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Whistleblower bleiben in der Schweiz weiter schlecht geschützt

Whistleblower bleiben in der Schweiz weiter schlecht geschützt

05.03.2020, 09:12
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Wer mit Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz an die Öffentlichkeit geht, lässt sich auch in Zukunft auf ein juristisches Abenteuer ein. Eine neue Regelung, die Whistleblowern Rechtssicherheit hätte geben sollen, ist im Parlament gescheitert.

Der Nationalrat hat die Vorlage am Donnerstag zum zweiten Mal abgelehnt. Zu kompliziert, zu wenig wirksam, befand die Mehrheit. «Die Vorlage schafft nicht Klarheit, sondern Rechtsunsicherheit», sagte Kommissionssprecherin Sibel Arslan (Grüne/BS). Sie sei auch nicht KMU-tauglich.

Schweigen und Whistleblower
Whistleblower brechen das Schweigen.Bild: shutterstock.com

Die Vorlage führe in gewissen Fällen sogar zu einer Verschlechterung der Situation von Whistleblowern, erklärte SP-Sprecherin Min Li Marti (ZH). «Zu technokratisch und zu praxisfern», urteilte Christa Markwalder (BE) im Namen der FDP. Dabei handelte es sich bereits um einen nachgebesserten Entwurf. Eine erste Version hatte das Parlament 2015 zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückgeschickt.

Dilemma ungelöst

Damit bleibt das Dilemma für Whistleblower ungelöst. Sie möchten Unregelmässigkeiten an ihrem Arbeitsplatz aus Pflichtgefühl und aus ethischen Gründen offenlegen. Die grossen und kleinen Leaks der vergangenen Jahre zeigen, dass das durchaus im Interesse der Gesellschaft und einer funktionierenden Demokratie sein kann.

Zudem verbieten die arbeitsrechtliche Treuepflicht, der Datenschutz oder Geheimhaltungsverpflichtungen dem Arbeitnehmenden, Informationen über den Arbeitgeber preiszugeben. Was rechtens ist und was nicht, entscheiden heute die Gerichte - für potenzielle Whistleblower ein unkalkulierbares Risiko.

Viele Whistleblower zahlten ihr Engagement mit der Entlassung und einer strafrechtlichen Verurteilung. Mit einer Ergänzung des Obligationenrechts wollte der Bundesrat dafür sorgen, dass der Preis für die Betroffenen wenigstens abschätzbar wäre.

Kaskaden-Lösung

Geplant war eine Kaskaden-Lösung. Zunächst sollten die Arbeitnehmenden den Missstand intern melden müssen. Nur wenn der Arbeitgeber darauf nicht reagiert hätte oder wenn dem Arbeitnehmenden gekündigt worden wäre, hätte sich dieser an die Behörden wenden dürfen. Der Gang an die Öffentlichkeit wäre erst als letztes Mittel erlaubt gewesen.

Ein Kündigungsschutz war nicht vorgesehen. Wäre ein Whistleblower entlassen worden, der korrekt vorgegangen war, hätte dies aber eine missbräuchliche Kündigung dargestellt. Der Arbeitnehmer hat in einem solchen Fall Anspruch auf sechs Monatslöhne.

Eine Minderheit hatte sich dafür eingesetzt, wie der Ständerat für die Whistleblower-Norm zu stimmen. «Was soll daran kompliziert sein?» fragte Philipp Bregy (CVP/VS). Die Grünliberale Judith Bellaïche (ZH) rief dazu auf, die Sicht der Whistleblower einzunehmen. «Schweigen sie, werden sie zu Mittätern. Reden sie, machen sie sich strafbar.» Auch für Arbeitgebende wäre ein klarer Prozess eine Erleichterung.

Vorlage beerdigt

Auch der Einsatz von Justizministerin Karin Keller-Sutter konnte die Vorlage nicht retten. Wenn man Rechtssicherheit schaffen wolle, müsse die Norm einen gewissen Detaillierungsgrad haben. «Eine bessere Vorlage kann ich ihnen nicht in Aussicht stellen», sagte Keller-Sutter. Ein ausgebauter Kündigungsschutz sei in absehbarer Zeit nicht mehrheitsfähig.

Der Nationalrat lehnte die Whistleblower-Norm mit 147 zu 42 Stimmen ab. Diese ist damit definitiv gescheitert. (sda)

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quelle: keystone / gian ehrenzeller
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7 Kommentare
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Lowend
05.03.2020 10:54registriert Februar 2014
Whistleblower, die an der Wahrheit interessiert sind, erhalten keinen Schutz, während Firmen, die im Ausland kriminell geschäften, dick Waffen verkaufen oder kräftig schmieren von National- und Ständeräten auch kräftig unterstützt werden.

Auch dies ist ein schönes Beispiel dafür wie volksnah die Bürgerlichen und die Reaktionären politisieren.
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DeDanu
05.03.2020 10:14registriert Januar 2019
Rechtsstaat sieht definitiv anders aus, als Angestellte der Willkür krimineller Vereinigungen (US Urteil betreffs gewisser Schweizer Banken) zu überlassen.
🙈🙉🙊
So mag man es wohl am liebsten in der Politik
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Cirrum
05.03.2020 09:40registriert August 2019
Jaa unser liebes perfektes System. Darum steht dieses Lügenkartenhaus noch. Wer kein Ärger im Leben will, muss schweigen und das Spielchen der Eliten mitspielen.
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