Mehr als zwei Jahre hat das deutsche Bundeskartellamt untersucht, wie Facebook seine Nutzer im Internet verfolgt und ob es damit gegen Wettbewerbsregeln verstösst. Am Donnerstag verkündete die Bonner Behörde ihr Urteil: Facebook muss aufhören, Nutzerdaten nach Belieben über Apps und Webseiten von Drittanbietern abzugreifen und mit seinen eigenen Informationen zu verknüpfen.
Facebook sammelt Nutzerdaten nicht nur direkt auf Facebook, sondern auch ...
Dadurch weiss Facebook, was seine Nutzer ausserhalb von Facebook treiben und kann ihnen überall im Web oder in Apps passende Werbung zeigen. (Wie du das Tracking abschalten kannst, erfährst du hier.)
Das Kartellamt kritisiert die Sammlung von Daten über Drittanbieter und fordert, dass Facebook keine Informationen aus Drittquellen mehr mit Nutzerprofilen verknüpft. Das gilt auch für die konzerneigenen Dienste WhatsApp und Instagram. Facebook soll sich zuerst die ausdrückliche Einwilligung der Nutzer einholen, bevor es Daten bei Drittanbietern erhebt.
Facebook muss innerhalb von vier Monaten erklären, wie es die Vorgaben umsetzen will. Das Netzwerk hat insgesamt zwölf Monate Zeit, die nötigen Anpassungen vorzunehmen.
Das Kartellamt stört sich vor allem daran, dass Facebook-Nutzer der Datensammlung über Drittanbieter uneingeschränkt zustimmen müssen – oder ganz auf Facebook verzichten müssen. Für Facebook-Nutzer heisst dies: «Friss oder stirb». Das sei nach geltendem Datenschutzrecht unzulässig.
Ausserdem schade Facebooks Verhalten dem Wettbewerb auf dem Werbemarkt. Durch seinen umfassenden Zugang auf Daten aus verschiedenen Quellen könne das Netzwerk seinen Service verbessern. Dadurch werde das Facebook «für Werbekunden immer unverzichtbarer». Die Folge: Anzeigenkunden ziehen ihre Budgets von anderen Konkurrenten – zum Beispiel Newsportale wie watson – ab, und stecken das Geld in Facebook-Werbung. So wird Facebook immer mächtiger. Diese Spirale will das Kartellamt durchbrechen.
Die Reaktion von Facebook kam prompt. Man werde gegen den Beschluss Beschwerde einlegen, kündigte das Unternehmen in einer Stellungnahme an. Das Netzwerk wehrt sich insbesondere gegen die Vermischung von Kartellrecht und Datenschutz. Es ist damit zu rechnen, dass der Streit durch mehrere Instanzen geht und Jahre dauern wird.
Seit Jahren versuchen Politik und Datenschutzbehörden, Facebook einer strengeren Kontrolle zu unterziehen. Nun schalten sich zum ersten Mal die Wettbewerbshüter ein. Damit beschreiten sie allerdings juristisches Neuland.
Allein die Feststellung der Kartellrechtsexperten, dass Facebook eine grosse Marktmacht besitzt, kann enorme Konsequenzen nach sich ziehen. Sie könnte europaweite Strahlkraft haben und weiteren Regulierungsbemühungen die Tür öffnen. Nicht umsonst wehrt sich Facebook gegen die Annahme des Bundeskartellamts. Facebook sei zwar populär, aber nicht marktbeherrschend.
Die Behörde geht davon aus, dass Facebook eine marktbeherrschende Stellung in Deutschland einnimmt. Das Netzwerk hat in unserem Nachbarland etwa 30 Millionen Nutzer im Monat. Das entspreche einem Marktanteil von 95 Prozent. In der Schweiz dürfte der Marktanteil ähnlich hoch sein.
Da diese Nutzer nicht einfach zu einem anderen, vergleichbaren Anbieter wechseln können, muss Facebook nach Ansicht des Kartellamts strenge Auflagen befolgen. So will die Behörde verhindern, dass das Netzwerk seine Position zum Nachteil der Nutzer missbraucht.
Das Problem ist, dass das Kartellrecht noch aus einer analogen Zeit stammt. Es fehlt eine klare Definition, wie sich Marktmacht im digitalen Raum und insbesondere bei sozialen Netzwerken äussert.
