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Schlafwandeln: Was das nächtliche Herumirren zu bedeuten hat

Schlafwandeln: Was das nächtliche Herumirren zu bedeuten hat

Schlafwandel ist ein Phänomen, das auf «Normalschläfer» beeindruckend und gleichzeitig befremdend wirkt. Während sie sich im Tiefschlaf befinden, steigen Schlafwandler plötzlich aus dem Bett und und gehen mit offenen Augen durchs Zimmer. Am nächsten Morgen können sie sich nicht mehr an ihren nächtlichen Ausflug erinnern.
24.01.2022, 03:55
Ann-Kathrin Landzettel / t-online
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t-online

Schlafwandeln, medizinisch Somnambulismus, ist eine ernstzunehmende Schlafstörung und birgt gesundheitliche Risiken. Da die Betroffenen ihre eigenen Aktivitäten während der Tiefschlafphase nicht mitbekommen, können sie sich in gefährliche Situationen begeben. So kann ein Schlafwandler unbewusst stürzen, weil er seine Umgebung nicht wirklich wahrnimmt. Was genau hinter dem Phänomen steckt und welche gesundheitlichen Folgen es haben kann. 

Schlafwandeln
Manche Menschen irren im Schlaf umher.Bild: imago images

Was genau ist Schlafwandeln?

Etwa 6 von 100 Menschen in Deutschland haben eine Schlafstörung (Insomnie). Schlafstörungen sind bei Frauen häufiger als bei Männern. Sie können in jedem Alter auftreten. Schlafwandeln (Somnambulismus) ist eine Form der Schlafstörung und wird zu den nichtorganischen Schlafstörungen gezählt, genauer zu den Parasomnien. Parasomnien umfassen der S1-Leitline «Nichtorganische Schlafstörungen» der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) zufolge «abnorme Episoden von Verhaltensmustern oder physiologischen Ereignissen, die während des Schlafs oder des Schlaf-Wach-Übergangs auftreten». Viele Schlafwandelnde verlassen das Bett, zeigen oftmals aber auch Aktivitäten wie Aufrichten, Umherblicken mit ausdruckslosem Gesicht, automatisierte Handlungen wie Richten der Kissen oder Herumzupfen an der Bettdecke.

«Schlafmediziner ordnen das Schlafwandeln in die Gruppe der Parasomnien ein, also in die Gruppe der Schlafstörungen, die aus einer seltsamen Mixtur zwischen Wach- und den Schlafstadien REM (Traumschlaf) oder Non-REM (Nichttraumschlaf) entstehen», erklärt Thea Herold, Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Schlaf und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). «Wenn sich ein Schlafwandler in einer Tiefschlafphase bewegt, dann ist das allein schon deshalb eine starke Abweichung vom normalen Schlafmuster, da normalerweise in dieser Schlafphase kaum oder nur wenig Bewegung vorkommt.»

Warum wandeln Menschen im Tiefschlaf umher?

Von vielen Forschern wird das Schlafwandeln als Aufwachstörung bezeichnet, weil das Gehirn halb schläft und halb wach ist. Forschende vermuten, dass es zum Schlafwandeln kommt, wenn das Gehirn nach einem Weckreiz von aussen oder innen nicht vollständig erwacht. «Tatsächlich ist über die Ursachen für das Schlafwandeln noch wenig bekannt. Mögliche Auslöser können Stress und psychische Belastung, aber auch Schlafmangel sein», erklärt die Schlafexpertin.

Vor allem in der Kindheit – meist im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren – treten Parasomnien, zu denen auch Albträume gehören, auf. Schlafwandeln im Jugendalter wird vermehrt nach Übermüdung, Stress und emotionalen Belastungen beobachtet. Nach der Pubertät nimmt die Häufigkeit ab, doch auch im Erwachsenenalter kann Schlafwandeln noch auftreten. Eine genetische Veranlagung wird diskutiert, da oft eine familiäre Häufig zu verzeichnen ist.

schlafen
Nicht alle Menschen bleiben die ganze Nacht über im Bett.Bild: shutterstock

Wie häufig kommt Schlafwandeln vor?

Angaben der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e. V. (DGSM) zufolge haben 15 bis 30 Prozent aller Kinder zumindest eine Episode von Schlafwandeln. Drei bis vier Prozent haben häufiges Schlafwandeln. Nach dem zehnten Lebensjahr nimmt bei vielen Kindern die Häufigkeit des Schlafwandelns ab. Bei einem Prozent der Betroffenen bleibt das Schlafwandeln bis in das Erwachsenenalter hinein bestehen. Ein erstmaliges Auftreten im Jugend- oder Erwachsenenalter, besonders aber nach dem 60. Lebensjahr, ist den Schlafexperten zufolge ungewöhnlich.

