweiz dem Milliardär dabei helfen sollen, die Probleme mit seinem Pass zu lösen. (aargauerzeitung.ch)

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