So argumentiert Facebook, dass es durchaus mit zahlreichen anderen Anbietern um die Aufmerksamkeit der Nutzer konkurriere. Genannt werden etwa Twitter, YouTube und Snapchat. Tatsächlich lässt sich schon seit Jahren beobachten, dass sich vor allem die für die Werbeindustrie interessanten jungen Nutzer anderen Plattformen wie Snapchat zuwenden. Mit WhatsApp und Instagram kann Facebook diesen Nachteil aber ausgleichen.
Das Bundeskartellamt ist jedenfalls der Meinung, dass es «keine Alternative» zu Facebook gibt und macht das an der Funktionsweise fest. Sämtliche vergleichbare Netzwerke – beispielsweise StudiVZ oder Google Plus – sind in den vergangenen Jahren in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Nach Einschätzung des Social-Media-Experten Martin Fehrensen muss sich Facebook keine Sorgen machen. Zwar gebe es immer wieder Bemühungen, das Unternehmen strenger zu kontrollieren, diese zeigen jedoch kaum Wirkung. «Der Wind weht Mark Zuckerberg mittlerweile schon kräftig ins Gesicht, zumindest in Deutschland und Europa. Ich glaube aber, der spürt das gar nicht. Es ist ja noch ein Ozean dazwischen», sagt Fehrensen. Drohende Strafen würde die Konzernspitze «einfach weglächeln».
Zudem führe das Netzwerk die Politik schon seit Jahren «an der Nase herum». Mit der angekündigten Verknüpfung seiner Dienste – Zuckerberg verschmilzt WhatsApp, Instagram und Facebook-Messenger– setzte sich Facebook beispielsweise erneut über sämtliche wettbewerbsrechtliche Einwände und Vorgaben hinweg. Noch 2014 musste der Konzern versprechen, WhatsApp von seinem übrigen Geschäft zu trennen.
Auf das Geschäft dürfte sich die Zusammenlegung der Apps sehr positiv auswirken, da sich Werbung anschliessend noch leichter ausspielen lässt – und das auf drei der nutzerstärksten Plattformen.
Angesichts der fortschreitenden technischen Integration der einzelnen Facebook-Apps (WhatsApp, Instagram) werde es immer schwieriger, Forderungen nach einer wirtschaftlichen Entflechtung durchzusetzen, glaubt Fehrensen. «Es fehlen ja jetzt schon die Konzepte, wie eine Zerschlagung des Konzerns aussehen könnte.» Bis diese Pläne ausgereift seien, habe Facebook längst Fakten geschaffen. Gemeint ist, dass Mark Zuckerberg seine Apps – Facebook Messenger, Instagram und WhatsApp – bis Ende 2019 technisch verknüpft und somit eine Zerschlagung der Firma viel schwieriger bis unmöglich wird.
In der Politik stösst der Beschluss des Kartellamts auf Zustimmung. Der deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sagte, dass das Kartellamt «ein klares Zeichen» für den Datenschutz setze. Auch Justizministerin Katarina Barley begrüsste die Entscheidung. «Facebook hat die Sammlung und Vernetzung von Nutzerdaten inzwischen weit über seine eigene Plattform hinaus ausgebaut», sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Grünen-Politikerin Katharina Dröge sieht die Bundesregierung in der Verantwortung: «Die grosse Koalition hat es jahrelang versäumt, die Macht der Internetgiganten zu beschränken. Das richtet jetzt das Bundeskartellamt.» Mit der Entscheidung werde Facebooks «Friss oder Stirb-Taktik» ein Riegel vorgeschoben. Gleichzeitig zeige die Entscheidung, dass die Genehmigung der Fusionen von Facebook und WhatsApp ein Fehler gewesen sei. «Hier gibt es weiterhin Nachschärfungsbedarf bei der Fusionskontrolle – auch auf EU-Ebene.»
Die deutsche FDP hingegen sieht keinen Handlungsbedarf. Das Wettbewerbs- und Kartellrecht biete genügend Instrumente, um den Wettbewerb zwischen werbefinanzierten Online-Angeboten zu gewährleisten, sagt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer.
Auch in Bezug auf einen möglichen Zusammenschluss der Dienste Facebook, WhatsApp und Instagram sprach sich die FDP-Politikerin für eine «politikfreie Entscheidung der Kartellbehörden aus». «Wichtig ist, dass Facebook Verbraucher und andere Anbieter nicht übervorteilt», so Beer.
Verwendete Quellen:
Dieser Artikel ist zuerst auf T-Online erschienen.