Typisches Verhalten bei Somnambulismus

Von Schlafwandeln sprechen Mediziner, wenn folgende diagnostische Kriterien gemäss des Kodiersystems des international gültigen allgemeinen Diagnoseschlüssels ICD-10 vorliegen:

  • Verlassen des Bettes und Umhergehen während des Tiefschlafs für bis zu einer halben Stunde
  • wenig Reaktion auf Aussenreize, erschwerte Erweckbarkeit
  • leerer, starrer Gesichtsausdruck
  • Amnesie (Vergesslichkeit) nach dem Aufwachen oder am nächsten Morgen
  • kurze Phase der Verwirrung und Desorientiertheit nach dem Erwachen möglich
  • keine Beeinträchtigung der geistigen Aktivität oder des Verhaltens
  • beträchtliches Verletzungsrisiko
  • Triggerung durch beispielsweise psychischen Stress, Lärm, Schlafmangel oder fiebrige Erkrankungen
  • Auftreten meist im ersten Drittel des Nachtschlafs
  • kein Nachweis einer organischen Störung als Ursache

Gesundheitliche Folgen von Schlafstörungen

Schlafstörungen können erhebliche Folgeprobleme bedingen. Der gestörte Schlaf kann sich nicht nur auf die Leistungsfähigkeit, das Reaktionsvermögen und die Konzentration am Tag negativ auswirken. Auch die körperliche Gesundheit sowie die emotionale Stabilität können gestört sein. Beim Schlafwandeln kommt zudem ein hohes Verletzungsrisiko hinzu. Schlafwandeln sollte entsprechend behandelt werden, um gesundheitlichen und psychischen Folgen der Schlafstörung entgegenzuwirken.

«Wenn Schlafwandeln auftritt, unterbricht es den erholsamen Nachtschlaf und Schlafmangel entsteht. Das wirkt sich bei fortgesetztem Auftreten des Schlafwandelns auf die Gesundheit aus», weiss Herold. «Wir schlafen schlechter und erholen uns weniger. Das Immunsystem ist nicht so stark wie es sein könnte, wenn wir ausgeschlafen sind. Unsere Gedächtnisarbeit ist eher erschöpft – für das Lernen, das Aufräumen und Behalten von Informationen. Auch die körperlichen 'Reparaturarbeiten' haben weniger Power.»

Schlafstörung behandeln: Was tun bei Schlafwandeln?

Als wirkungsvoll haben sich vor allem verhaltenstherapeutische Interventionen bei Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter erwiesen. Hier können auch langanhaltende und langfristige Effekte bezüglich der Verbesserung der Schlafproblematik sowie der Tagesbeeinträchtigung erreicht werden. Da für die Behandlung von Schlafstörungen im Kindesalter mit Medikamenten nur eine gering fundierte Studienlage vorliegt, kommen pharmakologische Substanzen oft nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs zum Einsatz und werden sonst aufgrund möglicher Nebenwirkungen und unvorhersehbarer Reaktionen vermieden. Bei Erwachsenen hingegen kann die Therapie, wenn nötig, durch Medikamente ergänzt werden.

Im Fokus steht das Erlernen einer gesunden Schlafhygiene, die unter anderem regelmässige Schlafenszeiten, Stressreduktion, eine ausreichende Schlafdauer und ein angenehmes, ruhiges, dunkles und gut temperiertes Schlafumfeld umfasst. Liegt eine psychische Primärerkrankung vor, muss diese entsprechend behandelt werden. Antidepressiva beispielsweise werden zur Behandlung von Schlafstörungen vor allem eingesetzt, wenn zugleich eine Depression oder eine Angststörung vorliegt.

Sicherung der Schlafumgebung

Bei Somnambulismus ist es zudem wichtig, die Schlafumgebung so zu sichern, dass Verletzungen, etwa durch Stürze oder scharfe Kanten möglichst verhindert werden. Es kann notwendig sein, das Zimmer so zu sichern, dass der Schlafwandelnde es nicht verlassen und Fenster nicht öffnen kann. Tritt das Schlafwandeln immer zur gleichen Zeit auf, kann etwa 15 bis 30 Minuten vor Episodenbeginn «eine leichte Aufwachreaktion evoziert» werden, so die Leitlinie. Ebenfalls ist es wichtig, dass Betroffene regelmässige Schlafenszeiten einhalten und ausreichend schlafen.

Schlafdruck lindern durch kurze Schlafphasen am Tag

Da Schlafwandeln an den Tiefschlaf gebunden ist, kann Schlafentzug den Tiefschlaf so verstärken, dass es zu einer erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit kommt. Eine Option kann sein, mit kurzen Schlafphasen tagsüber den Schlafdruck und die Tiefschlafphasen zu reduzieren. Hilfreich kann auch das Erlernen von Entspannungsmassnahmen sein, um körperliche Stress- und Überlastungsreaktionen zu lindern und den Körper zu entspannen.

Laut der Leitlinie eignet sich beispielsweise eine altersgerechte progressive Muskelrelaxation oder (kindgerechtes) autogenes Training. Generell sollte Stress im Alltag reduziert werden. Ist das Schlafwandeln stark ausgeprägt, kann eine teilstationäre oder stationäre Behandlung erwogen werden. Auch kann versucht werden, Stress- und Konfliktsituationen im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie zu bewältigen.

Schlafstörungen ärztlich abklären lassen

«Grundsätzlich sollte man sich bei jeder andauernden Schlafproblematik mit einem Facharzt in einer Schlafambulanz oder im Schlaflabor beraten», empfiehlt Herold. «Auch beim Schlafwandeln von Kindern, das sich oft bis zur Pubertät fortsetzt und dann meist aufhört, ist eine ärztliche Abklärung ratsam, um andere organische oder neuronale Ursachen auszuschliessen. Das gilt noch mehr für Erwachsene, die schlafwandlerische Nächte erleben.»

Zudem gibt es eine Reihe von Störungsbildern, die mit dem Schlafwandeln verwechselt werden können, darunter epileptische Anfälle, nächtliche Störung der Atmung, unruhige Beine im Schlaf (Restless-Legs-Syndrom ) sowie psychische Erkrankungen. Eine umfassende schlafmedizinische Diagnostik ist daher unerlässlich.  

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